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Orchester als Beispiele gelingender Demokratie

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Fachtagung „Zukunft(s)Orchester“: Gespräch mit Ekkehard Klemm
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Die Zukunft der Orchester und deren Ausbildung sind ein großes Thema, das nicht erst seit Corona die klassische Musikwelt bewegt. Vom 22. bis 24. Oktober 2020 findet an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber eine Fachtagung „Zukunft(s)Orchester“ statt. Was lernen wir aus der Musikgeschichte des Ensemble- und Orchesterspiels? Wohin sollten sich Orchester zukünftig entwickeln? Welche Ausbildung ist dafür notwendig? Auf der Fachtagung „Zukunft(s)Orchester“ werden sich Dirigent*innen, Dramaturg*innen, Intendant*innen, Musiker*innen, Hochschullehrende, Studierende sowie die Freie Szene genau diesen Fragen stellen. Auf der Basis der gemeinsam gewonnenen Erkenntnisse soll zu Beginn des kommenden Jahres ein in dieser Form einzigartiges Institut an der Hochschule gegründet werden: das Dresdner Institut für Ensemble- und Orchesterentwicklung. Für das Hochschulmagazin der nmz haben wir den Initiator und Leiter des Dresdner Hochschulsinfonieorches­ters, Professor Ekkehard Klemm, zur Zukunft der Orchesterausbildung befragt.

Welche Bedeutung haben Orchester derzeit für die Kultur und die Gesellschaft?

Eine ganz besonders wichtige! Sie sind leuchtende Beispiele eines inspirierten, lebendigen, funktionierenden Miteinanders. Ständiges Agieren und Reagieren im Wechsel, solistisches Hervortreten, kammermusikalisches Einfügen, auch mal in die laute Masse des Tuttis eintauchen, das Verfolgen eines gemeinsamen Ideals, einer zusammen erarbeiteten Interpretation, eines ansteckenden Wirkens mit Musik hinein in die Gesellschaft – das sind alles Sinnbilder gelingender Demokratie. In diesem Sinne ist auch die Anerkennung der zeitlich befristeten Autorität einer geistigen und emotional befeuernden Leitung ein Symbol dessen, wie Demokratie gelingen kann.

Die Orchesterausbildung in Dresden wurde in den vergangenen Jahren neu strukturiert und inhaltlich fokussiert. Warum?

Dresden war schon immer ein Ort hervorragender Orchesterausbildung. Das zeigt sich nicht zuletzt in einer großen Schar von Absolventinnen und Absolventen, die in bedeutenden nationalen wie internationalen Orchestern tätig sind. Allerdings haben sich nach 1990 die Bedingungen insgesamt gewandelt. Das Berufsbild ist differenzierter, internationaler, auch sehr viel anspruchsvoller geworden. Der von Helmut Lachenmann so beschriebene „ästhetische Apparat“ ist heute ein ganz anderer als vor 30 Jahren. Heutzutage gibt es wesentlich mehr Spezialensembles zum Beispiel für Alte und Neue Musik und der Wert des freischaffenden Musizierens hat zugenommen.

Wie würden Sie die aktuelle Ausbildung an der Dresdner Musikhochschule beschreiben?

Wir legen derzeit einen Schwerpunkt auf die Verbindungen zur Praxis. Außerdem fördern und fordern wir die Individualität der künstlerischen Persönlichkeiten mit ihren speziellen Interessen. Konkret wurden – mit Unterstützung durch das Bundesprogramm Qualitätspakt Lehre – in den vergangenen Jahren bisher nicht vorhandene Lehrstühle im Bereich Bläser und Schlagwerk neu geschaffen. Gleichzeitig wurden die Inhalte in Neuer Musik und Musikermedizin ausgeweitet. Die Kammermusik nimmt nun einen besonderen Stellenwert ein und wir bemühen uns darum, die Akademien der sächsischen Orchester stark mit der Hochschule zu verzahnen. Das Modul Markt/Recht/Kommunikation vermittelt zusätzliche Kompetenzen für die selbständige, freischaffende Tätigkeit.

Worauf müssen die Studierenden vorbereitet werden?

Auf einen sehr harten Wettbewerb. Sie müssen nicht nur künstlerisch hervorragend, sondern auch physisch und psychisch belastbar sein. Ich würde den Instrumentalstudierenden raten, sich breit aufzustellen, pädagogische Inhalte ins Studium zu integrieren und ansonsten so viel Ensemble- und Orchesterpraxis wie möglich zu sammeln. Das Gleiche gilt für Dirigierstudierende. Diese müssen zusätzlich klare Prioritäten finden und setzen, um sich von der Masse abzuheben.

Was werden die Aufgaben des zukünftigen Instituts für Ensemble- und Orchesterentwicklung sein?

Das neue Institut wird die hervorragenden Dresdner Möglichkeiten mit seinen Spitzenensembles einerseits und den vielen regionalen Ensembles und Orchestern andererseits optimaler miteinander vernetzen. Die Studierenden sollen davon besser profitieren können als bisher, die Praxis näher an die Hochschule herangeführt werden.

Wie sehen Sie die Herausforderungen für Orchester zu Corona-Zeiten?

Die Regelungen beginnen sich ja gerade etwas zu lockern, aber bei einem Abstand von zwei oder drei Metern kann man eigentlich nur mit kleinen Ensembles musizieren. Das „Erlebnis Orchester“ ist momentan nicht zu vermitteln.

Was halten Sie von Instrumentalunterricht und Proben in digitaler Form?

Ich unterrichte seit mehreren Wochen digital und komme mir dabei völlig amputiert vor. Das direkte Kommunizieren ist die Grundlage unserer Beschäftigung. Das geht digital leider nur ganz eingeschränkt. Als wirkliche Alternative scheiden diese Formate aus, sie können nur eine Übergangslösung darstellen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Zur Person:
Der 1958 in Chemnitz geborene Dirigent war Mitglied des Dresdner Kreuzchores, bevor er in Dresden Dirigieren und Komposition studierte, u. a. bei Siegfried Kurz, Hartmut Haenchen, Wilfried Krätzschmar und Manfred Weiss. Über die Stationen Landestheater Altenburg und Theater Vorpommern kam Klemm 1996 ans Staatstheater am Gärtnerplatz München, wo er elf Jahre als Dirigent wirkte. Seit 2003 ist Klemm Professor für Dirigieren und Leiter des Hochschulsinfonieorches­ters an der Dresdner Musikhochschule, seit 2004 daneben Künstlerischer Leiter der Singakademie Dresden. Bei der Elbland Philharmonie Sachsen ist er seit 2017 als Chefdirigent tätig. Er ist seit 2013 Präsident des Verbandes Deutscher Konzertchöre, Mitglied des Sächsischen Kultursenats und der Sächsischen Akademie der Künste.

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