Hauptbild
Fierrabras 2014 • Julia Kleiter (Emma), Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Foto: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Fierrabras 2014 • Julia Kleiter (Emma), Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Foto: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Schwarzweißer Bilderbogen – Franz Schuberts „Fierrabras“ bei den Salzburger Festspielen

Publikationsdatum
Body

So wohl wünschten sich die konservativen Besucherkreise bei den Bayreuther Festspielen eine „Lohengrin“-Inszenierung: gefällige Arrangements auf einer perspektivische Gassenbühne, kunstfertig umgesetzt aus schwarz-weißen, filigranen Federzeichnungen. Am ehesten in der Dialogarbeit mit dem Solistenensemble ist die Handschrift des Regisseurs Peter Stein wahrzunehmen, gleichwohl wirken auch die Dialoge old fashioned.

Nur ein sehr geringer Teil des umfangreichen Oeuvres von Franz Schubert ist in Aufführungen gegenwärtig. Alles Ausufernde an Länge (etwa über zwanzig Minuten dauernde Lieder), an Form (die Musik zum letzten Satz der „Unvollendeten“), an Inhalt (die meisten seiner Bühnenwerke) hatte keine Chance, ins allgemeine musikalische Bewusstsein zu dringen, und Vieles, was nicht bereits durch Verbrennen vernichtet worden war oder anderweitig verschollen ist, verblieb doch in den Archiven.

Soweit es sich nicht um Auftragswerke für die Bühne handelte, wie etwa bei Helmina von Chézys „Rosamunde“ oder Georg von Hofmanns „Die Zauberharfe“, waren es zumeist persönliche Freunde Schuberts, deren Libretti er vertonte, wie Albert Stadler, Johann Mayrhofer, Franz von Schober und Eduard von Bauernfeld und dem auch als Porträtisten erfolgreichen Joseph Kupelwieser.

Häufig fanden Schuberts Bühnenwerke den Weg auf den Ort ihrer Bestimmung erst nach dem Tod des Komponisten. Im Falle der Oper „Fierrabras“ brauchte es 101 Jahre bis nach der Geburt des Komponisten. Der Uraufführung, 1897 in Karlsruhe, waren in Wien in den Jahren 1835 und 1858 nur Ausschnitte vorangegangen.

Maßstäbe für die szenische Schubert-Rezeption setzte 1988 bei den Wiener Festwochen die Inszenierung von Ruth Berghaus gemeinsam mit Claudio Abbado, dessen Andenken die Neuproduktion des „Fierrabras“ gewidmet ist.

Leider fällt die Salzburger Neuinszenierung weit hinter das Ergebnis von 1988 zurück: ein biederes, allen inhärenten Problemen und Deutungsmöglichkeiten ausweichendes, harmloses Ritterspielchen. Unfreiwillige Lacher entstehen, wenn die Bilderbuch-Ritter hinter einer Felsendekoration über eine Treppe trappeln.

Positiv mag ins Gewicht fallen, dass Peter Stein, bekannt für seine ungekürzten Produktionen von Goethes „Faust“ und Schillers „Wallenstein“, die Musik von Schuberts Oper offenbar strichlos darbietet, während die Dialoge verkürzt und sprachlich behutsam modernisiert wurden. Den Zwischenapplaus nach den Nummern versucht die Festspielproduktion zu unterbinden, indem die Dialoge häufig noch im Nachspiel der vorangegangenen Nummer einsetzen.

Steins Personenführung beschränkt sich auf gefällige Arrangements – auch dies womöglich ein bewusster Schritt zurück in ein Opernmuseum. Ein solches evozieren die durchgehend schwarz-weiß gezeichneten und mit nur wenigen plastischen (und dann, wie der Holzstoß im letzten Bild, deplatziert wirkenden) Attributen angereicherten Dekorationen von Ferdinand Wörgebauer und die historisierenden, ebenfalls in kontrastierenden Weiß- und Schwarz gehaltenen Kostüme von Annamaria Heinreich. Die einzigen Farbmomente bietet zuweilen intensive Beleuchtung in Cyan. Erst im Finale der Oper, wenn die für unmöglich erachtete Happyend-Situation sich doch einstellt, dass nämlich die Tochter des Maurenfürsten einen fränkischen Ritter ehelichen darf und dass der vordem in Ungnade gefallene, feige Ritter Eginhard doch noch die Tochter von König Karl ehelichen darf und dass sich obendrein die Mauren christianisieren lassen, kommt Farbe ins Bild: im Wolkenhimmel strahlt ein knallrot gemaltes Herz mit davor gekreuzten Palmenzweigen – als eine platte Ironie auf die vom Komponisten gezeichnete Utopie.

Mit dem Schlussakkord einer Szene senkt sich jeweils die Courtine. Aber wenn ein heutiges Regieteam Mittel des Barocktheaters wählt, dann sollten die Umbauten auch blitzschnell vonstatten gehen. Die in Salzburg entstehenden Umbaupausen sind der Spannung abträglich und erweisen sich stets dann als äußerst fragwürdig, wenn beim erneuten Heben der Courtine eine kaum veränderte Dekoration sichtbar wird. Allerdings wurde im Salzburger „Haus für Mozart“ die barocke Abfolge von kurzer und tiefer Bühne außer Acht gelassen, die dem Kulissentheater mit gemalten Prospekten genutzt hatte fließende Wechsel ermöglichten.

Manch Besungenes fehlt in dieser linearen szenischen Umsetzung allerdings doch. Etwa die besungenen Fahnen des fränkischen Heeres (Fierrabras: „unter diesen Fahnen [...]“ – Die Ritter: „Ja, folge unsern Fahnen [...]“) gibt es in dieser Schwarz-Weiß-Schilderung nicht, obgleich die Rückbesinnung auf den Ersten Weltkrieg übergeordnetes Thema der diesjährigen Salzburger Festspiele ist.

Die Meriten der Neuproduktion liegen klar auf Seiten der Musik. Das beginnt bereits mit der Ouvertüre, die wie Webers „Freischütz“, dessen Wiener Erstaufführung Franz Schubert miterlebt hat, tremolierend schwebendes Grauen in f-Moll mit einem glaubensstarken Bläserchor kombiniert, der sich im zweiten Akt a cappella als ein Loblied auf das Vaterland herausstellt. Ingo Metzmachers Lesart zeigt in Schuberts Partitur den Weg zur deutschen Oper auf. Er leitet die Wiener Philharmoniker mit Verve, arbeitet Magie und Witz engagiert heraus. Eindrucksstark erklingt der Marcia Funebre in der Nummer 21 hinter der Szene und als Zwischenspiel, weniger eindrucksvoll dann jedoch das lebende Bild dahinter.

Das Melodram setzt Schubert in dieser Partitur als expressive Steigerung des Gesanges ein und schafft dabei ein kompositorisch nicht weniger überzeugendes Ergebnis als ein Jahrhundert später von Zdenek Fiebig in der Trilogie „Hippodamia“.

Obendrein erahnt Schubert die szenischen Möglichkeiten einer Geräuschkunst: wie Wagners zweiter Aufzug der romantischen Oper „Der fliegende Holländer“, beginnt bereits der erste Akt von Schuberts „Fierrabras“ mit einem Chor der Spinnerinnen, mit einem von Schubert, wie vom jungen Wagner gleichermaßen Goethes „Gretchen am Spinnrade“ zugedachten musikalischen Topos. In „Fierrabras“ wird als Besonderheit der Dur- und Mollteil derselben Melodie in der Eröffnungsnummer ausschließlich durch das Geräusch der getretenen Spinnräder verknüpft. Die chorischen Tableaus der die ersten beiden Akte eröffnenden Mädchengesänge peitscht Metzmacher in eine gleißende Martialik.

Deutlich spannender als die Welt um Kaiser Karl den Großen gelingt Schubert die Zeichnung der Gegenwelt, insbesondere der aufmüpfigen Maurenfürsten-Tochter Florinda, die von Dorothea Röschmann – mit großartiger Gestaltungskraft in der melodramatischen Teichoskopie – verkörpert und arios hinreißend gesungen wird.

In der Titelfigur der Heroisch-romantischen Oper in drei Akten, die Schubert durch seinen Intimfreund Joseph Kupelwieser als Libretto geschaffen wurde, sah sich der Komponist vermutlich selbst porträtiert: Fierrabras, der Sohn des Maurenfürsten hat keine Chancen bei der Tochter des Karls; in Freundschaft zu dem ihn verratenden Eginhard geht er freiwillig in Kerkerhaft, beschwichtigt für einen anderen Freund, den zum Tode verurteilten Ritter Robert, den Hass seines Vaters und schließt sich am Ende, partnerlos geblieben, dem Heer der Franken an. Dieses Charakterbild vermag der Tenor Michael Schade mit heller, kerniger Stimmführung glaubhaft zu vermitteln.

Stimmlich überzeugend auch die lyrische Sopranistin Julia Kleiter als Karls Tochter Emma und der kräftige Tenor Benjamin Bernheim als ihr unstandesgemäßer Liebhaber Eginhard, sowie der vielseitige Bariton Markus Werba als Roland. Hinreißend in seiner stimmlich souveränen Gestaltung, bietet der Bassist Georg Zeppenfeld mit balsamischer Stimmführung als König Karl die rundeste Leistung des Abends. Vergleichsweise schwach bleibt sein Stimmfachkollege Peter Kálmán als Karls Gegenspieler, der Maurenfürst Boland.

Trefflich klingt das Ensemble des Frauenchors, auch hinter der Szene, und großartig gelingt die Nummer 14, der a cappella-Herrenchor, bei verdunkeltem Orchester (Choreinstudierung der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor: Ernst Raffelsberger).

Am Ende der dritten Aufführung gab es lautstarken Zuspruch des Publikums für eine leider nur musikalisch überzeugende Interpretation.

  • Weitere Aufführungen: 22., 25. und 27. August 2014.
  • TV-Übertragung in 3sat: 4. Oktober 2014

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!