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Biermanns Lebensbilanz: «Warte nicht auf bessre Zeiten!». Foto: nmzMedia
Liedermacher Wolf Biermann erinnert an Maueröffnung. Foto: nmzMedia
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Wolf Biermann und die Viererbande vom Zentralquartett – ein Liedermacher mitten im Jazz

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Der Barde Wolf Biermann war schon immer für Überraschungen gut – er ist es noch heute. Einst hat er das Zentralkomitee schockiert, die unfreiwillige Vorhut des DDR-Untergangs, nun konzertiert er mit dem Zentralquartett, den Vorreitern des Free Jazz im Osten.

Frage: Wolf Biermann, „Ermutigung“ heißt eines Ihrer bekanntesten Lieder. Auch die aktuellen Konzerte – soeben in Dresden, am 8. November im Berliner Ensemble – tragen diesen Titel, eine Reminiszenz?

Wolf Biermann: Dieses Lied schrieb ich als junger Mann für einen alten Mann, für den Dichter Peter Huchel, der in der DDR in großen Schwierigkeiten und sehr niedergedrückt war. Dem wollte ich junger Kerl mit meinem Lied beistehen. Damals konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, was aus diesem Lied einmal wird. Es war vor allem in den Gefängnissen der DDR populär, das weiß ich von vielen Häftlingen. Die hatten dieses Lied in ihren Zellen gesungen und es gegessen wie ein Stückchen Seelenbrot. Besonders schön finde ich, dass viele damals gar nicht wußten, wer es geschrieben hatte.

Die Jazzleute, mit denen ich jetzt spiele, waren schon damals meine Freunde, als ich verboten war. Sie konnten nicht mit mir auftreten, sonst wäre ihre Karriere am Ende gewesen. Jazz hatte es sowieso schwer genug, weil die Bonzen ihn ablehnten,  vor allem die Free-Jazz-Athleten fanden sie zum Kotzen.

Jetzt können wir die „Ermutigung“ zusammen spielen, es ist ein zeitloses Lied geworden, weil es immer das ausdrückt, was Menschen brauchen können. Egal in welcher Zeit sie gerade leben.

Ihr gemeinsames Debüt in Dresden und Berlin ist der friedlichen Revolution von 1989 gewidmet. Wie notwendig ist Ermutigung heute?

Alle Menschen, die irgendwie lebendig in einer Gesellschaft stecken, kämpfen mit Verzweiflung, mit Angst und Resignation. Also brauchen sie in diesem ewigen Streit der Welt, der so alt ist wie die Menschheit und in neuem Gewande immer wieder entfacht wird, auch immer wieder Ermutigung.

Gerade im Osten ist es für viele eine unglaubliche seelische Strapaze, wenn die Unterdrücker von gestern jetzt als Demokraten maskiert die Regierung übernehmen wie in Thüringen.

Trauen Sie diesen Leuten denn keine Veränderung zu?

Natürlich, alle Menschen verändern sich. Ich selbst bin ja ein Kommunistenkind gewesen, allerdings in die Nazizeit hineingeboren, und bin mit 16 Jahren in die DDR gegangen, weil ich dort lernen wollte, wie man die Menschheit rettet und den Kommunismus aufbaut. Wie Sie sehen, habe ich mich sehr verändert.

Es wäre idiotisch, zu glauben, dass sich die Menschen in der Partei „die Linke“ nicht verändern und sich neue Haltungen aneignen könnten. Sie sind in einem Lebensprozess wie wir alle, das schließt also nicht aus, dass ich einzelne Leute von denen treffe und spreche. Aber die geistigen und materiellen Erben der DDR-Diktatur, ganz egal wie wirklich verändert sie sich haben oder ob sie nur umgeschminkt sind, halte ich für einen reaktionären und undemokratischen Verein. Das sind keine Linken im positiven Sinne.

Ihre Ermutigung zielt auf die ganze Gesellschaft?

Das ist ja ein psychologischer Begriff, eine allgemein menschliche Haltung, die uns alle überall auf der Welt betrifft. Ermutigung braucht der im Gefängnis genauso wie der im Aufsichtsrat oder der im Arbeitsamt.

Offenbar habe ich mit meinem Lied einen Nerv getroffen. Erst neulich bei einem Konzert in Schweden, wo es den Leuten ja chronisch so hervorragend geht, dass sie sich fast dafür schämen, habe ich erlebt, wie populär dieses Lied ist. Nach einem Konzert mit dem Göteborger Kammerchor schenkte mir der Bischof dort das neueste Kirchengesangbuch – und was fand ich darin? „Uppmuntran“! Das ist schon komisch und sympathisch zugleich, dass der Oberhirte zum Wolf kommt und ihm ein  evangelisches Gesangsbuch für seine Schafe gibt. Obwohl die ja wissen, dass ich nicht an Gott glaube.

Aber Ihr Dresden-Konzert fand in einer Kirche statt …

Den Ort habe ich mir nicht ausgesucht, aber der ist mir fast egal. Ich singe dort, wo ich lebendige Menschen treffe, warum  also nicht in einer Kirche? Ich würde sogar lieber vor Menschen in einem Schweinestall singen als vor Schweinen in einem Palast.

Sie und das Zentralquartett sind doch eigentlich grundverschieden. Was hat Sie für diese Konzerte zusammengeführt?

Jeder sieht sofort, das sind zwei Elemente, die nicht identisch sind. Vielleicht passen wir aber doch zusammen? Wir haben in gewisser Weise dieselben Wurzeln im Blues. Der Free Jazz wollte sich von den Gesetzen des Jazz befreien, auch meine Lieder sind eine Art Blues, deutscher Blues eben. Meine ersten Konzerte in Amerika  wurden als preußischer Blues angekündigt!

Diese Grundhaltung gibt es in jeder Musikkultur, beim spanischen Flamenco, beim Fado aus Portugal – das ist Gesang von tief innen, Cante jondo, wie García Lorca mal sagte. Und das haben wir gemeinsam.

Welchen Bezug haben Sie zum Zentralquartett?

Wir kennen uns schon lange. Günter Baby Sommer hatte ich schon vor Jahren missbraucht, als ich 30 wurde und das erste Jahr verboten war. Aus diesem Jahr stammt übrigens auch meine „Ermutigung“.

Ich schrieb damals meine „Bilanzballade im 30. Jahr“ und wir wollten eine Tonaufnahme in meiner Wohnung in der Berliner Chausseestraße 131 machen. Da aber Tag und Nacht sechs Spitzel der Staatssicherheit vor meiner Tür standen, wäre es sehr ungesund für Baby Sommer gewesen, wenn er sein Schlagzeug durchs Haus geschleppt hätte. Also kam er mit bloßen Händen und nahm eine mit den Matchbox-Autos meiner Kinder gefüllte Keksdose als Schlagzeug. Ein geiles Geräusch!

Auf der CBS-Platte durfte Sommers Name dann natürlich auch nicht stehen, und die Fachleute im Westen haben überlegt,wie die Ost-Leute diesen tollen Ton hingekriegt haben …

Das Improvisationstalent des Ostens!

Genau. In der Nähe der Schwierigkeiten wachsen die Erfindungen!

Ihre jüngsten Konzerte hatten in Peitz schon eine Art Generalprobe. Wie haben Sie diesen Abend denn geplant?

In diesem Mekka der DDR-Jazzer traten wir zufällig auch in einer Kirche auf. Die  vier Jazzer des Zentralquartetts sind ja immer schon kesse Witzbolde gewesen, wie man an der ironischen Anspielung ihres Namens auf das damals herrschende Zentralkomitee sieht.

Jetzt werden wir drei etwa halbstündige Konzertteile vorstellen. Erst singt Biermann zur Gitarre einige seiner Lieder, die dazu beigetragen haben, dass Menschen den Mut hatten sich zu wehren. Dann spielen die Musiker des legendären Zentralquartetts ihre Titel. Anschließend  gibts Biermann-Lieder im Arrangement des Zentralquartetts. Für diesen Teil haben mir die vier Schufte die Gitarre komplett verboten. Aber ich habe mir bei einigen Titeln meine Frau Pamela als Sängerin dazu geholt.

Wolf Biermann kennt man als Dichter und Liedermacher, nicht aber als Jazzer. Welchen Bezug haben Sie zu dieser Musik?

Ich kenne den ganz frühen Jazz von Muddy Waters, Billie Holiday und Bessie Smith vorwärts und rückwärts. Der Blues, der Romantiker Franz Schubert und mein Lehrer Hanns Eisler sind die drei Quellen, die mir immer sehr wichtig gewesen sind.

Interessant am Free Jazz ist, dass er in den USA als ästhetischer Stil entwickelt wurde von Jazzleuten, die musikalisch alle Fesseln sprengen wollten. Wenn dann aber diese Mode Free Jazz über die Mauer in eine Diktatur räuberschwappt, bekommt dieses selbe Wort automatisch eine politische Bedeutung.

Sie werden bald 78, man kennt Sie vor allem durch Ihre alten Lieder. Entstehen heute auch noch neue Stücke?

Das ist so, als ob Sie mich fragen, ob ich noch esse, trinke oder atme. Natürlich! Erst vor kurzem habe ich ein Lied über den russischen Krieg von Putin gegen die Ukraine geschrieben, das werden Sie bald hören können.

Wolf Biermann mischt sich also wieder ein. Kommt von Ihnen, der Sie so sehr mit dem Thema der Bespitzelung durch die Stasi konfrontiert gewesen sind, auch etwas zur NSA?

Das berührt mich überhaupt gar nicht. Ich halte das für eine hysterische Propaganda-Idiotie. Es wundert mich, dass sich Leute darüber wundern, dass die Amerikaner so viel Informationen wie möglich sammeln wollen. Der Unterschied ist doch, ob ein totalitärer Staat die Menschen bespitzelt oder ob eine Demokratie sich über den Streit in der Welt informieren möchte.

Die Demokratie ist eine sehr unvollkommene Gesellschaft, das weiß jeder. Aber mir ist eine unvollkommene Demokratie viel lieber als eine vollkommene Diktatur.

  • „Ermutigung“: Wolf Biermann und das Zentralquartett, 8. November, 20 Uhr, Berliner Ensemble

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