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DIE FASCHINGSFEE. Camille Schnoor (Fürstin Alexandra Maria), Daniel Prohaska (Viktor Ronai). Foto: © Marie-Laure Briane
DIE FASCHINGSFEE. Camille Schnoor (Fürstin Alexandra Maria), Daniel Prohaska (Viktor Ronai). Foto: © Marie-Laure Briane
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Vom Zauber des Augenblicks – Münchens Gärtnerplatztheater entstaubt Kálmáns „Faschingsfee“

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Leichte-Muse-Quiz: Welche Operette spielt in München? Ja, Paris, Budapest, Wien und Berlin fallen dem Liebhaber der leicht geschürzten Muse sofort ein – aber diese Bier-Hauptstadt? Doch nach dem Welterfolg der „Csárdásfürstin“ 1915 wurde Emmerich Kálmán bestürmt – und seine so theatererfahrenen wie umtriebigen Librettisten Willner und Österreicher spiegelten die Handlungsstruktur des vorausgegangenen Csárdás-Erfolges „standesverkehrt“ ausgerechnet in den Münchner Fasching von 1917…

In Zeiten von TV-aufgepeppten Faschingsritualen, von allgegenwärtigen Weltproblemen also ein Werk, das 1917, in der horriblen Endphase des Weltkriegschlachtens angesiedelt ist? Da fühlte sich Gärtnerplatz-Intendant Josef Köpplinger als Genre-Kenner und Regisseur herausgefordert. Wie schon damals üblich, bürstete er sprachlichen Staub ab, formulierte um den Kernsatz „Die Welt ist schon verrückt genug!“ vieles so treffsicher wie eingängig neu und fügte Lokalkolorit ein: Alles spielt am Faschingsdienstag in der „Theaterklause“, einem bodenständig bayerischen Lokal zwischen Viktualienmarkt und Gärtnerplatztheater; im Hungerwinter 1917 gibt es am Markt nur Dachs- oder Eichhörnchenfleisch und Wirtin Leopoldine kann nur noch Rübensuppe zum Bier anbieten; dennoch sind die jungen Schwabinger Künstler in dieses Lokal übersiedelt, weil hier die feschen Choristinnen anzutreffen sind – im Mittelpunkt Lori (überbordend bayrisch urwüchsig und kratzbürstig Nadine Zeintl), die ihren Baron Hubert (immer ausgleichend fesch Simon Schnorr) herbestellt hat, weil es nun mit der Heirat endlich was werden soll; der soll eigentlich offiziell seine Kusine, Fürstin Alexandra, zu ihrer Verlobungsfeier ins – bis in die 1960er Jahre – renommierte Hotel Regina bringen, schaut kurz ins Lokal und während er die sofort eifersüchtige Lori zu beruhigen sucht, schauen sich der Maler Victor Ronai und Fürstin Alexandra an – und im Zauber des Augenblicks entbrennt beider lebensbestimmende Liebe… was zu allerlei Turbulenzen führt.

Für das noch immer unbehauste Gärtnerplatztheater haben Judith Leikauf und Karl Fehringer die 1952 gebaute „Alte Kongresshalle“ theatralisch verzaubert: die braune Holztäfelung das Saales geht in den Wirtsraum mit Theke, vielen kleinen Holztischen und Stühlen, Registrierkasse und altem Wandtelefon über; ein großer Wandausschnitt zeigt hinten die verschneite Straße samt Laterne und hinter einem Schneevorhang dirigiert Michael Brandstätter Kálmáns zwischen Walzer, Marsch und Csárdás herrlich changierende Melodien mal turbulent, mal feinsinnig schwelgerisch.

Regisseur Köpplinger zeigt abermals sein Könner-Händchen: nie werk-fremd oder moralinsauer ist der 20.Februar 1917 präsent. An der Wand hängt das Plakat der 52.Aufführung der „Csárdásfürstin“ im „benachbarten Gärtnerplatztheater“. Vor dem Fortissimo-Tutti der Ouvertüre schreiten Rotkreuz-Schwestern und feldgrau uniformierte Soldaten mit dunklen Augenhöhlen stumm durch die Gänge und immer wieder durch die Szenen – fast ein Totentanz; doch sie haben am Arm rote Luftballons – und wenn die über alle Köpfe steigen, dann stellt sich ein Hauch von Losgelöstsein aus der Kriegsrealität ein (nur ihre Tänzchen sind ein stilistischer Missgriff von Alessio Attanasio); der herrlich alt-stramme Polizist von Fritz Graas schneit mehrfach streng herein und erinnert daran, dass seit 1915 alle Faschingsvergnügungen verboten sind; zwei halbherzig strenge „Militärpolizisten“ werden mit Freibier ruhig gestellt, denn die kreuzbunte Mischung aus leichtlebigen und tragischen Choristinnen, arbeitslos hungrigem Bildhauer, Tiermaler, Stehgreifdichter, Ausdruckstänzerin und Kabarettsänger tobt natürlich trotzdem – ein „Bravo“ für Köpplinger Personenzeichnung und Regie! Camille Schnoor nimmt man im herrlichen Kostüm von Dagmar Morell die erst befremdete Fürstin, dann die voller Lebens-, Liebes- und leuchtender Sangeslust sich in ihren „Polterabend“ fallen lassende Frau ab - die dann mit Daniel Prohaskas vital singendem und agierendem Maler alle Standesgrenzen überschreitende Liebende noch nicht so ganz.

Die Krönung des Abends gelingt den vier „lebens-reifen“ Figuren: Gisela Ehrensberger glaubt man neben aller Resolutheit der Wirtin auch die süß-selige Erinnerung ans „Lieben von einst“, wozu dem 85jährigen Franz Wyzner der in sie verliebte Kellner Josef anrührend gelingt; der Herzog Ottokar von Erwin Windegger kommt als lange wartender Verlobter am Ende in die faschingslärmende Theaterklause. Er bekommt gesagt, dass er mit der blutjungen Fürstin wohl kaum eine Dynastie mehr gründen wird, gibt sie resigniert frei – und trifft in Rosl, der Schwester der Wirtin, seine „standesgemäß“ abgebrochene Jugendliebe wieder. Windegger und Dagmar Hellberg verlebendigen da: „Ich war feig“ gegenüber „Ich hab’ nie aufgehört, dich gern zu haben“ – „Ich hab mich fürs Leben entschieden, du für die Konvention“ – „Darf ich dir schreiben, Rosl? Und wollen wir im Frühjahr durch den Englischen Garten spazieren? - Ich geh auch gern durch den Schnee spazieren, lieber Ottokar“ – jenseits von aller turbulenten Gaudi ließen einen da Lebensernst und die „Suche nach der verlorenen Zeit“ innehalten – und angerührt schlucken. Einhellige Begeisterung – und nur langfristiger Trost: angesichts des Höhenflugs des Gärtnerplatztheaters waren alle zehn Aufführungen an einem Vormittag ausverkauft – doch im Karneval 2018 könnte die „Faschingsfee“ dann im generalsanierten und renovierten Stammhaus wieder bezaubern.

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