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Neuer Hochschulrat an der Hochschule für Musik Nürnberg. Foto: Hufner
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Bis der letzte Kasten leiert

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Berlin - Axel Stüber ist einer der letzten vier Drehorgelbauer Deutschlands. Doch das Kultinstrument droht auszusterben. Mit seinem Verein kämpft Stüber nun für die Zukunft der Drehorgel.

Behutsam wendet Axel Stüber die kleine Pfeife aus hellem Erlenholz zwischen seinen Fingern. Ein kritischer Blick, dann ein zufriedenes Nicken. «Passt», murmelt er und steckt sie zu den anderen Pfeifen in der schwarzen Drehorgel. Mit gleichbleibender Geschwindigkeit dreht Stüber an der Kurbel, eine sonore Melodie durchbricht die Stille der kleinen Werkstatt in Berlin-Biesdorf - «Veronika, der Lenz ist da» aus 100 Pfeifen.

Der 64-Jährige hat sich bereits vor Jahrzehnten auf Drehorgeln spezialisiert. «Ich kann nichts anderes», erzählt er. «Schließlich mache ich das seit mittlerweile 41 Jahren.» Damit ist er nicht nur einer der erfahrensten Drehorgelbauer, sondern auch einer der letzten. «In Deutschland sind wir noch zu viert», sagt Stüber. «Der nächste wohnt unten im Schwarzwald.»

Begonnen hat der gebürtige Mecklenburger 1970 noch in seiner Jugend mit dem Bau von Kirchenorgeln. «Dabei konnte ich noch nicht einmal Klavier spielen», erzählt er lachend. Aber er besitze ein gutes Gehör - und darauf komme es letztendlich an. Doch das Geschäft mit den Orgeln wurde zunehmend schwieriger, weshalb er schon bald eine Werkstatt für Drehorgeln übernahm.

«Orgelbau Stüber» prangt nun in goldenen Lettern auf dem dunklen Palisanderholz. «Alles Holzintarsien», erzählt der Orgelbauer stolz, während er mit dem Zeigefinger über die filigranen Verzierungen streicht. Das bedeute, dass verschiedene Hölzer passgenau geschnitten und zusammengesetzt werden. «Dieser Prozess dauert mit am längsten», schildert Stüber. Für eine große Drehorgel benötige er deshalb rund drei Monate - aber nur so werde es edel und hochwertig.

Darauf komme es seinen Kunden auch an, erzählt er weiter. Schließlich sei das Kultinstrument ein teures Hobby. Für seine günstigste Orgel verlangt Stüber 2900 Euro, besonders aufwendige Modelle können bis zu 15 000 Euro kosten. «Kasten, Pfeifen, Verzierungen - hier ist noch alles Handarbeit», erklärt er die hohen Preise. Derzeit beschäftigt er zwei Angestellte, beide arbeiten schon seit über 30 Jahren in seiner Werkstatt. «Zu Spitzenzeiten waren wir hier mal zu siebt», denkt Stüber zurück. Doch so groß sei die Nachfrage heute nicht mehr.

In 43 Länder habe er seine Orgeln bereits verkauft, erzählt Stüber stolz. «Von Albanien über Israel bis nach Neuseeland wissen die Kunden die Qualitätsinstrumente aus der Heimat der Drehorgel zu schätzen.» Fast überall kenne man das Instrument auch als «Leierkasten», seine eigenen Instrumente möchte Stüber so aber nicht bezeichnen. «Für mich ist ein Leierkasten eine verstimmte Drehorgel.»

Mit seinem Verein, den Internationalen Drehorgelfreunden Berlin, will er die Tradition erhalten und das Berliner Drehorgelspiel als UNESCO-Weltkulturerbe etablieren. 2016 wurde eine erster Antrag durch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur in der Vorauswahl abgelehnt, ein zweiter Versuch scheiterte diesen Juni. Die Begründung: Mangelnde Jugendarbeit, es werde sich nicht ausreichend um die Weitergabe des Kulturerbes gekümmert.

«Berlin ist wohl mehr High-Tech als Drehorgel», kommentiert Stüber die erneute Ablehnung mit einem Augenzwinkern. Er wolle es dennoch weiterversuchen, auch wenn es für ihn nur eine Formalie sei. «Überall auf der Welt ist klar, dass das ein Kulturerbe ist.» Die offizielle Anerkennung sei einfach eine Herzensangelegenheit - schließlich wisse niemand, wie lange sich noch jemand für Drehorgelei interessiert.

Stüber stützt sich auf die abgenutzte Werkbank, Sägespäne türmen sich neben seinen Ellenbogen. «In Berlin sind nur noch rund 120 Spieler im Verein organisiert», sagt er mit gesenkter Stimme. «Deutschlandweit so etwa 800.» Es fehle vor allem am Nachwuchs, erklärt Stüber weiter. Bei manchen Treffen sei er mit 64 Jahren der Jüngste.

Auch seine eigenen Kinder hat Stüber nicht vom Drehorgeln überzeugen können, für die Jugend wirke es einfach zu antiquiert. «Viele sehen das Kulturgut deshalb als beinahe ausgestorben an», stellt Stüber fest. Ganz so negativ möchte er es aber noch nicht sehen. «Viele beginnen erst im Alter mit dem Orgeln», sagt er und zuckt mit den Schultern. «Und alte Menschen wird es schließlich immer geben.»

 

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