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v.l.n.r. Heinz Heisinger, Grant McDaniel, Hans Steunzer, Nora Gubisch (Judith), Gábor Bretz (Herzog Blaubart), Herbert Ottendorfer. Herzog Blaubarts Burg. Foto: Bernd Uhlig.
v.l.n.r. Heinz Heisinger, Grant McDaniel, Hans Steunzer, Nora Gubisch (Judith), Gábor Bretz (Herzog Blaubart), Herbert Ottendorfer. Herzog Blaubarts Burg. Foto: Bernd Uhlig.
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Wiener Festwochen: Andrea Breth kombiniert Bartóks „Blaubart“ mit Schumanns „Geistervariationen“

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Es gestaltete sich ein ruhiger, äußerlich unaufgeregter Abend: Anfang und Ende leise bis an die Hörgrenze. Langsam hebt sich der Vorhang im Theater an der Wien und gibt zur Stille zunächst nur einen Spalt frei. Der übel beleumundete Herzog taucht aus der Finsternis auf („Aufgeschlagen sind die Vorhänge unserer Augen“). Gábor Bretz sitzt vor sieben dunklen Türen auf einem Stuhl und spricht zur Seite – den Prolog des symbolistisch-expressionistischen „Blaubart“-Librettos von Béla Balázs.

Der stellt eine „alte Sage“ in Aussicht und fragt, wo die Bühne sei: „In mir, in dir? Mann oder Frau? Bitterkeit und Glück … wie erreicht es uns?“ Die leise ungarische Kékszakállú-Rezitation erreicht das Parkett so wenig wie die Ränge mit Absichtserklärung, Aussage, Botschaft. Sie initiiert solistische Sprach-Kammermusik, in die alsbald das Orchester einstimmt. Bretz, der distinguierte Bariton, kündigt seiner zusammengekauert vorm Ess- oder Trinktisch liegenden Partnerin an: Man sei am Ziel. Worauf sie erst einmal nicht reagiert. Vielleicht, weil da ein alter Mann, das Gesicht unverwandt der Wand zugewandt, langsam von Tür zu Tür rückt. Offensichtlich ein Irritations- oder Störfaktor für intime Zweisamkeit.

Die Szene legt nahe: Der Herr der Immobilie und zunächst auch gänzlich der Situation mag fürs Erste sein Ziel erreicht haben. Er hat Judit heim in sein Reich geführt und – ersichtlich – unterworfen. Die anfängliche Bewegungslosigkeit legt allerdings die Erwägung nahe, dass die von der Frau akzeptierte, ja: nachgerade provozierte Inbeschlagnahme keineswegs ganz frisch ist. Die beiden Sänger sind längst angekommen in der Verstrickung ihrer Körper, Geister und Seelen. Freilich – der Orchesterton schreitet aus – scheint die Zeit für eine Beziehungs-Diskussion gekommen und damit Judits Fragestunde. Nora Gubisch führt sie, nicht ohne gelegentliche Signale der erotischen Aufmerksamkeit für Blaubart, mit diszipliniert geführter und zielsicherer Stimme durch. Sie lässt sich schon beim Ringen um die Wasserkaraffe auch körperlich nicht so einfach an die Wand drücken. Die aus Frankreich stammende Sopranistin zeigt, dass sie weiß, was sie will.

Sichtlich gehören ihr die Sympathien der Regisseurin. Die lässt, was vom Libretto wohl gar nicht so wörtlich gemeint ist, in alle sieben Kammern von Blaubarts Burg blicken. Das erfordert den erheblichsten bühnentechnischen Aufwand – die Rückwand rückt und öffnet sich. Gewährt diese siebenfache Verrückung auch Erkenntnisgewinn? In der Folterkammer wischt ein Alter Blut vom Tisch – ein Opfer liegt bewegungslos neben einem umgekippten Stuhl (die Zuseher wurden in den letzten Wochen wieder hinreichend daran erinnert, dass innere Sicherheit ihren Preis hat und daher lässt sie auch ein stiller Hinweis auf zupackende Befragungstechniken von Herzen kalt). In der Waffenkammer stehen stumm etliche alte Männer, freilich ohne martialische Gerätschaften, sondern mit Weckern in den Händen (auch die können Tatwaffen sein, gewiss).

Die Schatzkammer zeichnet sich durch schließfächerbestückte Wände aus wie eine ordentliche Kreissparkasse (über den „wirklichen Wert“ der Bestände sagt die Fassade bekanntlich wenig aus). Die Lilien in einem Überrest von Burggarten werden, ganz im Wortsinn des Textes, von einer Bettlerin gereicht. Das „weite Land“ reicht durchs Panoramafenster in die fünfte Kammer hinein (eine schöne Idee von Bühnenbildner Martin Zehetgruber!) – das Paar legt sich Seit an Seite dort eine zeitlang nieder. In Kammer sechs hat sich quasirealistisch ein Tränensee auf dem Boden angesammelt; mit Eva Desseckers Kostümen wird ein Kleiderspiel arrangiert. Und dann kann der Herzog Judit nicht daran hindern, auch die Tür zur letzten (und naturgemäß für „die Neue“ interessantesten) Kammer zu öffnen: Sie nimmt, wir nehmen ihre Vorgängerinnen und Konkurrentinnen zur Kenntnis, denen der Morgen, der Mittag und der Abend gehört. Dass ihr nur die Nacht gehört, findet sie nicht erbaulich. Blaubart kämmt sie, als wäre sie ein der Kunstgeschichte entstiegenes Objekt. „Entseelt“ sinkt sie, gleich Richard Wagners Isolde, mit ihren Schwestern zu Boden.

Kent Nagano hat mit dem Gustav Mahler Jugendorchester das im wesentlichen distinguierte Beziehungsgespräch mit Feinfühligkeit begleitet – mit Sinn für den kurz hervorbrechenden Sonnenglanz und mit Sensibilität für die Nuancen der Hänge- und Würge-Partie. Ob wissentlich oder unwillkürlich: Die Wiener Festwochen haben szenisch wie musikalisch einen Gegenentwurf vorgelegt zur musikalisch dampfenden und szenisch körperbetonten, übergriffigen, höchstintensiven Interpretation, die Bartóks Hauptwerk im März dieses Jahres an der Komischen Oper Berlin durch Henrik Nánási und Calixto Bieito erfuhr. Das Publikum hat die Zurücknahme nur wenig gedankt.

Auch den Nachtrag nicht, mit dem Andrea Breth die bislang nur als Statisten eingesetzten SchauspielerInnen mit einer Ruhigstellungs- und Bewegungs-Etüde zur Entfaltung ihrer Möglichkeiten gelangen lassen wollte. Verbunden durch Distanzen sitzen die Mimen zwischen Radiatoren und warten (in der Ferne bellt ein Hund). Sie warten und warten, als könne Godot doch noch die linke Wienzeile erreichen. Gelegentlich streuen sie eine mehr oder minder dröge Lebensweisheit ein – übers Begreifen oder über die zur Unzeit steifen beziehungsweise schlaffen Glieder. Der kleine Radioapparat, Blaubarts einzige Zerstreuung während Judits Herausforderungen, kehrt wieder. Und dann, während der Abend in Dämmerung versinkt, spielt Elisabeth Leonskaja (aus dem Off) wunderbar samtpfötig das Thema nebst Variationen Es-Dur, mit dem sich Robert Schumann 1854 von seiner Clara und endgültig in die geistige Umnachtung verabschiedete. Aha: Da berührte der zweite Teil des Abends nun doch noch ein weiteres Mal auf ganz bildungsbürgerlichfeinsinnige Art den ersten. Aber nur an den Fingerspitzen.

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