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Die Musik ist tot

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Zurzeit dreht sich alles um Politik. Nein, falsch. Stop. Zurzeit dreht sich alles um Politiker. Jetzt isses richtig. In Pakistan sterben durch ein furchtbares Erdbeben und seine unmittelbaren Folgen weit mehr als 54.000 Menschen und durch den einsetzenden Winter werden es voraussichtlich – glaubt man den üblichen Schwarzmalern und chronischen Miesmachern – nochmal so viele sein. Nur nebenbei bemerkt: Die USA machen täglich an die elf Millionen Dollar locker, um obdachlose New-Orleans-Opfer in Hotels unterzubringen, während die Weltgemeinschaft den Hunderttausenden, die in Guatemala und El Salvador durch den Hurrikan Stan obdachlos wurden, tutto completto gerade mal dreieinhalb Millionen aus den Gucci-Spendierhosen geholt hat. Das ist Stand Mitte Oktober, aber deswegen nicht weniger beschämend.

Davon haben Sie seinerzeit gar nix in den Nachrichten mitbekommen? Eben. Nun rast erneut ein Hurrikan, diesmal mit dem herzigen Namen Wilma, auf Mittelamerika zu. Die Menschen dort haben also nicht mal Zeit sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob und wie ihr Leben weitergeht. Bei uns hingegen zerbricht man sich darüber den Kopf, warum Stasi-Kollaborateur Lothar Bisky nicht zum Bundestagsvize gewählt wird. Oder ob Angélique Merkel nun eine schwache oder starke Kanzlerin sein wird. Ob der Schröder sich ganz aus der Politik zurückzieht oder wie oder was. Die deutsche Gehirnpygmäenzucht, vertreten durch sein effektivstes Propagandainstrument, die Glotze, will uns, dem von der Politik so oft gepriesenen und stets hochgehaltenen Souverän, vermitteln, wir hätten als Wähler mal wieder das ganz große Rad gedreht.

Heute Vormittag, ich fuhr bei Sonnenschein übers Land, schwadronierte Herr Ulrich Wickert in unserem schwäbischen SWR1 über sich und die Welt. Natürlich hauptsächlich über sich. Auf das Ergebnis der Bundestagswahl angesprochen, sagte er: „Der Wähler ist äußerst intelligent.“ Als ich das hörte, habe ich sofort den Sender gewechselt. Ich kann dieses Scheißgeschwätz einfach nicht mehr ertragen. Schon gar nicht beim Autofahren. Viel zu gefährlich. Wickerts Gesprächspartner war aber sehr, sehr angetan. Ich, der Souverän, warte nun schon geraume Zeit darauf, dass mir endlich mal einer der Berliner Narzissen erzählt, was sie denn nun endlich zu tun gedenken. Zum Beispiel von wegen der nicht vorhandenen Arbeitsplätze. Lese aber gerade, dass sich die Koalitionsverhandlungen bis Mitte November ziehen werden. Am 11.11. beginnt die neue Karnevalssession, was ja ganz hervorragend zusammengeht. Schließlich hat Berlin inzwischen auch einen Rosenmontagszug. Ach ja, Herr Wickert findet die große Koalition übrigens spannend. Weil da echte „Techniker“ dabei sind. Frau von der Leyen und Frau Schavan beispielsweise. Er hat erklärt, was er damit meint, aber ich hab’s, obwohl ich der Souverän und angeblich „äußerst intelligent“ bin, nicht verstanden.

Ich weiß, dies alles hat nix mit Musik zu tun. Aber man muss auch mal über so was ein paar Worte verlieren können. Heute Mittag wieder zuhause angekommen, hab ich meiner Gibson SG eine offene D-Stimmung verpasst, an meinem Gitarrenverstärker die britische Einstellung (alle Regler auf 10) gewählt und mich und meine Nachbarn mit ein wenig herzerfrischendem Death-Metal erfreut. Und dem Nächsten, der mir erzählt, er findet die Große Koalition „spannend“, dem hau’ ich eine rein.

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