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JAM-Gruppenbild nach dem erfolgreichen Abschlusskonzert. Foto: Carola Seger

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Ohren öffnen für die feinen Töne

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JAM – ein Jugend-Auswahlensemble: Alte Musik nicht nur für Berlin
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Etwa seit den 1980er Jahren gibt es in den einzelnen Bundesländern Landesjugendensembles verschiedener Couleur, meist angegliedert an die jeweiligen Landesmusikräte. Es handelt sich dabei stets um Auswahlensembles bestehend aus Jugendlichen etwa im Alter von 12 bis 25 Jahren, die sich in zwei bis drei Arbeitsphasen pro Jahr zusammenfinden und das jeweilige Bundesland deutschlandweit durch Konzerte und Teilnahme an großen Musiktreffen und Wettbewerben repräsentieren.

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Am Landesmusikrat Berlin waren bisher drei Ensembles dieser Art angegliedert, das 1987 gegründete Landesjugendorchester Berlin, das nur drei Jahre später ins Leben gerufene Berliner JugendJazzOrchester sowie das 2013 gegründete Landesjugendensemble Neue Musik Berlin. Der 2011 gegründete Landesjugendchor Berlin ist wiederum der Auswahlchor des Chorverbands Berlin. Die Alte Musik spielte bisher kaum eine Rolle, obwohl die historisch informierte Aufführungspraxis mittlerweile seit über 40 Jahren im Konzertbetrieb an Bedeutung stetig zunimmt.

Carl Parma, Präsidiumsmitglied im Landesmusikrat Berlin und stellvertretender Vorsitzender des Bundesfachausschusses Bildung beim Deutschen Musikrat, initiierte 2024 das neue vierte Auswahlensemble des Landesmusikrats Berlin, das Jugend­ensemble Alte Musik (JAM). „Es ist ein bisher einmaliges Modellprojekt und ich hoffe natürlich, dass auch andere Landesmusikräte den Mut haben, ein Jugendauswahlensemble im Bereich der Alten Musik zu gründen.“, so Parma.

Zwar gibt es seit 2015 das Landesjugendbarockorchester Baden-Württemberg unter der künstlerischen Leitung des Geigers Gerd-Uwe Klein und des Patenorchesters Freiburger Barockorchester, und auch in Köln, NRW, gab es 2024 eine Initiative zur Jugendförderung, allerdings geht es im ersten Projekt hauptsächlich um Barockmusik mit starker Orientierung am Paten­ensemble als Vorbild und das zweite ist vom Umfang her sehr klein. Das Jugendensemble Alte Musik Berlin hingegen besteht nach nur einem Jahr aus 25 Jugendlichen im Alter von 13 bis 23 Jahren. Es wird von der Gründerin und Leiterin des Patenensembles Capella de la Torre Katharina Bäuml (Schalmei) und ihrer Ensemblekollegin Hildegard Wippermann (Altpommer, Flöte) geleitet. Aufgrund des großen Angebots an Auftrittsmöglichkeiten fand bereits im Juni 2024 das Gründungskonzert im Deutschen Historischen Museum statt, noch vor der ersten Arbeitsphase im Herbst 2024 mit einem ‚ad-hoc-Ensemble‘. Mittlerweile hat JAM bereits sechs Konzerte vor ausverkauftem Haus an renommierten Orten gegeben, darunter das Berliner Konzerthaus, das Bode-Museum und das diesjährige Abschlusskonzert der viertägigen Arbeitsphase am 1. November 2025 im Wilhelm-von-Humboldtsaal der Staatsbibliothek Berlin, stets vor begeistertem Publikum. Zu den Köthener Bachtagen sind sie ebenfalls eingeladen.

Den Erfolg erklären sich Parma und Bäuml vor allem mit dem zugrunde gelegten Konzept: „Besonders ist, dass die Jugendlichen zunächst auf ihren eigenen, modernen Instrumenten oder mit ihren Stimmen Zugang zu dieser Musik finden können und dadurch sofort ein Musizieren auf hohem Niveau möglich ist. Wir haben wunderbare Leute und gestalten die Arrangements ganz im Renaissancegedanken so, dass alle ihren individuellen Platz haben.“, erklärt Bäuml. Der Clou besteht darin, dass die Musik der Renaissance und des Frühbarocks auf überwiegend modernen und nur teils auf historischen Instrumenten ge­spielt wird, darunter Instrumente, die im Sinfonieorchester keinen Platz finden. Die Basso-Continuo-Gruppe besteht aus Konzertgitarren, einer Pedalharfe und einer Truhenorgel und die Streicher aus Violinen, Cello und einer Gambe, während bei den Bläsern Quer- und Blockflöten, Klarinette, Fagott, Trompete und Saxophon zu hören sind. Bei den Konzerten unterstützen neben den beiden Leiterinnen auch weitere Mitglieder des Patenensembles Capella de la Torre, zum Beispiel mit Laute, Percussion und Bassdulzian, das Jugendensemble, sodass trotz Überhang moderner Instrumente doch eine deutliche Klangeinfärbung durch die historischen Instrumente gegeben ist.

Capella de la Torre als Partner

Hintergrund der Entscheidung für dieses flexible Instrumentarium war folgender: „Wir wollten gern ein Ensemble gründen, was nicht so voraussetzungsintensiv und möglichst niedrigschwellig ist, das auf dem bereits vorhandenen Können der Jugendlichen aufbaut.“, so Parma. „Außerdem eignet sich die Renaissancemusik durch ihre Fasslichkeit und den tänzerischen Gestus in besonderer Art und Weise dafür.“ Mit der Schalmeispezialistin Bäuml und Capella de la Torre konnte außerdem nicht nur künstlerisch, sondern auch pädagogisch ein Kooperationspartner auf hohem Niveau gefunden werden. „Katharina Bäuml ist seit 20 Jahren in der Szene der Alten Musik fest verortet, kennt einfach viele Leute und begeistert die Jugendlichen mit ihrer positiven Ausstrahlung, motivierenden Energie und ihrer bildreichen Sprache.“, erläutert Parma.

Capella de La Torre feierte in diesem Jahr übrigens ihr 20. Jubiläum mit einem Geburtstagskonzert Ende Oktober in der Villa Elisabeth in Berlin, bei dem auch JAM beim Eröffnungs- und Schlussstück gemeinsam mit der Capella auftrat. Zu diesem Anlass erschien außerdem am 7. November die Jubiläums-CD „20 Years“ bei dem Schweizer Label Prospero-Classical, ein in Bezug auf Klangfarben und Größe der Besetzung vielfältiges Best-Of von Aufnahmen aus den Jahren 2014 bis 2024. In der diesjährigen Arbeitsphase des JAM konnte außerdem noch der RIAS Kammerchor Berlin für Vocalcoachings der sechs Sängerinnen und Sänger gewonnen werden. Die große Kooperationsbereitschaft, unter anderem auch von der Universität der Künste und der Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg, die ihre Räume kostenlos zur Verfügung stellten, begrüßt Parma, der als Fachreferent Musik in der Senatsbildungsverwaltung Berlin für die Verstetigung solcher schlank aufgestellten Ausnahmeprojekte plädiert. „In dieser Art Ensemble sehe ich die Zukunft aufgrund der hohen Flexibilität in der Besetzung, aufgrund der Anschlussfähigkeit der Renaissancemusik an Jazz, Rock, Pop und Weltmusik durch die Improvisationselemente und die kurze Dauer der Stücke und aufgrund der relativ leichten Zugänglichkeit fürs Publikum“, erklärt Parma und schwärmt: „Durch ihre Durchsichtigkeit, Klangfarbenvielfalt und ihren Abwechslungsreichtum in der Konzertdramaturgie kann Alte Musik die Ohren für die feinen Töne öffnen und relativ leicht und schnell erfasst werden.“ Parma möchte mit diesem Projekt den überkommenen Strukturen etwas entgegensetzen, ein Jugendmusikensemble, dass die junge Generation zum Mitmachen anregt, auf den Musikberuf als stilistisch flexible Freischaffende vorbereitet und neues Publikum für die Alte Musik gewinnt.

Stärkung der Szene

Der Landesmusikrat hat auf diesen Trend übrigens auch bei „Jugend musiziert“ reagiert, das heißt unter den Zusatzausschreibungen 2026 im Landeswettbewerb Berlin wurde nun als neue Kategorie Alte Musik (Solo) eingeführt. Der Deutsche Musikrat plant im Durchgang 2028 beim 65. Bundeswettbewerb in Freiburg im Breisgau, die Rubrik Besondere Besetzungen: Alte Musik für Ensembles mit drei bis dreizehn Musizierende sowie weitere Solorubriken (Cembalo, Gambe, historische Blasinstrumente, Gesang, Harfe und Zupfinstrumente) zu werten. Möglicherweise läutet dies eine Trendwende bei den rückläufigen Studierendenzahlen der Alten Musik an den Musikhochschulen ein, sodass weitere Schließungen von Instituten der Alten Musik verhindert werden können. Zu vermuten wäre auch eine Stärkung der Szene insgesamt, inklusive einer stabilen Förderstruktur, sei es in Form von institutioneller Förderung freier Ensembles oder von Projektgeldern für Alte-Musik-Festivals. Hoffentlich ist es also nur eine Frage der Zeit, bis es auch ein bundesweites Jugendauswahlensemble für Alte Musik beim Deutschen Musikrat gibt.

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