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Offenbachs Orpheus in Berlin: Stefan Kurt, Cornelius Obonya, Gustav Peter Wöhler und der Staatsopernchor. Foto: Matthias Baus
Offenbachs Orpheus in Berlin: Stefan Kurt, Cornelius Obonya, Gustav Peter Wöhler und der Staatsopernchor. Foto: Matthias Baus
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Wenig komisch: Uraufführung von Christoph Israels Offenbach-Nachvollzug „Orpheus in der Unterwelt“ an der Berliner Staatsoper

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Offenbachs Operetten werden gerne, und auch in Berlin, von Schauspiel-Ensembles realisiert. Nun schließt sich mit ihrer Offenbach-Neuproduktion auch die Staatsoper diesem Trend an und besetzt alle männlichen Rollen und die der Juno mit prominenten Schauspielern. Der von Christoph Israel erstellte musikalische Remix im Song-Stil von Kurt Weill erklingt von einer 12-köpfigen Combo in der Bühnentiefe, während das bemüht kabarettistische Spiel sich alle politischen Anspielungen verkneift.

Jacques Offenbach hat Richards Wagners Werke de facto nur vom Hörensagen, nicht vom Hören gekannt, und so nimmt seine Wagner-Parodie „Symphonie de l’Avenir“ (1860) Wagners „Zukunftsmusik“ zwar textlich aufs Korn, nicht aber musikalisch, wo alles Andere als Wagner alludiert wird, primär Meyerbeers „Afrikanerin“.

Nun wird an der Staatsoper Berlin Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ zu einer integrierten Wagner-Parodie, wenn der als Hirte Aristeus verkleidete Pluto seine Selbstdarstellung in der Melodie der Gralserzählung aus dem „Lohengrin“ zum Besten gibt und die weiblichen Schafe ihn in der Weise der Blumenmädchen aus dem „Parsifal“ umgirren.

Dies passiert in einer Kinderbuch-Welt. Denn gemeinsam mit Conrad Moritz Reinhardt, hat Regisseur Christoph Stölzl, als Ausstatter, die alte Bühnenbild-Idee von Dekorationen in Form reliefartig aufklappbarer Bücher realisiert. Zu den von Höllendamen mit Seilen sichtbar hochgehievten, flachen Kinderbuch-Pop-Ups gehört im zweiten Akt auch ein Bild der Venusgrotte in Linderhof.  Aber die für eine Revuenummer genutzte Reproduktion wird durch den Kalauer des höllischen Reiseführers Pluto, sie stamme von dem seit 1886 in der Hölle als Dekorateur angestellten Ludwig II., verbal zu Tode geritten. Witziger ist Plutos Verweis auf das Auditorium, dies seien die Überreste des 1993 geschlossenen Schiller-Theaters in Berlin und die darin Sitzenden seien ewig dazu verdammt, diese Vorstellung wieder und wieder ansehen zu müssen; dazu wird der Zuschauerraum mit roten Lämpchen illuminiert.

Tatsächlich wird wohl kein Besucher diese Aufführung zum zweiten Mal besuchen, denn trotz trefflicher schauspielerischer Leistungen von Stefan Kurt (als schwuler Musiklehrer Orpheus im Wilson-Duktus), Ben Becker (als einem die Töne höllisch verfehlenden Pluto), Gustav Peter Wöhler (als saturiertem Zeus), Cornelius Obonya („Ich bin Sie!“ – die öffentliche Meinung) und Hans-Michael Rehberg (köstlich als lethesüchtiger Styx) schlägt diese Produktion keine Funken. Doch dieser bedarf Offenbachs eigenwillige Mischung aus Operette, Revue und Kabarett, welche das Paris Napoléon III. auf die Schippe nahm, woran sich in der illustren Schar der Besucher des teuren Théâtre Bouffes-Parisiens der Monarch selbst amüsiert hat.

Die neue musikalische Bearbeitung, für die neben Christoph Israel auch Ingo Ludwig Frenzel und Bernd Werfelmeyer verantwortlich zeichnen, hat in ihren besten Momenten den Charme von Paul Hindemiths im Jahre 1925 entstandener Bearbeitung der „Ouvertüre zum Fliegenden Holländer, wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt".

Ohne eine Übertragung oder Aktualisierung der originalen politischen Anspielungen hat Thomas Pigor die Dialoge und auch die Gesangsnummern neu getextet. Trotz der Dezenz, mit dem unter Julien Salemkours musikalischer Leitung die Combo auch musikalisch im Hintergrund bleibt, sind die gesungenen Texte häufig unverständlich, aber im ansprechend bebilderten Programmheft nachzulesen.

Leider werden die Einfälle arg breit getreten, etwa der Gleichklang von „You know“ mit dem Namen Juno (Irene Rindje mit Schweizer Akzent). Und das berühmte Couplet des Styx, alias Prinz von Arkadien, wird auch nicht witziger, wenn daraus der „Prinz von Nord-Lappalien“ wird.

Einziger Gesangssolist im Reigen der Hauptpartien ist die Sopranistin Evelyn Novak als Eurydike; sie bietet den Gipfel an Textunverständlichkeit. Ihr Gesang und ihre Darstellung sollen offenbar eklatant deutlich machen, dass Schauspieler doch die besseren Sängerdarsteller seien. Oder soll ihre unerotische Ausstrahlung gar das Begehren der Männer ad absurdum führen?

Eurydike zertritt Orpheus die Geige, deren zusammengeklebte Trümmer ihn fortan begleiten. Mit der Figur der öffentlichen Meinung (mit textlichem Bezug zu Facebook-Freundschaften) startet Orpheus dann mit einem Modell-Flieger zum Olymp. Der magere Witz der nur im Querflug an der Kulisse vorbei passenden Maschine wird mit Wiederholungen tot geritten. Während dieser Flug nur gemimt wird, ziehen leicht geschürzte Höllenfrauen den korpulenten Jupiter als Fliege an Seilen sichtbar in die Höhe; und dann schwebt neben ihm auch noch die zur Fliege mutierte Eurydike im Flugwerk.

Wirklich großartig an diesem Abend ist der in Ursula Kudrnas grünen, aufreizend knappen Bodys dekolletierte, exzessiv spielfreudige  Damenchor, den Frank Flade einstudiert und Mara Kurotschka choreographiert hat.

Hausherr Flimm, der mit dieser Produktion sowohl den Kölner Karneval, als auch das Metier Schauspiel ins Schiller-Theater (zurück)geholt hat, schien glücklich über diesen Abend, der beim Premierenpublikum wenig Lacher, keinen Widerspruch, aber auch nur extrem kurzen Schlussapplaus ausgelöst hat.

Weitere Aufführungen: 18., 23., 25., 28. Dezember 2011, 4., 17. und 19. Januar 2012

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