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Dresden (ddp-lsc). Premiere in einer «Täter-Institution» - Ausgerechnet im Deutschen Hygiene-Museum Dresden gastiert US-Ausstellung zum NS-Rassenwahn
Leicht war der neue Coup für das Hygiene-Museum nicht. Seinem Chef Klaus Vogel zufolge musste man zunächst einige Jahre in Washington mächtig werben, um die Ausstellung «Tödliche Medizin: Rassenwahn im Nationalsozialismus» nach Dresden zu holen. Als sich Vertreter des Washingtoner Holocaust-Gedenkmuseums schließlich nach mehreren Besuchen in Dresden von der Ernsthaftigkeit des Anliegens überzeugt und grünes Licht für die erste und einzige Schau außerhalb der USA gegeben hatten, folgte das nächste Problem: die völlig anders gegliederten Ausstellungsräume in der sächsischen Landeshauptstadt.
So habe sich aus einer als einfache «Ausstellungsübernahme» gedachten Angelegenheit ein «hochkomplexes Projekt» entwickelt, berichtete Vogel am Donnerstag, genau eine Woche bevor die Ausstellung startet. Vom 12. Oktober bis zum 24. Juni 2007 werden in Dresden auf 900 Quadratmetern vor allem Film- und Fotodokumente aus der Zeit der Weimarer Republik bis 1945 gezeigt. Sie veranschaulichen die Entwicklung einer verheerenden Gesundheitspolitik, die mit der Sterilisation vermeintlich minderwertiger Menschen begann und im Holocaust endete.
Für ein «besonderes Verdienst» der Ausstellung hält Vogel, dass auch die Vorgeschichte der im Namen der NS-Rassenideologie begangenen Verbrechen dokumentiert wird. In Erinnerung gerufen wird in der Schau, dass Wissenschaftler seit Beginn des 20. Jahrhunderts Fortschritte für die Menschheit versprachen. Mit der so genannten Eugenik wollten etwa Mediziner für «soziale Probleme eine biologische Lösung suchen», wie Vogel es ausdrückte. Projektleiterin Antje Uhlig erinnerte daran, dass Eugenik zu Beginn der Weimarer Republik noch verhältnismäßig frei von rassistischen Argumenten gewesen sei und Befürworter in allen politischen Lagern hatte.
Diese Ideen fanden mit der Machtübernahme Hitler 1933 eine immense Verstärkung, was die dreigliedrige Ausstellung in ihrem mittleren Teil unter dem Titel «Der biologische Staat» zeigt. Menschen mit Behinderungen oder mit als vererbbar angesehenen Krankheiten wurden registriert, auch Juden und andere Minderheiten gerieten ins Visier der NS-Rassenhygiene - mit «Endlösungen» ist schließlich der dritte Teil überschrieben.
Dass damals auch das Deutsche Hygiene-Museum eine unrühmliche Rolle spielte, ist für seinen Direktor einer der Gründe für die Bemühungen um die Ausstellung gewesen. Die Überzeugungsarbeit in Washington sei auch deshalb nötig gewesen, weil die erste Gast-Ausstellung des Museums außerhalb der USA ausgerechnet in einer «Täter-Institution» gezeigt werden sollte. «Das Hygiene-Museum ist ein Hauptbeteiligter gewesen bei der Definition dafür, was lebenswert und was nicht lebenswert war», bekannte Vogel. Nach seinen Angaben soll die Verwicklung des 1911 gegründeten und 1930 erbauten Museums in die Rassenhygiene-Propaganda demnächst in einer umfangreichen Forschungsarbeit untersucht werden, die rechtzeitig zum Jubiläum 2011 vorgelegt werden soll.
Die zweifelhafte Geschichte des eigenen Hauses war nach Angaben Vogels freilich nicht die einzige Motivation für die neue Ausstellung. Neben der Qualität der Ausstellung habe auch der Umstand, dass Sachsen spätestens seit dem Einzug der NPD in den Landtag vor zwei Jahren als Hochburg des Rechtsextremismus gilt, eine Rolle gespielt. Illusionen, entsprechend anfällige Jugendliche durch die Schau «umerziehen» zu können, hat Vogel zwar nicht: «Wir sollten aber jede Chance nutzen, vor allen jungen Menschen zu zeigen, was Nationalsozialismus und Rassenhass bedeutet.»
Die Problematik Rechtsextremismus veranlasste Vogel auch zu einer für einen Museumsdirektor reichlich ungewöhnlichen Maßnahme. Er habe Kontakt auch mit dem Verfassungsschutz gesucht. «Wir wissen nicht, wie die rechtsradikale Szene auf die Ausstellung reagiert», sagte er. Sicherheitsvorkehrungen seien jedoch bereits getroffen worden.
Tino Moritz
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