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Musikkritiker und Zeitungsinserat

Untertitel
Vor 100 Jahren (1920/10)
Publikationsdatum
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[…] Schneidet doch einmal aus einer größeren angesehenen Tageszeitung die in einem Musikwintermonat der Gegenwart gedruckten Konzert- sowie Opernkritiken aus und geht sie hintereinander durch: auf der Hand liegt, daß der Musikredakteur und seine Helfer mit völlig belanglosen Auslassungen über die Notenfabrikate wiederkäuender Komponisten jeglicher Farbe und Herkunft, mit unausgesetztem Breittreten an gleicher Stelle tausendmal besprochener Loewe-Abende und Beethoven-Reproduktionen, mit Aufzählung läppischer Wunderkindereien trotz aller Papierknappheit eine Unzahl Spalten füllen. Notgedrungen, auf Befehl.

Hierdurch werden sie nicht nur zu Registriermaschinen und Phrasendreschern herabgewürdigt; man zwingt sie damit auch, das Bestmögliche ihres beruflichen Tuns, die Erörterung von Fragen der Volksbildung, Volkserziehung, auf ein kümmerliches Mindestmaß zu beschränken oder ganz auszuschalten. Man ertötet in ihnen auf diese Weise die Freude an ihrer Arbeit und bürdet ihnen noch gar die Verantwortung für schmähliche, von ihnen selbst am meisten beklagte Unterlassungssünden auf. Themen von der Allgemeinbedeutung der Reform des Schulgesangsunterrichtes im Rahmen des Schulneubaus der Zukunft, des Ausgleichs zwischen der künstlerischen Leistung und den Gehalts- und Pensionsansprüchen des ernst strebenden, nicht zum Handwerker herabsinkenden Orchestermusikers, der Kulturaufgaben und der Existenzfähigkeit des Theaters im neuen Deutschland: diese Fragen lassen sich in der Musik-Fachpresse anschneiden, mit ehrenfester Gründlichkeit erörtern. Soll jedoch durchschlagende Wirkung erzielt, sollen die Regierungen aufmerksam die an chronischer Schwerhörigkeit leidenden Parlamente aufgeschreckt, die Massen durchgerüttelt, zur Erkenntnis der Wichtigkeit der in Rede stehenden Probleme gebracht werden: so bräuchte es die kräftige Resonanz der Tagespresse. Solcher Resonanz entbehren wir. Nicht weil der Kritiker, sondern weil, verschwindend geringe Ausnahmen abgerechnet, der deutsche Verleger versagt. […]

Dr. Paul Marsop, Neue Musik-Zeitung, 42. Jg., 21. Oktober 1920

 

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