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Foto: Jean-Marc Turmes
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Schrille Revue „nach Suppé“ – „Der Teufel auf Erden“ im Münchner Akademietheater

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Francesco Ezechiele Ermenegildo Cavaliere Suppè-Demelli hatte mit den meisten seiner über 200 Bühnenwerken großen Erfolg und ist als „Franz von Suppé“ mit „Leichter Kavallerie“, „Boccaccio“ oder der „Schönen Galathée“ gut bekannt. Seine Operette „Der Teufel auf Erden“ war 1878 eher nur ein mittlerer Erfolg: viel Lob für Handlung und Libretto der geviften Autoren Karl Juin und Julius Hopp, gute Musik, aber kein Ohrwurm, keine Musiknummer, die dann als einzelner Notendruck populär wurde.

Es blieb bei den Aufführungen im Wiener Carltheater – und so können sich Münchens Hochschule für Musik und die Theaterakademie August Everding mit dem Etikett „Deutsche Erstaufführung“ schmücken.

Diese Werkeigenschaften und auch die damalige Bühnenpraxis – keine Partitur, nur Klavierauszüge für wechselnde Orchestrierung, Offenheit des Dialogs für aktuelle und regionale Anspielungen und Extempores – erlauben natürlich heutigen „Machern“ eine Bearbeitung. Erfreulich ehrlich – und allen derzeitigen postdramatischen „Werk-als-Steinbruch-Nutzern“ von Frank Castorf abwärts ebenso zu verordnen – lauteten alle Ankündigungen „burlesk-fantastische Operette nach Franz von Suppé“: „nach“ - denn über sechzig Prozent der Musiknummern waren von Tom Smith und Jacopo Salvatori, beide Absolventen von Moritz Eggert, neu arrangiert und-oder auskomponiert. Zu der Combo aus E-Gitarre und –Bass sowie Schlagzeug kam Tom Smith am Keyboard spielend und dirigierend hinzu.

Den höchst unterschiedlichen Schauplätzen der in zwei Stunden pausenlos durchgespielten vier Akte ordneten sie vier Klangwelten zu: „Hölle“ mit Prog-Rock und Heavy Metal; „Mädchenstift“ mit Rhythm’n’Blues; „Kadettenanstalt“ mit Bebop und Country&Western; „Theater-Welt“ mit Techno und Pop Sounds. Dazwischen – etwa in Isidors nächtlicher Canzone oder im besinnlichen Quartett der beiden Liebespaare am Ende sowie in einigen rasanten Marsch- und Galopp-Nummern – erklangen Suppés Melodielinien.

So ehrlich die Angabe „nach Suppé“ war – mit der umrissenen Stil-Fülle begannen auch die Probleme der grundlegenden Neufassung. Zwar gelangen Einzelheiten wie die Scat-Vocal-Nummer der „verruchten Tänzerin“ Rosine (Elisabeth Marshall) oder der Stepp-Tanz von Manuel Wagner, doch zu vieles blieb bei „gut gemeint und gewollt“.

Text und Handlung bieten schon viel: Aufstand in der Hölle, denn die Unterteufel wollen Verfassung, Mitbestimmung, Pressefreiheit, Abschaffung der Leibeigenschaft etc.; Höllen-Absolutist Satanas bräuchte zur Niederschlagung die Teufel-Minister Luzifer, Samuel und Belzebub, die sich jedoch seit langer Zeit auf Erden herumtreiben; dort finden Satanas und Haushofmeister Mephisto dann Luzifer im Damenstift als geldgierig-intrigante Aufseherin; Offizier Isidor kann so seine geliebte Amanda aus dem Stift entführen, auch weil Offiziersfreund Reinhart sich als Mädchen verkleidet und nur durch Luzifers Verbannung vor allen weiblichen Angeboten fliehen kann; zurück in der Kaserne feiern die Offiziere ausgelassen – durch Einladung aller Balletteusen einschließlich Reinharts geliebter Rosine; als jedoch urplötzlich der streng-lüsterne Hauptmann zur Kontrolle auftaucht, müssen sich alle Tänzerinnen als Kadetten(!) verkleiden; doch bevor der Hauptmann alle Mädels missbrauchen kann, wird er von Satanas und Mephisto als Samuel entlarvt und zur Hölle geschickt; weitersuchend im benachbarten Theater, erfahren Satanas und Mephisto, dass praktisch jeder sich irgendwie teuflisch betrügerisch-berechnend-intrigant-böswillig verhält, somit Belzebub unauffindbar bleibt – damit überlassen sie die Welt diesen Teufeleien und während die Paare sich in Liebe finden, wird der Aufstand niedergeschlagen: keine liberalen Rechte – eben weiterhin „die Hölle“.

Was 1878 in der konservativen K.u.K.-Monarchie schon zu fortschrittlich war, böte auch heute noch viel politischen Zündstoff und herrlich grotesken „irdischen Höllen-Trubel“. Doch statt sich die grandiose Film-Groteske „Hellzapoppin’ – In der Hölle ist der Teufel los“ von 1941 zum Vorbild zu nehmen, wollten alle um Regisseur-Choreograph Till Kleine-Möller „alles“ – und zu vieles blieb unvollkommen: schlechter deutscher Dialog; bemühte Tanz-Nummern; misslungene Sex-Szenen; völlig verzichtbare Videos; schlechte Tonmischung zwischen Band und Mikroport-Stimmen und viel zu viel dröhnender Sound, was zu dominierendem Forte-Drauflos-Gesang samt Textunverständlichkeit führte; die Revolutions-Anspielungen im Werk aufzublähen zu einem Mephisto, der vom Tablet-PC Texte des Feminismus über Trotzki zu Kant samt UNO-Kritik vortrug, blieb trotz und auch wegen Philip Ceglarskis Markanz ein intellektueller Fremdkörper im Kontext – auch die Idee, Beethovens „Ode an die Freude“ als (ironisch gemeintes?) Finale singen zu lassen.

Zu vielerlei „Formate“ und dramaturgische „Nebengleise“ im per se schon turbulent-vielfältigen Werk – doch den Abend retteten das Feuer, der jugendliche Schmiss und das aufblitzende Können der durchweg jungen Darsteller in einer schrillen Revue. Wäre all das auf Zentrales konzentriert worden, wäre „mehr Suppé samt seinen pfiffigen Librettisten“ herausgekommen.

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