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Jennifer Larmore (Hélène), Jun-Sang Han (Pâris). Foto: Klaus Lefebvre
Jennifer Larmore (Hélène), Jun-Sang Han (Pâris). Foto: Klaus Lefebvre
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Sex statt Frivolität – Offenbachs „La belle Hélène“ in Hamburg: knallbunt und allzu eindeutig

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Jacques Offenbach hat in seiner Opéra bouffe „La belle Hélène“ unter dem Deckmäntelchen der Antikenparodie ein Füllhorn an Spott über die herrschende Klasse im Paris der 1860er-Jahre ausgegossen. Helden des Trojanischen Krieges wie Achill und Ajax begegnen uns als larmoyante oder pseudopotente Remakes. Gelangweilte Gattinnen mittleren Alters haben der Komponist und seine Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy dagegen verschont.

Diese Spezies nehmen dafür die beiden Frankokanadier André Barbe (Ausstattung) und Renaud Doucet (Regie) in ihrer Lesart ins Visier, mit der die Hamburgische Staatsoper gerade ihre Saison eröffnet hat: Mag sein, dass Hélène einmal die schönste Frau der Welt war, von der im Text die Rede ist, aber das wäre dann schon eine Weile her. Kein unwiderstehlich verführerischer Hauch umgibt die Titelfigur, sondern der Hautgoût der Jagd nach der letzten Gelegenheit.

Diese Umdeutung steht emblematisch für das gesamte Regiekonzept. Barbe und Doucet sind bekannt für ihre frechen szenischen Einfälle und überbordende, akribisch am Zeitkolorit orientierte Ausstattung. Wenn sie also in Hamburg Offenbachs Gesellschaftssatire von der Antike auf ein Kreuzfahrtschiff der 1960er-Jahre verlegen, geht an psychedelischem Mustermix, turmhohen Betonfrisuren und Miniröcken kein Weg vorbei. Knallfarben, wohin das Auge sieht. Grüne Wellen umrahmen die Bühne von allen Seiten und deuten den Strudel der Ereignisse an, in den das Schiff hineingezogen wird, im Hintergrund erhebt sich ein Schiffsschornstein, und in Hélènes Boudoir hängen gleich Dutzende von Spiegeln. Und immer geistern mal Mitglieder aus der verderbten Mythensippe durchs Bild, auch wenn sie in der Geschichte von Hélènes Entführung keinen Auftritt haben, Elektra etwa, als tumbe Walküre mit Ringel-T-Shirt und Axt.

Die geist- und anspielungsreiche Überwältigungsästhetik ist in sich schlüssig. Die Frage ist aber, ob ein vor Anzüglichkeit flirrendes Werk wie „La belle Hélène“ soviele zusätzliche Chiffren braucht. Wenn sich die Königin von Sparta dem mitunter peinlich berührten Pâris mit teutonischer Hemdsärmeligkeit aufdrängt, dann ist das eher zum Schenkelklopfen als zum Kichern hinter vorgehaltener Hand und von der aufregenden Unbestimmtheit französischer Frivolität recht weit weg.

Zwar lassen sich die Darsteller mit sichtlichem Vergnügen auf Doucets präzise Personenführung ein. Aber die geht vor dem Breitwandspektrum der quietschbunten Bühne oft einfach unter. Die Pointen der Dialoge wiederum bleiben oft im Irgendwo zwischen gesprochenem Französisch und den deutschen Übertiteln hängen. Und selbst auf den – deutsch vorgetragenen – Witz vom Griechen, der in der Schweiz ein Gyros-Konto eröffnet, bleibt es still. Da muss schon Angela Merkel eine Schubkarre voller Euros hereinschieben, damit das Publikum reagiert.

Im Zweifel legen Barbe und Doucet lieber mal nach, damit der Witz auch bestimmt rüberkommt. Als von dem berühmten Apfel die Rede ist – den Pâris einst bedauerlicherweise nicht Hélène, sondern der Liebesgöttin Vénus zuwarf –, sind sogleich Wilhelm Tell und Adam zur Stelle, und, damit nicht genug, auch der selige Steve Jobs vom Bühnenhimmel wird noch herabgeseilt.

Dennoch bleibt es eine beeindruckende Ensembleleistung. Die Mezzosopranistin Jennifer Larmore gibt die Matrone Hélène mit Präsenz und Spielwitz. Jede Koloratur sitzt, die Dialoge funkeln, nur auf den einzigartig dunklen Samtton von Larmores Timbre wartet man am Premierenabend vergebens. Der Tenor Jun-Sang Han stemmt die Höhen und fokussiert die Tiefe schlecht und ist als Pâris schlechthin nicht satisfaktionsfähig, während Peter Galliard einen überaus feingezeichneten, dabei urkomischen Schlaffi von Ménélas gibt, Hélènes gehörntem Gatten. Die Nebenrollen sind durchweg erfreulich besetzt, der Chor klingt so agil und transparent, wie man es von seinem Direktor Eberhard Friedrich gewöhnt ist. Und das Orchester unter der Leitung von Gerrit Prießnitz begleitet agogisch flexibel und malt die pastellzarten Töne, die man auf der Bühne vermisst. Schade nur, dass die Abstimmung zwischen Bühne und Graben öfters hakt.

Freundlicher Beifall. Zu Intendantin Simone Youngs letzter Saison hätte man sich einen stärkeren Auftakt gewünscht. Bei dieser Produktion wäre weniger womöglich mehr gewesen.

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