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Foto: Matthias Heyde
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Zwischen Bordell und Sonnentod – Mascagnis „Iris“ an der Neuköllner Oper

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Eine ungewöhnliche Publikumsmischung in der Neuköllner Oper: ältere Besucher, denen man sonst eher in den drei großen Berliner Opernhäusern begegnet, gemischt mit sehr viel jüngeren Opernbesuchern, darunter zahlreichen italienisch sprechendem Publikum und sehr vielen Asiaten, insbesondere Japanern.

Letzteres verwundert nicht, denn die Oper des italienischen Veristen Pietro Mascagni spielt in Japan, und die Neuköllner Oper hat einige Hauptpartien mit japanischen Sängerinnen besetzt. Gesungen wird in deutscher Übersetzung – inzwischen eine Besonderheit, die sogar an der Komischen Oper, deren neue deutsche Übersetzungen bis Ende der vorangegangenen Intendanz eine spezifische Qualität und ein Alleinstellungsmerkmal bildeten, nicht mehr die Regel ist.

Doch die Neufasssung integriert auch japanische Texte. So werden etwa die überaus poetischen Szenerieschilderung des Librettisten Luigi Illica in japanischer Sprache melodramatisch rezitiert und deutsch übertitelt. Auf diese Weise entsteht gleich eine Quasi-Authentizität mit doppeltem Boden, obendrein gemischt mit sehr gekonnt eingesetzten, eigens produzierten Filmen. Halb gemalt, halb mit Darstellern bebildert, sind diese Filme Mangas in greller Farbigkeit. Nachdrücklich gelungen ist die Verfilmung des Gleichnisses, welches Iris erzählt: der Krake als Lust und Tod. Im weiteren Verlauf der in ihrer Intensität überzeigenden Inszenierung von Fabian Gerhardt kommen auch Projektionen von Wärmekameras zum Einsatz. Bei der Rappresentazione im ersten Akt, dem Spiel im Spiel, bewegen sich dich Gesangssolisten puppenhaft, mit übergroßen Manga-Köpfen.

Wohl aus Marketinggründen hat Theaterchef Bernhard Glocksin seiner Bearbeitung den Titel „Iris Butterfly“ gegeben. Tatsächlich war Mascagni Puccinis Oper „Madama Butterfly“ sieben Jahre voraus. Die 1898 in Rom uraufgeführte Oper, in deutscher Übersetzung von Max Kalbeck erstmals 1899 in Frankfurt/Main, fand Ende des 20. Jahrhunderts durch die CBS-Schallplatten-Einspielung unter Giuseppe Patané zu neuer Beachtung.  Die Aufführung in Berlin – nach Konstanze Lauterbachs Braunschweiger Mascagni-Inszenierung der „Isabeau“, 2011 als späte deutsche Erstaufführung – ist die Produktion der Neuköllner Oper eine kleine Sensation.

Das Ausstattungsteam VON JUNE (Rebekka Dornhege Reyes und Nina Thielen) rückt ins Zentrum des klassisch japanischen Verschiebetapeten-Raums mit transparenten Papierwänden einen weißen, begehbaren Ring: Brunnenrand und Untiefe, im dritten Akt jener Schlammfluss, in dem Lumpensammler nach Werten suchen und die im Goldkleid angeschwemmte Iris finden und ausziehen werden. Ein weiterer weißer Kreis dient, hochkant gestellt, als das Schaufenster, in welchem Iris im zweiten Akt prostituiert und von ihrem blinden Vater mit Schlamm beworfen wird.

Die musikalische Bearbeitung von Alexandra Barkovskaya und Derik Listemann reduziert Mascagnis großen Orchesterapparat auf eine solistische Formation von nur sechs Spielern. Gleichwohl entsteht zunehmend der Klang des Originalorchesters mit seinen japanischen Farben – durch die geschickte Mischung von Flöte, Violine, Kontrabass, Horn, Posaune und Schlagwerk sowie Elektronik und Klavier (dominant nur am Anfang, beim Entstehen des Stimmungsbildes). Live auf der Bühne erklingt im zweiten Akt das japanische Sàmisen. Dirigent Hans-Peter Kirchberg, auch an Keyboard und Klavier, leitet das Instrumentarium hinter der Bühne und die Sänger über Monitore. Trotz Reduzierung vermag er die Spezifik dieser Perle des italienischen Jugendstils trefflich aufleuchten zu lassen.

Gesungen wird beachtlich, wobei die Solisten der großen Partien auch die kleinen Rollen mit verkörpern und ihre Stimmen zu einem (teils vorproduzierten) Chor von Sonne und Blumen vereinigen, optisch überhöht durch die grell farbigen Mangazeichnungen der Videos.

Als die aus dem väterlichen Garten ins Bordell entführte jungfräuliche Blume Iris vermag die Sopranistin SuJin Bae zu überzeugen, besonders in ihren kindlichen Momenten, doch auch eindrucksstark in ihrem Leiden, bis hin zur Apotheose beim symbolistisch überhöhten Sonnen-Tod.

Originalität im doppelten Sinne transportieren Yuri Mizobuchi als Puppe und Geisha und Seri Baek als Dhia und Geisha. Elias Han überzeugt als Iris’ blinder Vater. Weniger zufrieden war ich mit der stimmlichen Leistung von Till Bleckwedel als Bordellbesitzer Kyoto.

Nach so großen Vorbildern wie Enrico Caruso, Benjamino Gigli oder eben – auf CD – Placido Domingo hat es Gustavo Eda in der Partie des Osaka schwer, doch überzeugt er als ein kraftvoll und bisweilen auch schön singender Fiesling, insbesondere in der doppelbödigen Serenade, dem populärsten Stück aus dieser Oper, der spezifischen Mischung aus „theatralisch verlogene[r] Melodik [...] mit dem wahren Ausdruck erotischer Erregung“ (Rein Zondergeld).

Eine sehens- und hörenswerte Produktion!

  • Weitere Aufführungen: 23., 26., 28. und 30. April, 1., 4., 6., 8., 10, 12., 14., 17., 19., 21. und 22. Mai 2016.

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