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Gemeinsam an der Verbesserung von JeKits arbeiten

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Replik auf Ute Völkers Referat „Erfolgsgeschichte oder Trauerspiel? 15 Jahre JeKi und JeKits“, nmz 7/8-2018, Seite 34
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Unter dem Titel „Erfolgsgeschichte oder Trauerspiel? 15 Jahre JeKi und JeKits“ leert Ute Völker, Vorsitzende der ver.di-Landesfachgruppe Musik in NRW, ihr Argumentationsfüllhorn vornehmlich über der zweiten Waagschale, dem „Trauerspiel“, aus, sodass der geneigte Leser aus den persönlichen und nicht repräsentativen Erfahrungen und Einschätzungen Ute Völkers schnell den Eindruck destilliert, JeKi und JeKits, das geht ja gar nicht. Nicht aus der Perspektive der Arbeitsbedingungen für die beteiligten Lehrkräfte und nicht aus dem Blickwinkel pädagogischer Sinnhaftigkeit.

Gewiss ist es kein Zufall, dass „Jedem Kind ein Instrument“ in Bochum entstand, der Heimat von Norbert Lammert, der seit Jahren nicht müde wird, den „lausigen Zustand“ der kulturellen Bildung in Deutschland zu beklagen. Wie wichtig ist uns Musik, wenn anhaltend bis zu 80 Prozent des Musikunterrichts allein an den Grundschulen ausfallen oder fachfremd erteilt werden? Und das seit Jahrzehnten, mit der Folge, dass die heute 30- bis 50-Jährigen den Wert musikalischer Bildung gar nicht kennen und deshalb schon lange keine Förderinstanz mehr sind, wenn es um die musikalische Ausbildung und Entwicklung ihrer Kinder geht. So drohen Zugänge zur Musik für viele Menschen lebenslang verschlossen zu bleiben und damit auch deren Teilhabe am kulturellen und am gesellschaftlichen Leben.

Es gehört zur DNA von JeKi und JeKits, hier die Kompetenz von Musikschulen zu nutzen – und mit der Einführung der Schwerpunkte Singen und Tanzen auch weiterer außerschulischer Bildungseinrichtungen –, um möglichst vielen Kindern eben diese Zugänge zum musikalischen Erleben auch dauerhaft zu öffnen. Alle Kinder haben ein Recht darauf: Das Recht auf eine umfassende Bildung unter Einschluss der kulturellen und hier speziell der musikalischen, und das Recht, an der Musik in ihrer ganzen Vielfalt und Vielgestaltigkeit teilhaben zu können, unabhängig von ihrem sozialen Status, dem Bildungsstand ihrer Eltern, ihrer Herkunft oder schlicht ihren familiären Lebensumständen. Damit ist der von Musikschulen so vielbeschworene öffentliche oder gesellschaftliche Auftrag noch nie so greifbar gewesen wie heute.

Für diesen Auftrag haben wir an den JeKits-Grundschulen in NRW die denkbar besten Startbedingungen: Die Grundschulen öffnen sich als Kooperationspartner den zusätzlichen kulturellen Bildungsangeboten. Die meis­ten dem Instrumentalspiel, viele aber auch dem Singen und dem Tanzen. Die allgemeinbildende Schule ist der einzige Ort, an dem wir wirklich alle Kinder erreichen, daher werden mit JeKits die Schule und die Instrumental-, Vokal- und Tanzpädagogik sowie das gemeinsame künstlerische Handeln zusammengedacht und zusammengebracht. Für zahllose Kinder ist das der einzig mögliche Einstieg in eine musikalische Bildungsbiographie.

Für die Musikschule der Vor-JeKi-Zeit, also Stand 2003, bedeutet das gravierende Veränderungen, deren Radikalität sich an den Einlassungen Ute Völkers unter der Überschrift „Zum Inhaltlichen“ ermessen lässt.

Kooperation

Im Tandem mit der Grundschullehrkraft zu unterrichten, ist weder uns Musikschullehrkräften noch den Lehrkräften der Grundschule in die Wiege gelegt. Da sind auf beiden Seiten Vorbehalte, Unsicherheiten, Unkenntnis der jeweiligen Kompetenzen und vieles mehr zu überwinden. Aber: Die Zusammenarbeit eröffnet die Chance, die Kinder mit den gebündelten Kompetenzen beider Partner aus Kultur- und Grundschulpädagogik für die kulturellen Inhalte zu begeistern. JeKits nimmt diesen Gedanken der gemeinsamen Unterrichtsgestaltung inklusive der Vor- und Nachbereitung so ernst, dass die JeKits-1-Lehrkräfte hierfür zusätzlich zu den tariflichen Zeiten für Zusammen­hangstätigkeiten mit einer zeitlichen Kooperationspauschale ausgestattet werden. Auf Seiten der Grundschule steht dieser Schritt leider noch aus.

Zu den neuen Aufgaben von Musikschulen und anderen außerschulischen Bildungseinrichtungen gehört es, Kooperationen mit den allgemeinbildenden Schulen vor Ort zu gestalten. Angesichts der vollkommen anderen Organisationsstruktur ein schwieriges Unterfangen. Das kann nur gelingen, wenn auf allen Ebenen gehandelt wird: Kooperationsvereinbarungen sind Sache der Leitungen, die praktische Ausgestaltung kann nur von den Lehrkräften vor Ort geleistet werden. Da ist großer Gestaltungsspielraum und viel Platz für  Eigeninitiative, und ich habe zahllose Beispiele vor Augen, wo JeKits-Lehrkräfte bestens in die Grundschulkollegien integriert sind. Zu den signifikantesten Ergebnissen einer Blitzumfrage, die ich anlässlich der Veröffentlichung des Referats von Ute Völker unter den außerschulischen Bildungspartnern der Jekits-Stiftung durchgeführt habe, gehört übrigens die Einschätzung zur Akzeptanz von JeKits in den Grundschulen: Unter den bis heute mehr als 60 eingegangenen Antworten findet sich nicht eine einzige Zustimmung zu Ute Völkers Aussage, JeKits sei „eigentlich nicht gewollt“.

Gemeinsames Musizieren

Nicht weniger drastisch stellen sich die Veränderungen im Bereich des gemeinsamen Musizierens, Singens und Tanzens von Anfang an dar. Gehörte es im instrumentalen Bereich seit Jahrzehnten zu unseren Grundüberzeugungen, dass die ersten Schritte auf dem Instrument im geschützten Raum des Instrumentalunterrichts unternommen werden und das Zusammenspiel mit anderen Instrumenten erst dann sinnvoll ist, wenn ein gewisses Maß an Grundfertigkeiten im Umgang mit dem eigenen Instrument erreicht ist, fordert das JeKits-Orches­ter von jeder Lehrkraft eine völlige Neuorientierung: Zunächst die Erkenntnis, dass gemeinsames Musizieren bereits im ersten JeKits-Jahr stattgefunden hat und die Kinder entsprechende Erfahrungen mitbringen, auf denen sie im JeKits-Orchester aufbauen können. Diese Erkenntnis bringt den Dialog zwischen JeKits-1-Lehrkräften und JeKits- Orchesterleitungen in Schwung.

Zweiter Schritt: Ein neues Musikverständnis entwickeln, das sich weniger an Leistung orientiert als an der gemeinsamen Gestaltung künstlerischer Momente, an der alle, Schüler wie Lehrkräfte, auf der Grundlage von Toleranz und gegenseitigem Respekt teilhaben und eine Kultur des Miteinander entwickeln können.

Wie das umzusetzen ist? Daran arbeiten seit 2016 Lehrkräfte aus unserer Mitte in der von der JeKits-Stiftung und dem LVdM NRW gemeinsam getragenen JeKits-Akademie. Praxisimpulse, Reflexionen und Schlüsselfragen sind in der großartigen Dokumentation „Vom Lauern auf den Moment“ nachzulesen. Darüber hinaus teilen die Akademisten ihre Erkenntnisse innerhalb des Angebots „JeKits-Akademie unterwegs“ gern mit Musikschulkollegien sowie den weiteren Bildungspartnern der Stiftung.

Arbeitsverhältnisse

Die mit JeKi und JeKits verbundenen (Kooperations-)Aufgaben sind nur in weisungsgebundenen, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zu bewältigen. Das ist fixer Bestandteil der Verträge zwischen der JeKits-Stiftung und den programmbeteiligten Kommunen. Daher werfe ich in die Waagschale „Erfolgsgeschichte“ den durch JeKi entstandenen massiven Aufwuchs an TVöD- Stellen an den Musikschulen im Ruhrgebiet. Was die Entscheidung einer Kommune für oder gegen die Teilnahme an diesen Programmen mit deren Finanzkraft zu tun hat, erschließt sich mir allerdings nicht.  Meine Kommune ist arm und hat sich 2007 für JeKi entschieden.

Kernbereichsstunden wurden nicht umgewandelt, jede JeKi-Stunde wurde mit zusätzlichen Lehrkräften besetzt. Da vielfach junge Lehrkräfte eingestellt wurden, hat das Kollegium einen Verjüngungsprozess erfahren, der ohne JeKi nicht möglich gewesen wäre. Dies trifft in ähnlicher Weise für viele Musikschulen zu, daher werfe ich auch noch die durch Verjüngung erreichte Zukunftsfähigkeit der Musikschulkollegien in die Waagschale „Erfolgsgeschichte“.

Ein Programm zur Rettung notleidender Musikschulen sind Jeki und JeKits niemals gewesen. Als kulturelles Bildungsprogramm gibt JeKits der Institution Musikschule aber den Anstoß, sich den veränderten gesellschaftlichen Realitäten strukturell zu stellen und den aktuellen Bedürfnissen der Menschen in unserer Gesellschaft Rechnung zu tragen. Auch dieser Schritt in Richtung inklusiven Denkens und Handelns gehört für mich in die Waagschale „Erfolgsgeschichte“.

Sind JeKi und JeKits nun eine Erfolgsgeschichte oder doch eher ein Trauerspiel? Es kommt ganz darauf an, was wir daraus machen. Ich bin völlig einig mit Ute Völker, wenn sie Entwicklungsnotwendigkeiten in der Ausgestaltung sieht. An der Verbesserung von JeKits müssen wir arbeiten, gemeinsam und ständig. Denn unsere Kinder brauchen Musik. Für ihr Leben.

Übrigens wurde das Unternehmen Tesla ebenfalls 2003 gegründet. Selbst mit einem Jahresumsatz von 11,73 Milliarden Dollar sind auch die noch lange nicht am Ziel.

Bernd Smalla ist Sprecher der außerschulischen Bildungspartner der JeKits-Stiftung und stellvertretender Vorsitzender des LVdM NRW

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