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Die Liebe in den Zeiten der Neuen-Musik-Netzwerke

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Eine seltsame Idee – ein seltsames Wort: Vermittlung. Nur im Deutschen existiert das Konzept, dass ein Kunstwerk gleichsam als Zwitter existiert, also zuerst einmal als das, was es ist, und als das, was einem davon erklärt, beziehungsweise vermittelt werden muss. Und in unserem Land der Lehrmeister und der gehobenen Zeigefinger hat man deutlich den Eindruck, dass das Erklären und Vermitteln inzwischen wesentlich wichtiger geworden ist als das Kunstwerk selbst. Der Genuss, das tatsächliche Lustempfinden bei der Begegnung etwa mit zeitgenössischer Musik spielt – das ist keine neue Erkenntnis – meistens eine untergeordnete Rolle. Viel dominanter ist das Brimborium von Programmhefttexten und neunmalklugen Ergüssen, das sich als eigenes Biotop der Zweitverwertung entwickelt hat.

Die Vermittlung Neuer Musik ist das Modewort unserer Zunft – und was da alles so vermittelt wird! „Alles so schön bunt hier“, würde Nina Hagen sagen, wenn sie typische Festivalprogramme von heute durchstöberte. Normale Konzerte, in denen Menschen einfach nur auftreten, sich hinsetzen und tatsächlich ein Instrument spielen, gibt es fast nicht mehr, stattdessen allerorten Versuche, diese althergebrachten Formen zu überwinden. Übrigens durchaus mit Berechtigung, ist doch das Konzert seit Mitte des 19. Jahrhunderts in seinen Ritualen und seinem Ablauf ohne Veränderung erstarrt und benötigt dringend neue Impulse.

Nun haben wir also würdige Initiativen wie„Neue Musik im Gefängnis“, „Neue Musik mit Behinderten“ und natürlich den Evergreen „Neue Musik mit Jugendlichen und Kindern aus schwierigen sozialen Verhältnissen“. Selten kommt aber hierzu der Impuls von den Komponisten und Interpreten, sondern diese reagieren auf Anregungen von Förderinstitutionen und Kulturreferaten, die es als ihre Aufgabe empfinden, Neue Musik möglichst „an den Mann“ oder eben an das Kind zu bringen. Die Frage ist, wie viele dieser Projekte von echter Leidenschaft beseelt sind. In den besten Fällen steckt dahinter echte Ambition, in den weniger überzeugenden Fällen ist eine gewisse Verzweiflung zu spüren, seine eigene Berechtigung mittels Aktionismus zu behaupten.

Sätze wie „Wenn das Publikum nicht zur Neuen Musik kommt, kommt die Neue Musik eben zum Publikum“ (Elmar Lampson, Präsident Musikhochschule Hamburg) klingen da fast ein wenig wie „Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt“. Und man hört relativ wenig davon, ob die, zu denen die Neue Musik dann kam, das auch wirklich immer wollten. Bei einem unerwünschten Telefonanruf kann man immerhin auflegen, bei manch „Neuer Musik im öffentlichen Raum“ dagegen hat man keinerlei Ausweichmöglichkeit, denn wenn einem in der U-Bahn aus 40 Lautsprechern die neueste Klanginstallation entgegendräut, bleibt nur der rettende Sprung auf die Gleise.

Strafgefangene und kleine Kinder sind in dieser Hinsicht vielleicht sogar das ideale Neue-Musik-Publikum, denn die einen können nicht wegrennen, und die anderen wissen noch nicht so richtig, wie ihnen geschieht.

Der Komponist Manos Tsangaris äußerte neulich, dass man sich als Autor heute immer mehr wie ein von „Projekt“ zu „Projekt“ hetzender Erfüllungsgehilfe der Ideen von Konzertveranstaltern und Institutionen fühle. Handelt zum Beispiel ein Komponist, der sich plötzlich mittels eines Flugtickets und eines 5-Sterne-Hotelaufenthaltes dazu berufen findet, ein Stück über eine ihm vorher vollkommen schnuppe gewesene Metropole zu schreiben, wirklich noch aus eigenem, dringendem künstlerischen Antrieb?

Aber auch die andere Seite steht unter Zwängen – da die Ermöglicher Neuer Musik immer von der Angst getrieben werden, dass die Musik an sich nicht mehr genügend Leute anzieht, müssen sie sich eben genau solche Projekte ausdenken, um Aufmerksamkeit zu erregen. Man kann also beide Seiten verstehen, die Auftragserfüller wie auch die Auftragserzeuger, aber sollten die grundsätzlichen Impulse nicht doch eher von den Künstlern selbst ausgehen?

Seit einiger Zeit gibt es die Initiative „Netzwerk Neue Musik“, deren Früchte aktuell geerntet werden. Man geht zu Recht davon aus, dass es Neuer Musik an Berührungspunkten fehlt und dass dies gezielt zu ändern sei. Man muss nicht kritisieren, dass hier so etwas versucht wird. Resultat solcher Initiativen und Ausschreibungen sind aber oft Projekte, die fast zynisch auf die wohlfeilen Richtlinien zur Bewerbung reagieren und Geschäftigkeit ohne echte Inhalte vorgeben. Dass Vernetzung als Selbstzweck nicht das Heil ist und uns auch nicht glücklich macht, hat schon das Platzen der meisten Träume vom Internet bewiesen. Immerhin haben wir jetzt eine skurrile neue Form von Konzerten, die ohne bestimmte Floskeln in den Ausschreibungskriterien nie in dieser Form stattgefunden hätten.

Irgendwie hat sich alles umgedreht – wo sich früher Künstler lebenslang einer Vision verschrieben und versuchten, diese Wirklichkeit werden zu lassen, verschreiben wir Komponisten uns heute den Visionen von Kulturreferaten, Sponsoren und Fördererinstitutionen. Natürlich ist eine gegenseitige Anregung wünschenswert, und grundsätzlich ist ein erfüllter Auftrag auch in der Kunst nichts Verwerfliches, aber im Moment begünstigt die Situation nicht wirklich Entwürfe, die von den Komponisten kommen. Genau die braucht es aber wieder.

Auch gibt es ein Missverhältnis: Dort wo Kameras draufgehalten werden, wimmelt es nur so von Initiativen, manch Musiklehrer in geförderter Region kann sich schon gar nicht mehr retten vor lauter „Neue Musik-Projekten“, die ihm quasi stündlich angeboten werden. An anderen Orten wiederum herrscht kulturelle Wüstenei und tapfer versucht vielleicht eine kleine Musikschule, die Fahne der Kultur hochzuhalten.

Wie auch immer – hinter der Sehnsucht nach Vernetzung steckt ja auch die Sehnsucht nach Anschluss. Will heißen: Wir sind zwar Neue-Musik-Freaks, aber wir wollen auch geliebt werden, auch mal hören: „Ich verstehe Dich.“

Um die Sehnsucht nach Liebe hat sich in einem anderen Bereich unserer Gesellschaft eine eigene Profession gebildet, Zärtlichkeiten sind in schummrigen Etablissements käuflich leicht zu erwerben. Aber sowohl in der Neuen Musik wie auch im Bordell gilt: Wahre Liebe kann man nicht kaufen.

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