Als Veranstalterin erprobt die KUG Graz immer wieder neue Formate. Das reicht von Orchester-Improvisation bis zur Synästhesie. Ein paar Beispiele.
Ludwig van Beethovens Schauspielmusik zu Goethes Drama „Egmont“ stellt ein seltenes Gipfeltreffen der Wiener und der Weimarer Klassik dar und ist damit doppelt geweihter Boden bürgerlicher Kulturtradition. Genau dieses Werk wurde am 8. und 9. Mai 2023 zum Ausgangspunkt eines musikalischen Experiments. Das KUG-Orchester musizierte an diesen beiden außergewöhnlichen Abenden im MUMUTH gemeinsam mit dem international gefragten Stegreif.orchester. Beethovens „Egmont“ wurde unter der Leitung von Claire Levacher im Original interpretiert, dazu aber improvisierten einzelne der klassisch ausgebildeten Orchester-Mitglieder gemeinsam mit Studierenden aus den Bereichen Jazz, um diese individuellen Perspektiven schließlich dem künstlerischen Gesamterlebnis einzuweben. Ein Erlebnis! Und zwar eines, an das in der kommenden Saison mit weiteren spannenden Formaten angeknüpft wird.
Musik körperlich erfahrbar machen
„Musiktheater ist ein wunderschöner Weg, dem Publikum zeitgenössische Musik – verpackt in eine Geschichte – näherzubringen “ ist Nina Šenk überzeugt. Die junge Komponistin hat mit ihrer Oper „canvas“ das Sieger*innenwerk des Johann-Joseph-Fux-Opernkompositionswettbewerbes abgeliefert, das nun im Herbst 2023 zum Start des abo@MUMUTH der KUG und im Rahmen des ORF musikprotokolls zur Uraufführung kommt. Gemeinsam mit der Dramatikerin Simona Semenic hat Šenk ein Libretto verfasst, das deren dramatische Vorlage noch einmal verdichtet. In „canvas“ wird der Don Juan-Stoff durch einen Perspektivwechsel zur Erzählung von vier Frauen. Sie alle verbindet die Liebe zu ein- und demselben Mann, in dem jede von ihnen etwas anderes sieht. Intensive Gefühle bestimmen das Werk. Mit ihrer Musik möchte Nina Šenk diese in Klangbilder transformieren, die – im Wortsinn – körperlich erfahrbar werden. Dabei nutzt sie die Vielfarbigkeit Neuer Musik für eine musikalische Unmittelbarkeit, die ihrer Erfahrung nach historische Klangästhetik nicht zu vermitteln vermag.
Bach und ihr Büchlein
Anna Magdalena Bach war Interpretin, Kopistin und auch Verlegerin der Musik ihres Mannes. Dabei ist ihr ein Longseller gelungen, der sie selbst zur Marke machte: das Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach, für das sie als Widmungsträgerin und Herausgeberin zugleich fungierte. Anna Magdalena hat die Sammlung aus Cembalowerken und -bearbeitungen unterschiedlichster Provenienz selbst zusammengestellt und in Vertrieb gebracht. In der Terminologie des Pop schiene sie als Produzentin auf. Noch heute ist die Sammlung beliebt, ja Standard, als Einstiegsliteratur für den Pianist*innennachwuchs. Diese Rolle dürfte ihr schon seinerzeit zugekommen sein. Und dazu die eines privaten Mix-Tapes, das als DIY-Playlist für hippe Hausmusik Furore machte.
Anna Magdalena, zu der wir nicht viel mehr wissen, als dass sie 14 Kinder versorgte, sang und Cembalo spielte, bleibt in vielen Dingen ein Geheimnis. An der KUG wird ihr Notenbüchlein mit einem Bühnenprojekt gefeiert und in seiner Offenheit musikalisch weitergedacht.
Synaesthesia now!
Sie ist eine vielfach ausgezeichnete Pianistin, Fine-Art-Fotografin und eine Künstlerin, die mit ihrem crossdisziplinären Zugriff unterschiedliche Genres und Wahrnehmungsebenen zu einem Ganzen verflicht, das weit mehr ist als die Summe seiner Teile: Elina Akselrud kam in der Ukraine als Kind einer Pianist*innen-Familie zur Welt, emigrierte mit den Eltern in die USA, wo sie in New York und Boston studierte. Über einen Master in Luzern fand sie nach Graz, um sich an der KUG weiterzuentwickeln. Das künstlerisch-wissenschaftliche Doktoratsstudium ist für die fünfsprachig lebende und arbeitende Frau ein ideales Angebot – und sie für die Doktoratsschule eine ideale Studentin. Das ideale Dissertationsthema hat Akselrud mit Skrjabin gefunden, dessen Sonaten 6 bis 10 sie in den Fokus der Auseinandersetzung rückt. In ihrer Arbeit zu und mit Skrjabins Musik übersetzt sie die späten synästhetischen Visionen des Künstlers, die er in einer theosophisch-esoterischen Idee des Gesamtkunstwerks als „Mysterium“ der Menschheitserneuerung vereinte, in die inter-, trans- und crossdisziplinäre Gegenwart der Kunst: als Erlebnis für Augen, Ohren, Nase und Haut. Einfach Wow!