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Adorno 2003 – Vergessen durch Erinnern

Untertitel
Eine Biografie im Schatten des kalten Krieges &#183
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Adorno, Marx u.a.
Selbstorganisiertes Seminar zur Entwicklung eines kritischen Gesellschaftsbegriffs mit Texten von Adorno, Marx u.a. 14. – 21. März 2003 im Spessart. Tel: 040/43 17 47 39; E-Mail: ollitolli [at] aol.com (ollitolli[at]aol[dot]com)

Eine Anzeige in Jungle World, siebter Jahrgang [12. März 2003], S. 26, (Kleinanzeigenteil): Man weiß nicht so recht zu sagen, was Adorno und Eisler eigentlich noch im 21. Jahrhundert verloren haben. Wenn Walter Benjamins These stimmen sollte, dass im kleinsten Dokument der ganze Geschichtsprozess aufbewahrt sei, so darf einen der zitierte Zeitungsausschnitt nicht gerade froh stimmen. Ein Seminar mit Texten von Adorno und Marx im Spessart, als E-Mail-Adresse fungiert ein Postfach des gegenwärtig weltgrößten Medienunternehmens: America Online/Time Warner. Ist das einer der Unterwanderungsprozesse, also der Versuch, von innen heraus und durch die Medienmacht hindurch und im Spessart, wie eine Motte in ihrem Mantel einen „kritischen Gesellschaftsbegriff“ zu formulieren? Ich weiß weder, zu welchen Ergebnissen dieses Seminar gelangte, noch ob es wenigstens „ollitolli“ im Spessart war.

Barbarei der Erinnerung

Es scheint gerade so, als ob einem die Dokumente des letzten Jahrhunderts, gerade auch die künstlerischen, nicht mehr als Substanz zufallen. Das komplette Jahrhundert wird überschattet von Äußerungen menschlicher Barbarei. Kein Bereich aus Kunst und Wissen lässt sich mehr unverwandelt zurückholen. Von Adorno bleibt gegenwärtig auch nicht viel übrig außer diese neuen Erinnerungsbilder, die man zumal anlässlich einer Jubiläumssituation wieder soweit hervorkramt, damit man sie nur schneller vergessen kann. Die Sache lässt sich mit einem Jubiläum prima erledigen. Etwas Schlechtes sagen, das tut man nicht, es sei denn, es habe jemand anderes dies gesagt, der selbst auf dem gleichen Jubiläumsniveau ist wie der zu Ehrende. Das ist eine gute Zeit für ein Herumfummeln in den tiefen Taschen des Privaten. Anekdoten kann man herauskramen (lassen), Tratsch funktioniert natürlich noch besser und sicherlich findet sich auch irgendwo ein Brief, der peinlich berühren kann. Man kann die Personen aber auch ehren, indem man sie zu Material macht, zu einem beliebigen Gegenstand der Erkenntnis. Wenn dies im Jubiläumsjahr passiert, dann hat man dafür den besten Grund gefunden, den zu Ehrenden zu entwerten. Denn für ein ganz gewöhnliches Jahr scheint offenbar der Inhalt oder Gehalt seines Werkes zu schwach. In diesem Adorno-Jahr, das auch ein Berlioz-Jahr ist, wie es ein Bix-Beiderbecke-Jahr ist, packt man also die „Negative Dialektik“ mal wieder ins geistige Marschgepäck, wo man sie ganz tief einlagert, entrüstet sich über „Philosophie der neuen Musik“, und am bes-ten man bekommt sowieso alles auf einmal unter den Hut: Im Beiderbecke-Berlioz-Adorno Jahr. Man liegt meines Erachtens nicht falsch, wenn man sich eingesteht, dass Adorno im Jahr 2003 so präsent oder wichtig ist wie 2002.

Rückblick

In den siebziger Jahren wurde es fast zu einem Sport in der westdeutschen Musikwissenschaft, Adorno nach allen Regeln der Wissenschaft lächerlich machen zu wollen, das Werk auf vermeintliche Kernsätze zu reduzieren und möglichst in die Erstarrung zu bringen oder ihn zu imitieren. Oskar Negt hat die sogenannten orthodoxen Schüler Adornos folgendermaßen kritisiert: „Die strikte Anwendung Ador-no’scher Gedanken führt zu unlebendiger Imitation, der natürlich die originale Spontaneität der Ursprungsideen fehlt. Das ist der Tod der Theorie: dass man sie wiederholt“ (Oskar Negt, Unbotmäßige Zeitgenossen, Annäherungen und Erinnerungen, Frankfurt/M. 1994, S. 27). Bloß nicht anschließen, nur nicht den Versuch unternehmen, Adorno weiter zu denken und zu entdecken. Nach Adornos Tod kroch es dann aus allen Löchern: Adorno habe das Singen abgeschafft, Adorno habe Strawinsky nicht leiden können, Adorno sei Schuld an der Isolation der Neue-Musik-Szene, Adorno habe den Jazz nie verstanden, kurzum: Adorno hat der Musikkultur eigentlich nur Schaden zugefügt, Adorno sei bloß ein Schwätzer gewesen, der nicht einmal komponieren konnte. Ausnahmen finden sich sehr selten: Zum Beispiel bei Oskar Negt (nur ein Beispiel: Arbeit und menschliche Würde, Göttingen 2001) und Alexander Kluge oder später in den 80er-Jahren in einigen philosophischen Arbeiten beispielsweise von Josef Früchtl (Mimesis. Konstellationen eines Zentralbegriffs bei Adorno, Würzburg 1986) oder Anke Thyen (Negative Dialektik. Zur Rationalität des Nichtidentischen bei Adorno, Frankfurt/Main 1989). Ein anderer Neuansatz wie in Steffen Mahnkopfs „Kritik der neuen Musik. Entwurf einer Musik des 21. Jahrhunderts“ (Kassel 1998) bleibt gefangen in einer dogmatisch-einseitigen Lesart, wie sie oben Negt kritisiert hat, ist aber immerhin den Versuch wert gewesen.

Doppelmoppel

Es bietet sich ein kurzer Blick an auf ein anderes Gesicht: Hanns Eisler, den Komponisten, mit dem Adorno eine duchwachsene Freundschaft verband, die allerdings unterirdisch in den Schriften der beiden zahlreiche ganz konkrete Verbindungen aufweist (siehe dazu meinen Beitrag auf dem Eisler-Symposium 1998: http://www. kritische-musik.de/noframes/eisler-ador no.shtml). Dennoch wird noch immer sowohl von West- wie von Ostwissenschaftlern eine unbedingte Gegenläufigkeit beider Autoren behauptet, zuletzt in den Frankfurter Adorno-Blättern 7 (2001). Diese Vereinnahmungen sind die letzten, freilich harmlosen Ausläufer des Kalten Krieges. Sie führen allerdings immer noch zu einem verstellten und verengenden Blick: Adorno und Eisler sind noch zu Lebzeiten zu ideologischen Plakaten des Systems degradiert worden, gleichwohl sie eigentlich mehr verband als trennte.

Damit sollen nicht die Unterschiede unterschlagen werden, die es natürlich gibt. Doch das kritische Potenzial von Adorno und Eisler liegt nicht im Trennenden, sondern im Verbindenden. Diese Perspektive ist bis heute verschlossen geblieben und lagert gewissermaßen noch im Giftschrank der bis heute anhaltenden Spaltung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg.

BRD – DDR

Nur einmal hypothetisch gefragt: Wäre es denkbar gewesen, dass Hanns Eisler nach Frankfurt/Main gegangen wäre, während Adorno in Frankfurt/Oder sein Domizil gefunden hätte? Komisch, aber eine solche geografische Konstellation scheint kaum vorstellbar. Warum eigentlich? Und warum sollte man sich dieser hypothetischen Situation überhaupt stellen? Weil es zeigt, worin die größte Differenz zwischen Adorno und Eisler tatsächlich liegt: Nämlich in ihrer gegenseitigen Isolation durch Systeme hindurch.

Zwischen Kommunistenhassern und Imperialismusfeinden waren Adorno und Eisler wie in Töpfen eingekocht. Da ist Adorno, für den sich niemand in den 50er-Jahren wirklich interessiert hat, den die Studentenbewegung der 60er-Jahre ebenso erfreut wie schließlich zermürbt hat. Und da ist Hanns Eisler, der verdiente Künstler des Volkes, der sich krumm genug bog, um 1948 bis 1950 den neuen sozialistischen Staat mit Musik und mit ästhetisch mehr oder minder großem Erfolg zu unterbauen. Beide waren naiv genug zu glauben, man benötige sie. Und beide, Eisler etwas später, konnten feststellen, dass man staatlicherseits, gesellschaftspolitisch gesehen, kaum einen Pfifferling auf sie gab: „Ich bin froh, wenn überhaupt einer der Herren ein Stück von mir spielt. Und glauben Sie mir, es spielt kein Herr mehr ein Stück von mir – oder sehr selten. Wissen Sie warum? Weil es zu schwierig ist. Er muss studieren, muss nachdenken; er muss fünf Proben haben, statt zwei. Deswegen werde ich nicht gespielt in unserer guten, lieben DDR, wo ich mich also wirklich zu Hause fühle.“ (Eisler, Fragen Sie mehr über Brecht, Darmstadt/Neuwied 1986, S. 200). Eisler ging an gegen die „Dummheit in der Musik“ und Adorno gegen die „Dummheit in der Reflexion.“ Wen hat es interessiert?

Ernster Gesang: Vers une musique informelle

1961 – Adorno und Eisler stehen quer. „Ich bin gegen das schlechte Hören und gegen die schlechten Interpreten und ich bin gegen die schlechten Komponisten, die Dummheiten, Schwulst, Dreck und Schwindeleien in der Musik ausüben. Ich bekämpfe das seit 1918. Heute ist 1961. Ich gebe zu, ich bin besiegt worden“ (Eisler, Fragen Sie mehr über Brecht, Darmstadt/Neuwied, S. 192). Adorno resignierte mit dem Satz, der Utopie anvisiert: „Die Gestalt aller künstlerischen Utopie heute ist: Dinge machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind“ (Adorno, Gesammelte Schriften Bd. 16, Frankfurt/Main 1984, S. 540).

1962 – Eisler kümmerte sich offenbar bei der Komposition der „Ernsten Gesänge“ nicht mehr primär darum, was er dem Staat schulde. Die „Ernsten Gesänge“ waren und wurden nie „Volkes eigen“: „Ich glaube, dass ein junger Mensch in der DDR das dritte Lied, ‚Die Verzweiflung‘, kaum goutieren wird. (...),Die Verzweiflung‘ ist natürlich ein Lied, das in einem sozialistischen Land kaum ein Komponist komponiert haben würde. Vor allem ich – ein alter Kommunist! – komponiere plötzlich ,Die Verzweiflung‘! Das mag einen Sinn haben für Leute, die sich in besseren Zeiten um meine Kunst kümmern werden“ (Eisler, Fragen Sie mehr über Brecht, Darmstadt/Neuwied, S. 280). Oder: „Was momentan notwendig ist, weiß ich nicht. Da ich die Oper für schwachsinnig halte – schon wegen der Sänger, die ja unerträglich sind – und die Symphonien, wie Sie sehen, auch für schwachsinnig halte, gibt es nur etwas, was notwendig wäre: Das Schweigen“ (Eisler/Bunge, S. 284). Über Strawinsky schreibt Adorno zur gleichen Zeit hochachtungsvoll: „Strawinsky hat die musikalische Pflicht der Freiheit verleugnet, vielleicht unter der Übermacht objektiver Verzweiflung, aus dem größten Motiv also, einem, das Musik zwänge zu verstummen“ (Adorno, Gesammelte Schriften Bd. 16, Frankfurt/Main 1984, S. 284). An anderer Stelle: „Kunst heißt nicht, Alternativen pointieren, sondern durch nichts anderes als ihre Gestalt dem Weltlauf widerstehen, der den Menschen immerzu die Pistole auf die Brust setzt“ (Adorno, Noten zur Literatur, Frankfurt/Main 1989, S. 413). Ich wiederhole: Beide, Adorno genauso wie Eisler, sind am Ende ihres Lebens Verlierer, zu Verlierern degradiert und Opfer eines Kalten Krieges.

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(Anzeige in Jungle World, 7. Jg. [12. März 2003], S. 26, Kleinanzeigenteil)

Apropos 1903: In diesem Jahr wird in Amerika der Teddy Bear eingeführt, benannt nach Theodore Roosevelt.

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