Hauptbild
Rege Teilnahme am Vortrag des VW-Zukunftsforschers Lothar Grabner. Foto: Forward2Business-Büro
Rege Teilnahme am Vortrag des VW-Zukunftsforschers Lothar Grabner. Foto: Forward2Business-Büro
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Neubauten in einer digitalen Welt

Untertitel
Musikwirtschaft im Kongress-Boom und der „forward2business“-Kongress in Halle · Von Barbara Haack
Publikationsdatum
Body

Wer gerne reist, andere Menschen trifft und sich daneben für musikalische Themen interessiert, kann sich heutzutage einem durchaus zeitfüllenden Hobby widmen: dem Kongress-Tourismus. Allerorten lässt sich – mit den entsprechenden Fachleuten – trefflich über Musikpädagogik, Musikwissenschaft, Kulturpolitik, Musikvermittlung und anderes diskutieren. Vor allem, wenn sie mit einer entsprechenden Wirkung in der Öffentlichkeit verbunden sind, haben solche Veranstaltungen durchaus ihre Berechtigung; dokumentieren sie doch in der Regel Schwerpunkte, die in der aktuellen Diskussion jeweils vorherrschen.

Nicht von ungefähr also haben die Macher von Kongressen und Symposien in der jüngsten Vergangenheit zunehmend die Musikwirtschaft als Referenten wie Teilnehmer lockendes Thema entdeckt. „Musik als Wirtschaft“ machte vor zwei Jahren den Vorreiter und wurde in diesem Jahr wiederholt. In Mannheim trafen sich die Kenner der Pop-Wirtschaft, in Berlin lud Steffen Kampeter zum Diskurs über den „Patienten Musikwirtschaft“ ein. In der Tat erwies sich die Branche gerade hier als genesungsbedürftig: Gab es doch – im Anschluss an eine immerhin spannende, kontroverse (und nicht unbedingt neue) Diskussion über die Tonträgerwirtschaft – zum Thema „Perspektive der Veranstalter, Clubbetreiber und Kreativen“ nichts Wichtigeres zu be-streiten als die unterschiedlichen (und aus Veranstalter-Sicht viel zu hohen) GEMA-Tarife in den Berliner Clubs. Dem Zuhörer vermittelten sich hier zwar keine Perspektiven, wohl aber das Zustandsbild einer Branche, die dem Titel der Veranstaltung alle Ehre machte. So attestierte Steffen Kampeter in seinem Schluss-Resümee der Musikwirtschaft zwar, dass sie (noch) nicht auf der Intensiv-Station liege; Positiveres konnte er jedoch – wohl auch angesichts des Diskussions-Verlaufs – nicht vermelden.

Anderes erlebten die Teilnehmer des von MDR Sputnik veranstalteten Zukunftskongresses „forward2busi-ness“, der in diesem Jahr bereits zum dritten Mal stattfand. Zwei Tage lang versammelten sich ausgewählte Teilnehmer aus der Musik- und Entertainment-Branche in Halle, um die Zukunft des Geschäfts mit der Musik zu präsentieren, auszumalen, vorzudenken. Wer hier Gespräche über das „Produkt Musik“ als solches, also über Inhalte und zukünftige musikalische oder stilistische Richtungen erwartete, wurde enttäuscht. Allenfalls am Rande klang es an, beispielsweise als Andreas Borcholte von der Spiegel-online-Redaktion in seinem Eingangs-Statement den Majors die inzwischen übliche Dresche erteilte, alldieweil sich diese nicht in ausreichendem Maße um Entwicklung und Nachwuchs-Förderung gekümmert hätten. Hauptsächlich aber wurde über zukünftige Vertriebswege, Kundenbedürfnisse und technische Entwicklungen gesprochen. Hier allerdings war Spannendes und Neues zu hören.

Während der Microsoft-Referent die „intelligente Küche“ und das vom Handy allerorts regierte Familienleben präsentierte – Zukunftsbilder, die weder besonders wünschenswert noch wirklich innovativ erschienen –, ging es im Panel über Mobiles Entertainment um reale Perspektiven. Nicht Download-Plattformen im Internet seien der Musikmarkt der Zukunft, so Janko Röttgers, sondern die Handys als „kleine Computer, eine Art Fernbedienung für unser Leben“. Das Handy werde nicht nur Musikplattform, sondern auch Kommunikationsmittel Nummer eins werden – hierin waren sich Referenten und Teilnehmer weitgehend einig. Eins lässt sich sicher positiv feststellen: über das Download-Piraterie-Gejammer waren die hier Versammelten längst hinweg. Sie sind offenbar in der Gegenwart, wenn nicht gar in der Zukunft angekommen, wenn es um die Frage des „Wie“, nicht des „Ob“ eines digitalen Musikvertriebs geht.

Andere Zukunfts-Szenarien brachten Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts mit. Während Torsten Linz über „mobile Elektronikkonzepte zur Integration in Kleidung“ referierte und hier unter anderem den in den Ärmel integrierten MP3-Player vorstellte, präsentierte der MP3-Erfinder Karlheinz Brandenburg ein neues Soundsystem, IOSONO mit Namen, das, so hieß es, „nach Einschätzung von Experten den Kino-, Theater- und Clubsound in den kommenden Jahren weltweit revolutionieren wird“. Der in der Gegenwart lebende Kongress-Teilnehmer durfte sich schon fragen, ob denn nun alle hier gepriesenen Neuheiten genau das sind, was die Menschheit braucht und inwieweit tatsächlich neue Produkte auf nachgewiesene Kundenbedürfnisse hin entwickelt werden. Faszinierend waren die Ideen allemal. So wurde denn Karlheinz Brandenburg für seine jüngste Erfindung auch mit dem SPUTNIK Innovator Award 2004 ausgezeichnet.

Teilen musste er sich diesen – und dies war sicher die überraschendere Entscheidung – mit Blixa Bargeld, dem legendären Frontman der „Einstürzenden Neubauten“. Die in den 80er-Jahren Furore machende Band stellte in Halle – wie sollte es anders sein? – ein neues Vertriebsmodell vor. Fans der Band konnten sich bereits vor Produktionsbeginn die erst im Entstehen begriffene CD kaufen, zahlten einen Preis von 35 Euro, durften nun als Beobachter im Internet die Studio-Produktion der Songs mitverfolgen, erhielten eine nicht im Handel käufliche CD und andere Zusatz-Schmankerl. Immerhin 2.000 Vorabkäufer konnten die „Neubauten“ verzeichnen: eine in der digitalen Welt möglich gewordene moderne Form der Subskription, die vermutlich Nachahmer finden wird.

Besonders heftig diskutiert – übrigens nicht nur in Halle – wurde und wird die Frage zukünftiger Bezahl-Regeln für digital empfangene Musik. Befürworter der heute üblichen individuellen Abrechnung (der „Downloader“ zahlt pro empfangenem Song) streiten hier heftig mit den Vertretern einer Pauschal-Gebühr, die, einmal bezahlt, zum grenzenlosen Konsum digitaler Musik berechtigt. Letztere Idee vertrat Oliver Moldenhauer, Mitbegründer von „attac“, auf dem Abschluss-Panel. Dem geballten Protest aus dem Publikum war er kaum gewachsen. Wenn auch faszinierend einfach, erscheint das Modell nicht ausgereift, offene Fragen blieben und bleiben unbeantwortet. Wer zum Beispiel soll die Zuteilung an die Urheber regeln und durchführen: eine zweite „GEMA“? Die Zunahme bürokratischer „Behörden“ dürfte gerade den Attac-Vertreter nicht gerade zu Begeisterungsstürmen veranlassen? Der nicht downloadende Internet-User muss sich im Fall der Pauschal-Abgabe zudem doppelt ärgern. Nicht nur, dass er für eine nicht genutzte Leistung zahlen muss, die Preise der CD, die er, altmodisch, im Laden kauft, würden vermutlich eher an- denn absteigen, kann man doch von zukünftig kleineren Auflagen des real existierenden Tonträgers ausgehen.

Ein breites Spektrum von Fragen und Antworten allemal, die diese zwei Tage in Halle erbrachten. Den Veranstaltern ist es durch intelligente Planung und Vorbereitung gelungen, einen Rahmen zu schaffen, der – längst nicht nur in den Diskussionszelten – Kommunikation und Information, regen Austausch und neue Kontakte ermöglichte. Nicht zuletzt die Einbeziehung branchenfremder Referenten und Teilnehmer trug dazu bei. Der anfänglich erwähnte Kongressbesucher, der sich eigentlich nach Inhalten gesehnt hatte, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die schnöde Geschäftswelt manches Mal kreativer ist als die „Kreativen“.

Bleibt zu wünschen, dass die am Musikleben Beteiligten unterschiedlicher Couleur ins Gespräch kommen. So geschehen in der dem Kongress folgenden „taktlos“-Sendung „Zukunftsmusik“ im Bayerischen Rundfunk, in der Musikrats-Generalsekretär Christian Höppner, direkt eingeflogen vom Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“, auf den „forward2business“-Manager Sven Gábor Jánszky stieß. Anlaufschwierigkeiten bei dem Versuch, eine gemeinsame Gesprächsebene zu finden, wurden im Verlauf der Diskussion zunehmend überwunden. Die Welten sind höchst unterschiedlich – aber letzten Endes wohl doch nicht so weit voneinander entfernt. Die „konservative“ auf Inhalte konzentrierte Welt sollte akzeptieren lernen, dass keiner ein Verbrecher ist, der darüber nachdenkt, wie man mit Musik (möglichst viel) Geld verdienen kann. Diejenigen wiederum, die sich genau damit beschäftigen, sollten die Anregung Christian Höppners aufnehmen, auch über die gesellschaftliche Verantwortung ihres Handelns nachzudenken, über ihre Verantwortung für eine kultur-bewusste musikalische Bildung der Zukunft. Vielleicht ist das ein Thema für den Kongress im nächsten Jahr?

http://www.forward2business.de
http://www.nmz.de/taktlos/2004/takt78.shtml

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!