Hauptbild
Ritter Gawain im Lichte von Joseph Beuys: Harrison Birtwistles „Gawain“ zur Eröffnung bei den Salzburger Festspielen. Foto:  Ruth Walz
Ritter Gawain im Lichte von Joseph Beuys: Harrison Birtwistles „Gawain“ zur Eröffnung bei den Salzburger Festspielen. Foto: Ruth Walz
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Schmuddelige Luxus-Fantasy: Eröffnung der Salzburger Festspiele mit Harrison Birtwistles „Gawain“

Publikationsdatum
Body

Zeitgleich mit der ersten Neuproduktion der Bayreuther Festspiele, der „Rheingold“-Inszenierung von Frank Castorf, wurde zum „eigentlichen Auftakt“ der Salzburger Festspiele – eine Reihe von Konzerten ging als „Ouverture spirituelle“ voran – die Oper „Gawain“ von Harrison Birtwistle reaktiviert. Birtwistle, der 1988 zum Ritter geschlagen wurde und vielleicht daher und aus Dankbarkeit eine Geschichte von den alten Rittersleut‘ in Musik setzte, schuf ein „dunkles“ musikalisches Märchen, das der Librettist David Harsent und Birtwistle aus einer Episode der Sagen um König Arthur abgeleitet hatten.

Der Regisseur Alvis Hermanis, der im vergangenen Jahr eine bemerkenswerte Produktion von Bernd Alois Zimmermanns „Soldaten“ in Salzburg vorgelegt hat, versuchte sein Glück aufs Neue an der Seite des Dirigenten Ingo Metzmacher.

Dass die Salzburger Festspiele ein gewichtiges Werk der neuen Musik in ihr Programm aufnehmen, sogar den Parcours der mit besonderer Aufmerksamkeit bedachten Opernpremieren mit ihm eröffnen, knüpft an den besten Traditionen dieses Festivals an. Bei Birtwistles „Gawain“, gut zwei Dutzend Jahre alt, handelt es sich fürwahr um eine gewichtige Arbeit: Gewaltig groß ist das Orchester besetzt – so imposant, dass wenigstens ein halbes Dutzend Schlagwerker bis hin zum  Cimbalom-Spieler seitwärts überm fürwahr nicht kleinen Graben der Felsenreitschule postiert werden mussten. Ingo Metzmacher regiert als umsichtiger Herr der tieferen Zonen die expressionistisch getönten Klangmassen und führt das ganz überwiegend britische Sänger-Team durch die durchaus sangbaren Lineaturen der erweiterten Partitur.

Der Dirigent Metzmacher dürfte mit seiner Begeisterung für diese deftige und auch immer wieder drastisch-realistisch auftrumpfende Musik wesentlich dazu beigetragen haben, dass man sich in Salzburg an Birtwistles Oper von 1991 erinnerte, die in Covent Garden uraufgeführt, dann aber weiters nicht mehr beachtet worden war. Mit John Tomlinson als Grünem Ritter und Herausforderer steht einer der Protagonisten von einst erneut zu Verfügung. Der schwere Bass mit der so tragfähigen und belastbaren sonoren und markanten Stimme war schon damals in London dabei. Mit Christopher Maltman steht ihm ein nicht minder souveräner Gawain gegenüber – ein ambivalenter unheldischer Held, von dem das Libretto will, dass er sich auf einen Weg der Selbsterfahrung begibt. Der war, als der Text von David Hersent in den späten 80er Jahren kompiliert wurde, angesagt – und nicht nur Richtung Toskana denkbar, sondern auch auf einem Trip vom sagenumwobenen Südengland des Königs Arthus in der Zeit des Übergangs der Spätantike zum frühe Mittelalter in die nördlicheren britischen Regionen. Gegenpol zu den Männern der dekadenten Gesellschaft um King Arthus ist im ersten Akt „the german soprano“ Gun-Brit Barkmin als würdige Repräsentantin des Charakterfachs, in der längeren Zweiten Halbzeit der Sirenengesang der Laura Aikin, die als Gesellschafterin der Gattin des Herrschers von Bertilak die süßesten Versuchungen zu intonieren hat.

Alvis Hermanis nahm sich der dankbaren Aufgabe an, eine aus uralten Märchen herüberwinkende Geschichte zu bebildern und in Bewegung zu versetzen: die Story des Grünen Ritters, der an Heilig Abend unangemeldet auf der Burg von König Arthus erscheint und einen merkwürdigen Zweikampf anbietet. Er bietet an, sich drei Axthieben auf seinen Kopf auszusetzen (obwohl ihn gar niemand häupteln will) – im Gegenzug soll sich der Held des Handbeils nach Jahr und Tag in seinem Grünen Kapellengewölbe drei Schlägen von seiner Hand aussetzen.

Es ist eine Versuchsanordnung wie geschaffen für Monty Python und man hoffte bei der Salzburger Premiere darauf, dass die Chance ergriffen würde, britischen Humor freizuspielen. Aber Hermanis deklinierte in einer Welt nach einer globalen Katastrophe im Jahr 2022 das übrig gebliebene Lemurenleben, die Regression in mittelalterliche Rituale und Schlagtechniken unerbittlich durch. Bemooste Autowracks, durcheinandergekegelte Särge und die von Grünspan überzogenen Reste von Industriearchitektur erinnerten an gewesene und verweste Zivilisation.

In dieser wieder so atavistisch gewordenen Welt ist die Natur ganz nahe, der der Herr von Bertilak täglich arme Hasen abjagt. Hier bewegen sich die Statistinnen „triebhaft“, das heißt, sie bohren mit den Unterleibern und wimmeln erotisch in einem alten VW-Bus wie Maden im Speck. So etwas wie einen Regieeinfall, korrekt müsste es „Regieausfall“ heißen, zeigte Hermanis, indem er den Ritter Gawain mit dem Kunst- und Lebenskünstler Joseph Beuys konnotierte – beide hatten das Problem, dass ihnen ein Stück der Kopfschädelplatte durch Kampfeinwirkung abhandenkam. Auch das, die eher heuristische Bezugnahme auf neue Düsseldorfer Kunst von gestern, hat – siehe Jörg Immendorff – in Salzburg Tradition. Wie ja so vieles bei dieser Festspiel-Eröffnung so erkennbar an „Traditionen“ anknüpfte.

Geboten wurde, um es vergröbernd kurz zusammenzufassen, schmuddelige Luxus-Fantasy in Anlehnung an B-Movies mit einer überdrücklich epigonalen Musik. Man versteht nach einer viertel Stunde, warum Birtwistlers „Gawain“ bislang über die Gartenzäune von Covent Garden nicht hinausgelangte – und nach drei Stunden, wenn dann noch die Moral zu den Stichworten von Tapferkeit und Heldhaftigkeit ihre dicken Zeigefinger erhoben hat, weiß man es erst recht.  

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!