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»BUSSI – DAS MUNICAL« (Ensemble). Foto: © Christian POGO Zach
»BUSSI – DAS MUNICAL« (Ensemble). Foto: © Christian POGO Zach
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Uraufführung von „Bussi – Ein Munical“ bringt Münchens Reithalle zum Toben

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Jaja, München contra Berlin – das galt auch in den noch wilden Achtziger Jahren: Wo gab es denn nun die tollere Club-, Bar- und Underground-Szene? Der „Quatsch-Comedian“ Thomas Hermanns hat diese Jahre in München sehr intensiv durchlebt und findet heute, dass die Musik der „Neuen Deutschen Welle“ deutlich unterschätzt wird. Seine Musical-Idee griff das Staatstheater am Gärtnerplatz auf – doch war da womöglich ein banalisiertes „Kir Royal“ auf RTL-Niveau zu befürchten? Es wurde vielmehr ein umjubelter rockiger Rausch!

Nur zwei kleine Wermutstropfen in die vielen Gläser der aus dem Tanzboden hochklappenden „Bussi“-Bar: Da wird der Neu-Münchner Student Ritchie (hübsch naiv Benjamin Sommerfeld) zum affigen Foto-Modell für „Sexy Space Style“ verlockt - und findet es „geil“ – nur war das Wort damals überhaupt nicht in! Und leider nimmt auch Autor und Regisseur Thomas Hermanns bei der x-ten Verbeugung das aktuelle Unwort in den Mund – schade angesichts des sonstigen Niveaus.

Der Musikfreund muss – statt der vielen Koks-Linien im Werk – doch den klassischen Lorbeerkranz an Band-Leader Andreas Kowalewitz vergeben. Er hat die 16 Songs für eine siebenköpfige Combo neu arrangiert, von E-Bass über Blechbläser und Percussion bis E-Cello - und prompt klangen die Songs durchweg raffinierter, komplexer und differenzierter. Er selbst setzte sich ans Keyboard, groovte sich ein – und dann fegte da ein von ihm immer wieder lachend befeuerter Sound durch die Halle, dass bald alle mitswingten. Dann sang Sabrina Weckerlin als sexy lebenslustige, bildschöne Bar-Sumpfblume Stella von den „Blauen Augen“ des neben ihr schlafenden Ritchie – und plötzlich war da alle süße Intimität einer neuen Liebe. Doch die reale Szene wurde von der damals auf „Strauss-Linie“ getrimmten Polizei auch streng kontrolliert, gipfelnd im skandalösen „Haidhauser Kessel“ von 1985 – auch das war in zwei fabelhaften Musiknummern eingefangen: Urautor Günther Sigl saß strahlend da, als sein „Skandal im Sperrbezirk“ als wilder Höhepunkt vor der Pause fast die ganze Hallenlänge durchtobte. Und später saßen drei Hauptfiguren nach einer Razzia in einer hereingeschobenen Ausnüchterungszelle und sangen Joachim Witts „Ich war der Goldene Reiter - Hey Hey Hey Ich bin ein Kind dieser Stadt - Hey Hey Hey Ich war so hoch auf der Leiter - Doch dann fiel ich ab - Ja dann fiel ich ab“ als Refrain zu bitteren Erzählstrophen. Das hatte Kowalewitz zu einem Terzett arrangiert: Leon van Leeuwenberg als Boulevard-„Trend“-Journalist Wolf Wahn, Enrico De Pieri als herrlicher Hape-Kerkeling-Verschnitt Heli und Sabrina Weckerlins Stella sangen da vom Elend scheiternder Träume und fanden zu einer allen großen Musik ebenbürtigen Lamento-Tiefe – lang anhaltender, beeindruckter Beifall.

Gegen Ende beschworen „Sommer in der Stadt“, „Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein“ und „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“ noch einmal jenes letzte Aufbruchsgefühl, das dann real in „1989“ gipfelte. Der ganzen Song’n-Dance-Truppe um die Barbie von Sandra Steffi, der Band und insbesondere Andreas Kowalewitz ein „Tutti Bravi!“

Doch schon der pfiffige Beginn des Abends hatte gezeigt, dass der bühnen-, witz- und situationserfahrene Thomas Herrmanns sich weit über die seit 1981-82 beginnende Vermüllung durch Privat-TV und –Rundfunk erhob: Publikum und Darsteller standen am Hallenbeginn vor dem Eingang zur „Bussi-Bar“ mit dem gespenstischen Türsteher Schorsch von Matthias Kostya – und durften zum ersten Song „Da – Da – Da“ erst herein. Miriam Busch hatte fabelhaft umgebaut: am Ende ein riesiges Kassetten-Radio mit DJ sprich Tontechnik, das Publikum links und rechts, in der Mitte die lange Spielfläche mit einem Schachbrett des Lebens und jeweils schnell hereingeschobene Bauteile – anfangs auch Reagan-Thatcher-Kohl-Imitate mit den Pershings als reales Zeitkolorit, aus dem alle in die „Bussi-Bar“ flüchteten.

Andreas Janczyks schrille Kostüme beschworen ein Konzentrat jenes „Under- gegen Overground“ im „Koksbräuhaus“. Herrmanns pfiffige Texte verbanden die Songs so theaterwirksam zu einer flüssigen Handlung um Boulevard-Suff-Liebe, dass man aktuell gehypte Dramenautoren gerne daran schulen würde – gipfelnd in Sätzen wie „Münchner Gesetz: dass die Form den Inhalt bei weitem übersteigen muss“. Und dann hatte Herrmanns seiner damaligen Förderin Marianne Sägebrecht als „Bavaria Toleranta“ einen „pfundigen“ Auftritt hineingeschrieben: von einer Tribüne aus erinnerte sie konservative Trachtler und Undergroundler an die vielgerühmte „Liberalitas Bavariae“, die „größer sei als die Wiesn und CSU-Wahlergebnisse“ – da hatte aller gut getimter Spaß auch Tiefgang – und das Gärtnerplatztheater wieder einmal die Nase vorn.

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