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Stefan Michalk. Foto: Hufner
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Der Charme der Idee trügt

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BVMI-Geschäftsführer Stefan Michalk im Gespräch über die Kulturflatrate
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Mit zehn Argumenten hat sich Ende Januar der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) gegen das Modell einer Kulturflatrate ausgesprochen (siehe auch Seite 1). Juan Martin Koch befragte den BVMI-Geschäftsführer Stefan Michalk (Foto: Martin Hufner) zu den Hintergründen.

neue musikzeitung: Auf der Homepage des BVMI zählt ein dramatischer Counter die illegalen Downloads in Deutschland seit dem 1. Januar 2010. Etwa zehn pro Sekunde scheinen das zu sein. Woher kommen diese Zahlen?
Stefan Michalk: Der Counter basiert auf Zahlen, die wir über die so genannte GfK-Brennerstudie ermitteln. Das ist eine der, wenn nicht die umfangreichste und valideste Studie zum Thema Privatkopien und illegale Downloads. Die machen wir seit sechs Jahren. 10.000 Menschen werden repräsentativ für die deutsche Bevölkerung danach befragt, was sie so auf CDs und DVDs brennen, was sie auf Sticks kopieren und was sie aus dem Internet herunterladen. Derzeit zeigt der Counter in der Summe 316.000.000 illegale Downloads für das Jahr 2008 an. Das entspricht hochgerechnet etwa zehn Downloads pro Sekunde. Die aktuellen Zahlen für 2009 kommen in wenigen Wochen.

nmz: Wissen die Nutzer selbst so genau, was legal und was illegal ist?
Michalk: Wir fragen, aus welchen Quellen die Musik kommt. Was dafür spricht, dass die Studie ein vergleichsweise wirklichkeitstreues Bild abgibt, ist die Zahl der legalen Downloads, die genannt werden. Die korreliert sehr stark mit der Zahl, die wir über die Abverkäufe der Downloadshops ermitteln.

nmz: Als ein Modell, auf die illegalen Downloads und das Nutzerverhalten im Netz insgesamt zu reagieren, wird seit einiger Zeit die so genannte Kulturflatrate, also eine Pauschalabgabe auf Internetzugänge diskutiert, gegen die Sie Ende Januar ausführlich Stellung bezogen haben. Warum erst jetzt, hat man die Tragweite des Modells unterschätzt?
Michalk: Nein. Die Idee gibt es schon sehr lange, aber sie hat relativ wenig Resonanz gefunden. Vergangenes Jahr wurde sie im Bundestagswahlkampf dann wieder etwas intensiver von den Grünen aufgenommen. Die Partei hatte eine Studie in Auftrag gegeben, inwieweit sich die Kulturflatrate in einen europäischen Rechtsrahmen einfügen ließe. Leider haben sie nicht gleich den großen Wurf gemacht und nach dem internationalen Rechtsrahmen gefragt, vor allem nach dem amerikanischen. Mittlerweile wird das Thema in Deutschland in den Parteien kaum noch ernsthaft diskutiert. Die Gefahr besteht aber in dem Charme der Idee, der die Komplexität des Urheberrechts in der digitalen Welt mit einer kurzen Formel scheinbar lösbar macht. Das zu denken, ist aber ein Fehler.

nmz: Es würden aber immerhin einmal Erträge in einem Bereich fließen, aus dem bisher nichts kommt …
Michalk: Das behaupten die Befürworter immer, obwohl noch keiner sagen kann, in welcher Größenordnung an wen verteilt werden soll und wie. Es gibt auch keine validen Einschätzungen darüber, inwieweit den bestehenden legalen Geschäftsmodellen der Boden entzogen würde.

nmz: Ihre Gegenargumente 1 und 3 könnte man so zusammenfassen: Die Flatrate ist ungerecht und unsozial. Bei den Rundfunkgebühren funktioniert das aber doch eigentlich ganz gut, oder?
Michalk: Ja, aber man muss sagen, dass der Rundfunk in unserer Gesellschaft eine andere Bedeutung hat. Die Gebühren wurden eingeführt, weil man den Medien eine unverzichtbare Rolle in der Demokratie zumisst ... Die Konsumenten, die sich legal verhalten, würden demnach den Musikkonsum derjenigen, die meinen, sich umsonst bedienen zu können, mitbezahlen.

nmz: In Argument 5 und 9 geht es um eine drohende Verflachung, weil alles pauschal gleich behandelt wird, Hochkultur und Schund, und das Gefühl für die Wertigkeit verloren gehe. Schon jetzt komme ich aber an eine ordentliche Klassik-CD billiger als an den neuesten Pop-Mist von der Stange. Außerdem haben Sie gemäß einer Mitteilung vom Mai 2009 ja auch nichts gegen privatwirtschaftliche Modelle mit Pauschalbeträgen.
Michalk: Gegen privatwirtschaftliche Modelle habe ich nichts, weil diese sich tragen müssen und der Konsument am Ende selbst entscheiden kann, welches er wählt. Und sie werden anders aussehen als eine allgemeine Flatrate, nämlich zum Beispiel auf einen Abonnementzeitraum begrenzt und mit der Berechtigung, in diesem Zeitraum eine bestimmte Zahl von Musikstücken zu behalten. Ich kann die pauschale Bewertung, dass Klassik per se einen höheren Wert hat als Popmusik nicht nachvollziehen und überlasse es lieber dem Konsumenten, durch seine Nachfrage den Preis zu regulieren. Vor allem aber überlasse ich es dem Anbieter, der frei darüber entscheiden soll, zu welchem Preis er sein Produkt anbietet. Durch die Kulturflatrate verlören die Rechteinhaber im digitalen Bereich die Hoheit über ihr Werk.

nmz: Sie malen auch das Ungeheuer einer gigantischen Bürokratie und Verwaltung an die Wand. Die Abrechnung würde aber doch weitgehend über digitale Verfahren laufen, oder?
Michalk: Was bei diesem Konzept immer vergessen wird, ist, dass da am Ende mehrere Bereiche zusammenkommen würden: die Musik-, die Filmwirtschaft, aber auch die Bücher, die Designer, die Fotografen und alle, die Texte schreiben. Auf lange Sicht laufen ja all diese Branchen in ähnliche Probleme hinein, wie sie die Musikindustrie in den letzten Jahren erlebt hat. Wenn da einmal Gelder zur Verteilung anstehen, werden alle Branchen an die Tür klopfen und ihren Anteil haben wollen. Es wird sich also auch die Frage stellen, wer sich da überhaupt registrieren lassen kann und wie ausgeschüttet wird. Ich glaube nicht, dass es da mit einer Institution in der Größe etwa der GEMA getan wäre.

nmz: In Ihrem zweiten Argument gegen die Kulturflatrate heißt es: „Die Kultur- und Kreativwirtschaft arbeitet mit Hochdruck am Aufbau neuer, digitaler Geschäftsmodelle.“ Wie sehen diese aus und wie sind die Erfolgsaussichten?
Michalk: Die Erfolgsaussichten hängen ganz stark davon ab, inwieweit es gelingen wird, die Illegalität in den Griff zu bekommen. Wir schauen da gebannt nach Frankreich, wo man mit dem Versand von Warnhinweisen das erste Mal den Versuch unternimmt, das Übel wirklich bei der Wurzel zu packen und in relativ großem Stil dagegen vorzugehen.

nmz: Das sind aber keine neuen Geschäftsmodelle, sondern juristische Schritte.
Michalk: Nichtsdestotrotz wird niemand in Geschäftsmodelle investieren, solange sie gegen kostenlose Angebote konkurrieren müssen. Allein in Deutschland gibt es an die 40 legale Angebote unterschiedlichster Formen, vom „À-la-Carte-Download“ über Abo-Modelle bis hin zu Soft-Hardware-Bundles. In anderen Ländern gibt es Vereinbarungen mit Internet-Providern, zum Beispiel in Dänemark, wo der Nutzer über seinen Internet-Zugang auch den Zugriff auf eine Musikbibliothek erwirbt. Auch Streaming-Dienste wären zu nennen. Die Industrie hat sich in den letzten zwei, drei Jahren sehr stark auf die Nutzungsbedürfnisse der Konsumenten eingestellt.

nmz: Als Industrieverband führen Sie neben der Lobbyarbeit auch Maßnahmen zur Imagebildung durch, darunter den von der Deutschen Phono-Akademie durchgeführten ECHO-Preis. Der bringt Ihnen Jahr für Jahr neben der Publicity aber auch viel Spott und Häme darüber ein, dass sich die Musikindustrie hier nur selbst belobigt. Ist der ECHO wirklich eine wirksame Imagemaßnahme?
Michalk: Der Deutsche Musikpreis ECHO ist die Leistungsschau der deutschen Musikbranche. Er bezieht sich auf die Verkaufserfolge der Künstler, die für das geehrt werden, was sie geleistet haben. Erfolg lässt sich an der Ladenkasse weitgehend neutral messen. Überdies gibt es ja viele Kategorien, in denen auch junge, unbekannte Künstler geehrt werden. Und es gibt den ECHO Klassik und dieses Jahr zum ersten Mal auch einen ECHO Jazz. Bei den beiden letztgenannten Awards entscheidet eine Jury über die Preisvergabe. Es liegt in der Natur der Sache, dass über solche Preise immer eine gewisse Häme ausgeschüttet wird. Meist von denen, die nie Chancen auf einen Preis haben werden oder nicht eingeladen sind.

nmz: Was tut der BVMI, um das Piraterieproblem an der kulturellen Wurzel zu packen, die ja mit musikalischer Bildung zu tun hat?
Michalk: Es gab über lange Jahre das Projekt School Tour, das aus Schadensersatzzahlungen der Pirateriebekämpfung finanziert wurde. Das war ein tolles, aber auch sehr kostenintensives Projekt im Vergleich zum Nutzen. Vor eineinhalb Jahren haben wir die School Tour in ein neues Projekt überführt: PlayFair – Respect Music, das wir zusammen mit der Hochschule für Musik und Theater Hannover durchführen. Da geht es darum, Konzepte zu entwickeln, mit denen ein Aufklärungsgedanke über Lehrpläne und Unterrichtseinheiten vermittelt werden kann, also darum, Schülern bewusst zu machen, was für eine Arbeit in einem Stück Musik steckt.

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