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Neue Aufmerksamkeit für elektronische Musikinstrumente. Foto: Berweck
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Superbooth 2017 – die Abspaltung hat sich etabliert

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Neues von der Berliner Messe für elektronische Musikinstrumente und Musikproduktion
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Vom 20. bis 22. April fand im Berliner FEZ zum zweiten Mal die Superbooth statt. Nach dem umwerfenden Erfolg der ers­ten Ausgabe im Nalepa Funkhaus im letzten Jahr konnte sich die Messe für elektronische Musikinstrumente und Musikproduktion damit als die große Fachmesse für Synthesizer neben der NAMM (Anaheim, Kalifornien) etablieren. Neben etlichen kleineren und kleinsten Ausstellern ließen diesmal auch etablierte Firmen wie Novation, Behringer, Arturia oder Yamaha die nur eine Woche zuvor stattfindende Frankfurter Musikmesse links liegen und präsentierten ihre neuen Synthesizer und Keyboards auf der Berliner Messe, die laut Veranstalter mit 170 Ausstellern aus 20 Ländern aufwartete.

Dass auch Hersteller wie zum Beispiel Presonus ihr neues Audiointerface in Berlin statt Frankfurt vorgestellt haben, könnte darauf hinweisen, dass der Frankfurter Musikmesse harte Zeiten bevorstehen, denn der in der elektronischen Musik so wichtige Coolness-Vorteil liegt definitiv bei den Berlinern.

Unbändiger Erfindergeist

Wie schon 2016 war auch die diesjährige Superbooth geprägt von einem unbändigen Erfindergeist: Alte Ideen und Techniken werden mit neuen Technologien verknüpft, neue Werkstoffe und rechenstarke Chips machen neue Controller und Rechenoperationen möglich und die Unmenge an Herstellern und neuen Verknüpfungen zwischen allen Bereichen kann geradezu schwindlig machen. Eine konservative Schätzung mag vielleicht von 40 Neuerscheinungen auf dieser Messe ausgehen, von denen sicher nicht alle Maßstab setzend sind, aber eben doch eine ganze Reihe. Zumal den Erfindern und Machern der seit vielleicht 10 Jahren herrschende Innovationsdruck und -trieb nicht ausgeht und so wurde auch dieses Jahr wieder viel Erstaunliches gezeigt.

Die Geschichte der Synthesizer ist schnell erzählt: Aus den modularen Schrankwänden der Anfänge wurden schnell die Kompaktsynthesizer à la Minimoog und dessen Nachfolger in den analogen 1970er-Jahren. In den 1980er-Jahren dann die Revolution der Computerchips und damit Sampling und der Yamaha DX7, der die meisten der früheren Firmen mit großen Namen wie Moog, Arp, Sequential Circuits und andere vom Markt gefegt hat. In den 90er-Jahren erschienen dann die Nachbildungen ganzer Studios in virtueller Form, in Hardware „Workstation“ genannt, in Software als Digital Audio Workstation (DAW). Anfang der Jahrtausendwende waren Hardware Synthesizer eigentlich nur noch spezialisierte Computer und es schien, als würde alles in den Computer wandern.

Revolutionen

Wenn, ja wenn nicht relativ unbemerkt von den großen Firmen eine kleine Revolution stattgefunden hätte. Oder wenn es wenigstens bei nur einer Revolution geblieben wäre und es nicht gleich zwei gewesen wären. Beide waren auf der Superbooth prominent vertreten, und die erste davon feiert 2017 ihr 25-jähriges Jubiläum: die modularen Synthesizer von Doepfer aus Gräfelfing. Als Dieter Doepfer Anfang der 90er anfing, seine Module auf den Markt zu bringen, hat wohl niemand daran geglaubt, welchen Erfolg sein „Eurorack“ genannter neuer Standard modularer Synthesizer haben würde. Aber Dieter Doepfer entwickelte nicht nur ein neues Format und lieferte die Racks und Module dafür, sondern mit dem A100 auch ein Basissystem, mit dem Anfänger gleich loslegen konnten. Das war also alles sehr niederschwellig und es zahlte sich aus: Hier war endlich einmal etwas, das wieder „back to the roots“ war, keine verkappten Computer im schicken Gehäuse sondern echte, klingende Elektronik für den geneigten Nerd. Und weil alle technischen Standards des neuen Systems frei verfügbar waren und es seit einigen Jahren problemlos möglich ist, am Computer Leiterplatten zu entwerfen, die dann wenige Tage später für wenig Geld ins Haus geliefert werden, hat sich in den letzten Jahren eine neue Nische mit zurzeit um die 200 Herstellern von Modulen samt Zubehör ergeben.

Das sind zum allergrößten Teil Kleinsthersteller, die allerdings in die unterschiedlichsten Richtungen gehen: Da gibt es diejenigen, die alte Technik wieder aufleben lassen, diejenigen, die digitale und analoge Welt miteinander verbinden, wie es nur neue Computertechnik möglich macht, diejenigen, die Raketen oder Teufel auf die Frontplatten malen oder auch aus dem universitären Umfeld kommen. Es ist also ein weiterer Ausfluss der Craftbeerisierung der Gesellschaft und auch wenn nicht alles Gold ist, was da glänzt, gibt es ganz hervorragende Module mit so neuen Ideen, dass man wie beim Bier erst durch die Microbreweries gemerkt hat, was Bier eigentlich alles sein kann.Theremin aus Lego

Ein paar Beispiele von der diesjährigen Messe hierfür: Die Trennung zwischen digital und analog scheint inzwischen komplett aufgehoben zu sein. Brauchte es dafür früher spezielle MIDI->CV-Wandler, so gibt es heute Sequenzer für Eurorack, die zum einen direkt in einer Cartridge, wie aus den 1980ern gespeicherte digitale Synthesizer ansprechen und gleichzeitig bis zu 16 analoge Geräte ansprechen können. Bastl Instruments aus Tschechien, bekannt für Frontplatten aus Holz mit eingebrannten Bezeichnungen, stellt mit dem Kastl ein digitales Steuermodul vor, das direkt über analoge Signale gesteuert wird. Am Stand von Arturia, die mit Software-Emulationen analoger Klassiker angefangen hat, dann Controller gebaut hat und inzwischen erfolgreich auch analoge Hardwaresynthesizer baut, wird mit einem Theremin aus Lego tatsächlich Musik gemacht. Und die kanadische Firma Ondomo baut einen wunderschönen Nachbau des Theremins zu einem Zehntel des ursprünglichen Preises.

Der Name Superbooth kommt übrigens daher, dass sich diese ganzen Kleinsthersteller auf der Frankfurter Musikmesse keinen eigenen Stand (engl.: booth) leisten konnten und sich deshalb einen Stand als Superbooth geteilt haben. Und es ist gerade die Innovationskraft und Lässigkeit dieser kleinen Hersteller, die sich die Frankfurter Musikmesse nicht leisten konnten, in deren Licht sich jetzt auch die großen Firmen auf der abgespaltenen Superbooth sonnen.

Denn wir hatten ja noch von einer zweiten Revolution gesprochen, und das ist die Wiederbelebung analoger Synthesizer abseits der modularen Welt. Nachdem es lange Zeit so gut wie keine analogen Kompaktsynthesizer mehr gab, der Ruf danach aber immer lauter wurde, haben doch einige der in den 1980er-Jahren Pleite gegangenen Firmen in den letzten Jahren einen neuen Anfang gewagt und mit dem vor ein paar Jahren verstorbenen Robert Moog, Dave Smith, Tom Oberheim oder Roger Linn sind glücklicherweise wieder einige der begabtesten Instrumentenbauer mit neuen Synthesizern auf dem Markt. Der subtraktive Synthesizer hat sich hier einfach gegen komplexere Geräte durchgesetzt und hat sich genau so etabliert wie die E-Gitarre. Auf diesen Zug sind inzwischen auch die großen Hersteller aufgestiegen und so gibt es bis auf Yamaha so gut wie keinen Hersteller, der nicht auch analoge oder zumindest analog-digitale Hybridsynthesizer im Angebot hat.

Preislich hält sich das übrigens alles im Rahmen: handwerklich und musikalisch wirklich hervorragende Geräte sind ab 1.500 Euro zu haben, auch wenn man für große Namen auch hier mehr Geld bezahlt als bei jungen Firmen. Die Firma Moog steht hier immer noch – oder besser wieder – als das Nonplusultra da und der Minimoog gilt als die Stradivari unter den Synthesizern, dessen Klang röhren und knattern kann wie sonst nur eine Harley Davidson. Und tatsächlich hat Moog 25 Jahre nach dem Auslaufen des ursprünglichen Minimoogs wieder einen quasi originalen Nachbau auf den Markt gebracht, allerdings zum happigen Preis von 3.900 Euro. Und hier könnte sich eine Wende andeuten, denn die Firma Behringer hat auf der Superbooth – ganz im Sinne disruptiver Marktveränderung – einen Nachbau im Eurorackformat für 400 Euro vorgestellt und im Übrigen auch angekündigt, wieder die alten Synthesizer-Chips von Curtis, SSM und Oberheim aus den 1970er-/80er-Jahren nachzubauen. Das könnte bedeuten, dass es bald eine ganze Flut von neuen Geräten und Nachbauten alter Geräte geben wird, was sicher noch einmal Bewegung in einen ohnehin schon äußerst interessanten und kreativen Markt bringen wird. Dass diese gar nicht kleine Sensation einer großen Firma nicht in Frankfurt, sondern in Berlin vorgestellt wurde zeigt, dass vor der Frankfurter Musikmesse enorme Anstrengungen liegen, will sie hier verlorenen Boden wieder gut machen.

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