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Musikschulen als Teil der Kommunalverwaltungen sind zunehmend von den seit Anfang der 90er Jahre um sich greifenden Verwaltungsmodernisierungen im Sinne des "Neuen Steuerungsmodells" betroffen. Demzufolge wurde ihnen im Rahmen dieser Entwicklung mehr Organisations- und Personalverantwortung übertragen. Außerdem müssen sich die Musikschulen zunehmend auch dem Wettbewerb stellen und dem Prinzip der Output-Orientierung unterwerfen.
Dies hat tendenziell zu einem veränderten Selbstverständnis der "modernen" Musikschulen geführt. Auch als Zugeständnis an den Wertewandel in der Gesellschaft trat neben das althergebrachte Ziel des Langzeitlernens eines Musikinstrumentes und der Vermittlung von Kunst ein neues Ziel: das Angebot kurzfristiger Lerneinheiten und die Orientierung von Inhalten an den Kundenwünschen.
Der Landesverband der Musikschulen Nordrhein-Westfalen e.V. richtete bereits 1991 eine entsprechende Grundsatzkommission ein, die Empfehlungen zu einer entsprechenden Weiterentwicklung der Musikschulen erarbeiten sollte. Das Ergebnis war das 1993 veröffentlichte Handbuch "Musikschule 2000", das sechs Leitlinien enthielt, die das neue Selbstverständnis der 170 Mitgliedsschulen des Landesverbandes ausdrücken und ihnen bei ihrer Entwicklungsarbeit als Orientierungshilfe dienen sollte. Die Änderung der Musikschulen sollte sich im wesentlichen über vier Bereiche erstrecken: die Öffnung für spezifische Zielgruppen, die Kooperation mit Partnern aus dem Bildungs-, Sozial-, Kultur- und Wirtschaftssektor, die inhaltliche Erweiterung und die Nutzung von veränderten Zeit-, Unterrichts- und Aktivitätsformen.
Betrachtet man den Status quo heutiger Musikschularbeit, so treten - trotz dieser gutgemeinten Ziele und der bisherigen Teilerfolge - aktuell (zunehmend) massive Probleme der Musikschulen zu Tage:
- Musikschulen sind angesichts zunehmender Haushaltsprobleme der Kommunen immer häufiger von schierer Existenznot bedroht. Es gibt immer mehr Beispiele für Angebotsstreichungen oder gar gänzliche Schließungen von Musikschulen
- Bei gedeckelten bzw. reduzierten Zuschüssen können neue Schüler oft nicht mehr aufgenommen werden, Wartelisten werden immer länger. Interessenten werden aber noch zu wenig durch Projektangebote eingebunden, denn:
- Lehrkräfte und Schulleiter sind nicht immer adäquat bzw. ausreichend ausgebildet, bspw. in Bezug auf Methoden des (Groß-)Gruppenunterrichts oder des Projektmanagements
- Entsprechende Fortbildungsveranstaltungen sind rar, vorhandende Angebote werden eher spärlich besucht
- Auch sind die Grundlagen für flexiblere Arbeitsverträge (Motivationsaspekt) zumindest gemäß BAT nicht vorgesehen
- Inhaltlich gesehen sind viele Musikschulen noch immer primär mittelschichtorientierte Jugendmusikschulen. Unterschichtsangehörige werden kaum adäquat erreicht. Auch spezifische Angebote zur Erwachsenenbildung oder Arbeit mit bestimmten Zielgruppen (Behinderte, Ausländer) kommt vielfach noch zu kurz. Im Bereich Popularmusik wird bisher nur ein kleiner Sektor dieses äußerst diversifizierten Bereiches abgedeckt.
Was also ist zu tun?
Um die oben dargestellte "Öffnung der Musikschulen" sowie v.a. auch ihre wirtschaftliche Existenz nachhaltig zu sichern, sind auf verschiedenen Ebenen noch etliche Barrieren zu brechen. Wiederholte strukturrelevante Forderungen an die politischen Entscheider (i.d.R. Kultus-, ggf. auch in Absprache mit den Bildungsministerien der Länder) sind u.E.:
- Ausformulierung des Bildungsauftrags der Musikschulen in einem Musikschulgesetz
- Erhöhung und Sicherung der (nachhaltigen) Projektförderung
- Bereitstellung von Mitteln für die Schaffung einer adäquaten Infrastruktur zur Vernetzung
- Optimierung der Steuerungseffizienz hinsichtlich der Verteilung von Landesmitteln
- Bessere Abstimmung und Kommunikation zwischen betroffenen Institutionen (bspw. Bildungs- und Kulturministerium)
- Transparente Förderung und konkrete Hilfestellung zur Einbindung in Ganztagsmodelle (bspw. offene Ganztagsgrundschulen, OGTGS).
- (Weitere) finanzielle Zuständigkeiten des Landes für prüfen (bzgl. SVA, Mentorentätigkeit, Fortbildung).
Bezogen auf die mögliche Einflussnahme der politischen Ebene auf die Personalentwicklung erscheinen vor allem folgende Ansätze zielführend:
- Optimierung der pädagogischen Inhalte bei der Ausbildung der Musikschulkräfte
- Bessere studienbegleitende Vorbereitung auf die Unterrichtspraxis (bspw. Studienberatung, Eignungstests, obligatorische Orientierungspraktika, striktere Umsetzung bestehender Praktikumsvorschriften)
- Schaffung rechtlicher Grundlagen dafür, dass Fortbildungsbesuche finanzielle und berufliche Perspektiven eröffnen.
Diese auf landespolitischer Ebene ansetzende Maßnahmen können kaum kurzfristig erwartet werden und damit ad hoc zu verbesserten Ergebnissen führen. Es bestehen jedoch auch ?vor Ort? eine Reihe kurz- bis mittelfristig greifender Handlungsmöglichkeiten, die sich auf die Sicherung der Qualität sowie auf die finanzielle Existenz der Musikschulen positiv auswirken.
So sollten zunächst die Träger der Musikschulen (i.d.R. Kommunen) ihren gegebenen politischen Gestaltungsspielraum als Chance begreifen und besser nutzen. Vor allem gilt es unbedingt, ein adäquates (Kultur)Leitbild zu schaffen, aus dem heraus sich ein fachlich und wirtschaftlich stimmiges Zielgerüst für die Musikschule ergibt.
Aber auch auf der Ebene der einzelnen Musikschulen werden strukturbezogene Optionen bislang unterschätzt bzw. zu wenig genutzt:
- Fokussierung auf eine umfeldgerechte Ziel-, Strategie- und Positionsbestimmung
- Möglichkeiten des Projektbereiches und anderer Marktangebote stärker ausschöpfen
- stärkere Nutzung der Vorteile von Gruppenunterricht auch im Kernbereich
- Sinnvolle (auch wirtschaftlich interessante) Kooperationen suchen, bspw. mit
allgemeinbildenden Schulen (Stichwort OGTGS) oder Kindergärten, Vereinen etc.
- Einführung von QsM-Systemen (bspw. EduR)
- Umstrukturierung und Delegation einzelner Aufgabenbereiche
- Förderung der institutsinternen Kommunikation bei einem kooperativen Führungsstil
- Schaffung musikschulinterner Anreizsysteme, bspw. durch leistungsbezogene Bezahlung, Freizeitausgleich o.a.
- Professionelle PR und Pressearbeit
- Vorantreiben kontinuierlicher Informationsgewinnung (Marktforschung).
Auch im Bereich der Personalentwicklung lassen Musikschulleiter wesentliche Potenziale ungenutzt, bspw.:
- Aufstellung eines (möglichst verbindlichen) Fortbildungsplans
- Rechtzeitige Information aller Lehrkräfte über das Veranstaltungsangebot
- Evaluation von Fortbildungsaktivitäten
- Aktive Beteiligung der Lehrkräfte an der Ausgestaltung schulinterner Fortbildung
- Wahrnehmung von Möglichkeiten des Erfahrungsaustausches
- Zusammenstellung eines berufsleitbild- und zielangebotadäquaten Portfolios an Lehrkräften.
Letztlich ist jedoch ein idealtypisches "Turnaround-Konzept" nicht darstellbar: Angesichts der pluralistischen Strukturen der Musikschullandschaft sowie der unterschiedlichen Nachfrage- und Umfeldbedingungen ist vielmehr stets die individuelle Situation der einzelnen Musikschule zu berücksichtigen.
Dr. Hirsch & Gayer Consulting (HGC) ist ein Beratungsunternehmen mit Büros in Essen und Bad Honnef. Der Geschäftsbereich "Kultur21" beschäftigt sich mit der Kultur(betriebs)beratung. Services in diesem Segment sind u.a. Machbarkeitsanalysen und Gutachten für kulturelle und andere öffentliche Einrichtungen, Optimierungs- und Sanierungskonzepte sowie deren Implementierung, integrative Konzepte der Stadtevolution, Kommunikationsstrategien, Projekt- und Veranstaltungsplanung bzw. -management sowie Förderungskonzepte.
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