Er hatte Giuseppe Verdi persönlich noch kennengelernt, denn er wohnte der Uraufführung von Verdis Otello bei, 1887 in der Mailänder Scala. Arturo Toscanini war damals zwanzig Jahre alt.
Geboren wurde Toscanini am 25. März 1867 in der Emilia-Romagna, im oberitalienischen Parma, der Hauptstadt des Schinkens und des Parmesan-Käses. Er war der Sohn eines Schneiders, der während des Risorgimento unter Garibaldi gekämpft hatte. Schon im Alter von neun Jahren begann er am Konservatorium seiner Heimatstadt seine musikalische Ausbildung in den Fächern Cello, Klavier und Komposition. Mit Neunzehn verließ er das Konservatorium mit Auszeichnung. Dann ging alles ganz schnell. Er verdingte sich als Cellist bei einer Südamerika-Tournee einer italienischen Operntruppe. Der Dirigent wurde krank, Toscanini sprang ein und dirigierte auswendig, was später zu seinem Markenzeichen wird, Verdis Aida. Der Erfolg, den Toscanini mit seinem Aida-Dirigat hatte, veranlasste den Impresario der Operntruppe, ihm auch noch das Dirigat von La Traviata, Rigoletto, La Gioconda, La Favorita, Die Hugenotten, Faust und einigen anderen Opern anzuvertrauen.
Toscanini wurde zum Shootingstar unter den jungen Dirigenten und dirigierte an den verschiedensten Operhäusern Italiens, bevor er 1898 zum künstlerischen Leiter der Mailänder Scala berufen wurde. Da hatte er bereits Leoncavallos Bajazzo und Puccinis La Bohème uraufgeführt. Den Scala-Chefposten bekleidete er in der Zeit bis 1929 dreimal und insgesamt 17 Jahre lang. Zwischendurch leitete er – von 1908 bis 1915 die New Yorker Metropolitan Opera. Dort brachte er unter anderem Puccinis Mädchen aus dem goldenen Westen zur Uraufführung. Toscanini war einer der ersten Dirigenten, die zwischen Europa und Amerika hin- und herpendelten. 1928 wurde er zum Chefdirigenten der New Yorker Philharmoniker berufen. Er blieb deren Chef bis 1936.
Im Jahre 1929 dirigierte Toscanini zum ersten Mal am Grünen Hügel in Bayreuth. Er liebte nicht nur Verdi, er bewunderte auch Wagner und dirigierte – es war für ihn Ehrensache – in Bayreuth ohne jede Gage. Seine Tannhäuser- und Tristan-Dirigate 1931 wurden zum musikalischen Höhepunkt der Bayreuther Festspielgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Siegfried Wagner hatte ihn kurz vor seinem Tod noch eingeladen, allen Konservativen und Nationalisten zum Trotz. Als Siegfrieds Witwe Winifred mit Hitler paktierte, der 1933 an die Macht gekommen war, weigerte sich Toscanini, jemals wieder den Fuß auf die Bretter der Bayreuther Bühnen zu setzen. An Winifred schrieb er: „Ich verlasse Bayreuth, angewidert und erbittert. Ich kam dorthin mit dem Gefühl, mich einem wahren Heiligtum zu nähern und ich verließ ein banales Theater.“
Der Dirigent Arturo Toscanini war nicht nur musikalisch, sondern auch in seiner moralischen und politischen Integrität unbestechlich und geradlinig, ja konsequent wie nur wenige seiner Zunft. Aus Protest gegen die Judenvernichtung der Nazis weigerte er sich, nach dem Machtantritt Hitlers in Deutschland je wieder aufzutreten, was ihn nicht daran hinderte, zeitlebens und in aller Welt, sei es in New York oder in Südamerika, in Italien wie bei den Salzburger Festspielen, die Musik Wagners aufzuführen, jenseits aller falschen weihrauchschwangeren Teutomanie. Toscanini war einer der besten – und genauesten – Wagnerdirigenten des 20. Jahrhunderts.
Der Wagner- wie Verdibegeisterte, ganz und gar unparteiische und politisch in keine Richtung zu vereinnahmende Arturo Toscanini kehrte nicht nur dem faschistischen Deutschland, sondern auch dem faschistischen Italien – nach zum Teil heftigen politischen Angriffen gegen ihn – den Rücken und verlagerte seinen Wirkungsbereich ganz nach Amerika, in die USA.
1937 gründete die National Broadcasting Corporation (kurz NBC) eigens für Toscanini aus den besten Musikern New Yorks das NBC-Symphony Orchestra, das Toscanini 17 Jahre lang leitete. In dieser Zeit dirigierte er einmal wöchentlich ein Rundfunkkonzert, deren manche in alle Welt übertragen wurden. Der Antifaschist ließ es sich nicht nehmen, noch 1942, am Vorabend des 59. Todestages Richard Wagners eine Tannhäuser-Aufführung live aus der Metropolitan Opera gen Europa und Deutschland im Radio übertragen zu lassen. Friedelind Wagner, die rebellische Tochter Siegfrieds, ebenfalls Antifaschistin und in die USA emigriert, hielt dabei eine unmissverständliche Rundfunkansprache, in der sie den Deutschen ins Gewissen redete: „Mein Großvater ist tot und kann den Missbrauch nicht wehren. Und Hitler, dieser Gotteslästerer, lästert Wagner, indem er ihn zu seinem Liebling macht.“
Arturo Toscanini war nicht nur eine beispiellose moralische Institution, sondern auch eine musikalische. Seine genaueste Partiturkenntnis, seine kompromisslose Exaktheit der Umsetzung, auch seine gründliche Arbeit mit Musikern wie Sängern setzte Maßstäbe. Schon zu Lebzeiten galt er als größter Dirigent des Jahrhunderts. Er hat zahllose nicht nur italienische Opern, sondern auch sinfonische Werke des 20. Jahrhunderts uraufgeführt. Noch mit 80 Jahren war er als Musiker ein jugendlicher Feuerkopf gewesen, unerbittlich streng in der Beachtung musikalischer Genauigkeit, von hörbar partituranalytischem Scharfsinn geprägt, ein Tyrann am Pult, energiegeladen wie ein Vulkan, geradezu explosiv in seinem cholerischen Temperament, und doch mit großem Sinn auch für die Poesie der Musik. Er war äußerst vielseitig, was sein Repertoire anging. Aufnahmen von Debussy, Schubert, Brahms, Tschaikowsky und Respighi bezeugen es. Zu schweigen von Wagner und Verdi.
Er war nicht nur vielseitig, er war auch enorm fleißig. Toscanini brachte allein in den 17 Jahren mit dem NBC Symphony Orchestra 117 Opern und 480 Orchesterwerke zur Aufführung. Vieles davon ist gottlob, auf Tonträgern konserviert worden. 1954 zog er sich vom Podium zurück. Er starb drei Jahre später im Alter von 90 Jahren in New York, am 16. Januar 1957.
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