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Mit Tränen in den Augen

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Die Dresdner Frauenkirche bekommt eine Allerweltsorgel
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„Wir haben uns im Stiftungsrat und Kuratorium jeweils einstimmig für das Konzept Kern entschieden – nach zehnjährigem Abwägen aller Argumente. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die beste Entscheidung für unsere Frauenkirche getroffen haben und dass die Dresdner Bevölkerung das mittragen wird – spätestens dann, wenn sie die Orgel gehört haben wird.“

Der so frohgemut am 17. Februar anlässlich der Pressekonferrenz in Sachen neue Frauenkirchenorgel ins Mikrofon hineinsprach, heißt Bernhard Walter. Er ist Banker aus Frankfurt am Main und Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung Frauenkirche Dresden. Das Votum ist also gefallen. Die französische Firma Daniel Kern aus Straßburg wird die Orgel für die Frauenkirche bauen. Dass die Dresdner und natürlich die vielen zu erwartenden Touristen die Orgel in Bälde (ab dem Reformationstag 2005) hören werden, ist jetzt eine juristisch abgemachte Sache. Daran wird wohl kaum noch etwas zu ändern sein, aber dadurch wird die Entscheidung, die eben komplett in die Irre geht, auch nicht besser.

Es ist nämlich schlechterdings ein Unding von Orgel, das da in die Frauenkirche hineingebaut werden soll. Und wenn sich bereits jetzt jemand vorstellen kann, wie eine noch zu bauende Orgel klingt, dann ist dies garantiert kein Manager der Dresdner Bank, sondern ein Orgelbauer. So wie beispielsweise Kristian Wegscheider, dem nach der selbstherrlichen Verkündigung der Fehlentscheidung die Tränen in den Augen standen. Und wenn er dann die Zeitungen vom nächsten Tag quasi visionär hätte vorweg lesen können, wo irrwitzig verkündet wurde, dass die „Frauenkirche eine moderne Orgel“ erhält, dann wäre wohl seine Trauer in blanke Wut umgeschlagen:

„Das Tragische ist ja, dass das Orgelkonzept der Firma Kern antiquiert ist. Es ist keine moderne Orgel, es ist eine Potpourri-Variante von verschiedensten Stilelementen. Da haben sie Pfeifen, die nach Gottfried Silbermann gebaut werden sollen, also mit breitem Labium. Die klingen so richtig sächsisch, wie das sein soll. Sächsische Orgeln klingen eben sächsisch. Das will Herr Kern versuchen hinzubekommen, vielleicht gelingt es ihm auch. Dann aber haben wir noch das französische Element, das geht mit gespitzter Zunge. Auch die Romantik des 19. Jahrhunderts kommt vor, ein völlig anderes Orgelkonzept. Und schließlich will Daniel Kern noch verschiedene Elemente der klassischen französischen Orgel und der brandenburgischen Orgelbaukunst mit einfließen lassen. Und dieser ganze Potpourri-Mix wird hinter ein Gehäuse gestellt, das George Bähr für Gottfried Silbermann entworfen hat und das dem Betrachter automatisch eine Gottfried-Silbermann-Orgel suggeriert.“

Das hierauf am besten passende Wort ist freilich Täuschung, wenn nicht gar Betrug, denn der nach der historischen Vorlage getreu rekonstruierte Orgelprospekt von 1736 wird zu einer potemkin’schen Fassade, hinter dem sich ein Instrument verbirgt, das nichts mit dieser Fassade zu tun hat. Ebenso hat es nichts zu tun mit „Geist und Ästhetik Silbermanns“, auf die sich die Stiftung Frauenkirche quasi poetisch berufen hat. Schließlich setzte man an Stilblüten noch eine drauf und sprach auf der Pressekonferenz geradezu sophistisch von „einer Reflexion des Silbermannschen Geistes“. Das lässt sich kaum noch kommentieren, ohne ausfallend zu werden. Der Ästhetik von Silbermanns Orgelbaukunst, so formulierte es der renommierte Musikwissenschaftler und Leiter des Leipziger Bach-Archivs, Christoph Wolff, hat drei Grundprinzipien: „(a) Perfektion der handwerklich-technischen Ausführung, (b) Harmonie von Design, Klang und Raum, (c) musikalische Stimmigkeit und Ausgewogenheit.“

Das Konzept der Firma Kern, die handwerklich durchaus höchsten Standard besitzt, verletzt allerdings ganz entschieden die beiden ersten Grundprinzipien. Gottfried Silbermann erzielte die „Harmonie von Design, Klang und Raum durch die Wahl des Standortes der Orgel, die Höhe der Orgelempore im Verhältnis zum Deckengewölbe, die Gestaltung der Orgelfassade sowie die optimale Nutzung der damit geschaffenen natürlichen Schallmuschel.“ (Wolff)

So kam er quasi auf ganz natürliche Weise auf ein exakt eingepasstes Orgelgehäuse mit 43 Registern. Das Konzept von Kern, das auf die Vorgaben durch die Stiftung geradezu sklavisch reagieren musste, wenn es den Auftrag ergattern wollte, quetscht da sage und schreibe 65 Register hinein. Das wäre dann ein um 51 Prozent größeres Instrument, das geradezu zwangsläufig erhebliche akustische Probleme heraufbeschwört, denn die einzelnen Register können sich klanglich nicht mehr entfalten.

Um die klangliche Entfaltung ging es freilich schon lange nicht mehr, dann hätte es nämlich in Dresden nie einen Orgelstreit gegeben. Es geht um Großmannssucht, Rechthaberei, Dilettantismus und es geht vor allem um Politik – ein schmieriges Pflaster. Denn wer ernsthaft nach Gründen sucht, warum ausgerechnet in die Dresdner Frauenkirche eine katholisch-französische Allerweltsorgel hineingebaut werden soll, begibt sich auf vermintes Gebiet. Auf dem Rücken der Musik und der Dresdner Bevölkerung wird hier Schabernack getrieben.

Eines ist immerhin klar: die gemeinnützige Stiftung Frauenkirche Dresden ist in aller Verblendung so weit gegangen, auch auf das Geld der Dussmann-Stiftung zu verzichten, die eine Silbermann-Orgel komplett finanziert hätte. Nicht einen Heller hätte man aufbringen müssen, um den Wiederaufbau als Bestandteil der ganzen Frauenkirche locker finanzieren zu können – und es fehlt noch eine erhebliche Summe. Stattdessen sucht man nun händeringend einen neuen Sponsor. Aber welcher Sponsor will schon ein im Vorfeld derart missratenes Instrument bezahlen und dabei, falls er einen guten Namen hat, diesen riskanterweise aufs Spiel setzen?

Ja, mehr noch, es gibt gespendete Gelder, unter anderem vom umtriebigen Nobelpreisträger Günter Blobel – der immerhin 800.000 Euro nach Dresden fließen ließ –, die man zurückverlangen oder auf den entsprechenden Konten einfrieren will. Auch die Gottfried-Silbermann-Gesellschaft in Freiberg verlangt die zweckgebundene Orgelspende von rund 10.000 Euro zurück.

Wie wird das alles nur enden? Wenn es so weiter geht, wird das Orgelproblem das ganze Frauenkirchenprojekt in Misskredit bringen. Einzig der Orgelbauer Daniel Kern könnte jetzt selbst eine korrekte Lösung befördern, meint auch sein Kollege Kristian Wegscheider. Kern sollte als verantwortungsvoller Orgelbaumeister das Für und Wider noch einmal abwägen. Nicht zuletzt auch sein guter Name steht auf dem Spiel.

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