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Johannes Moser, Opernchor. Foto: © Christina Iberl

Johannes Moser, Opernchor. Foto: © Christina Iberl

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Am Rande des Abgrunds – Im Staatstheater Meiningen hat Emmerich Kálmán „Csárdásfürstin“ ihren großen Auftritt

Vorspann / Teaser

„Die Csárdásfürstin“ – schon der Titel dieses Operettenhits verweist auf den Etikettenschwindel in Sachen Standeszugehörigkeit, um den es hier geht. Die Künstlerin Sylva Varescu ist nur auf der Bühne eine Fürstin – im Leben wird sie mit ein paar genretypischen Umwegen immerhin einen Fürstensohn heiraten. Bei allen Klischees über den Standesdünkel des Adels und die Rolle der Frauen bleibt ein bemerkenswerter Stolz von Sylva auf die eigene Leistung als Künstlerin. Sie geht nicht auf den Trick ein, sich beim Fürsten (dem Vater ihres Verehrers) als geschiedene Gräfin zu präsentieren, um als Braut akzeptiert zu werden. Erst als herauskommt, dass die Gattin des dünkelhaften Fürsten Lippert-Weylersheim, auch eine Künstlerin war, die sich ihren Adel „nur“ erheiratet hatte, ist der Weg zum Happy End frei. Dass der Fürst sich dabei über den Meininger Theaterherzog Georg II. mokiert, der ja bekanntlich nicht standesgemäß geheiratet und sich deswegen sogar mit dem Kaiser angelegt hatte, ist eine hübsche Pointe fürs heimische Publikum.

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Für die Balance zwischen dem Bild einer in ihren Untergang taumelnden Gesellschaft sorgt die Musik von Emmerich Kálmán. Bei der Hofkapelle ist sie unter Kens Lui in den besten Händen. Angemessen temperamentvoll mitreißend, ohne dabei die Protagonisten abzuhängen. Alle Paare im Stück, von Sylva und Edwin im Zentrum, über Graf Boni und seiner eigentlich für Edwin vorgesehene Komtesse Stasi (kommt von Anastasia und wird mit spitzem hanseatischen ST gesprochen) bis zum Fürsten und seiner Frau, sind vokal und verbal angemessen unterscheidbar ausgestattet. Dazu das nötige Personal-Drumherum an deren Seite, das man braucht, um es krachen zu lassen. Gerade da hat Meiningen ja allerhand zu bieten. Dabei ist nicht nur Sylva (alternierend mit Dara Hobbs) doppelt besetzt; das leistet man sich auch bei Stasi, Boni und Báci. Die Premieren-Sylva Emma McNairy jedenfalls ist vokal und darstellerisch von Kopf bis Fuß eine überzeugend echte Diva. Garrett Evers bietet als Edwin Verführerschmelz vom Feinsten auf, wenn er um sie wirbt und dann an den Umwegen zu ihr leidet. Als kess sympathische Komtesse Stasi und quirliger Edwin-Freund Graf Boni Kánciánu finden auch Monika Reinhard und Johannes Mooser am Ende zueinander. Als die beiden „Alten“, Fürst Lippert-Weylersheim und seine Anhilte, müssen sich Matthias Herold und Elke Büchner fürs Happy End nur nicht trennen. Um diese Paare herum liefern Steffen Köllner als zackiger Oberleutnant von Rohnsdorff, Silvio Wild als Notar, Yannick Schiller als Groom und Matthias Richter als Botschafter MacGrave ihren Teil zum singenden bzw. sprechenden Personal. Warum letzterer freilich bis zum Hals in der Versenkung verschwindet, erschließt sich nicht so recht. Viel eher schon die immer wieder eingeflochtenen Pas de deux mit den von Tamás Mester choreografierten, tanzenden Alter Egos von Sylva und Edwin (Elena Zanato und Andrea de Marzo), die die Realität sozusagen ins Reich der Wünsche erweitern.

In ihrer Inszenierung verlassen sich Dominik Wilgenbus (Regie), Peter Engel (Bühne) und Uschi Haug (Kostüme) auf das Stück und liefern den Glanz, den es braucht, um die hier reichlich vertretenen Hits wirkungsvoll in Szene zu setzen. Sie konzentrieren sich auf die Protagonisten, wobei Übertitel dennoch nicht schaden würden. 

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Tobias Glagau und Monika Reinhard. Foto: © Christina Iberl.

Tobias Glagau und Monika Reinhard. Foto: © Christina Iberl.

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Bis zur Pause reichen eine kleine fahrbare Bühne auf der Bühne und ein paar Scheinwerfer, um das Varieté-Theater anzudeuten, von dem sich der Star der Show gerade Richtung Amerika verabschieden will. Diese kleine Bühne markiert mit ihrer Vorder- und Rückseite das Milieu für den großen Auftritt mit Federn, Glanz und Glamour. Die Kostüme und das Charisma ihrer Träger sorgen dafür, dass das sitzt – in dem Falle sind es vor allem die der Trägerinnen. Der Auftritts-Glamour mit dem Emma McNairy hier den Star geben kann, sucht jedenfalls seinesgleichen. Auch der von Roman David Rothenaicher einstudierte Chor kriegt davon seinen Teil ab und zahlt das mit Spiellust zurück.

Dass „Die Mädis vom Chantant“, „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht“, „Machen wir’s den Schwalben nach“, „Jai Mamám, Bruderherz, ich kauf’ mir die Welt“ oder dem „Tausend kleine Englein singen: Habt Euch lieb“ regelrechte Hits wurden, war bereits nach der Uraufführung ausgemachte Sache. Dass die den Versuch der Nazis, dieses Glanzstück der Silbernen Operette vergessen zu machen, weil der Komponist Jude war, überlebten, spricht für sich. Auch, weil sie sowohl die Gegenwelt zum Weltkriegs-Grauen als auch das Auf-den-Abgrund-zu-taumeln einfingen. Subtil, doch deutlich genug, gelingt es der Regie, diese Realität einzubeziehen.

Nach der Pause ist es ein Käfighalbrund auf der Drehbühne, das mit lauter bunten Vögeln die Innenwelt begrenzt. In der Rückseite klafft dann ein veritabler Granatendurchschuss im rostigen Metall. Den Lärm des Krieges hat man davor immer schon mal rumoren hören, auch die Lichter flackerten. Wenn sich am Ende alle zu einem Gruppenbild zusammenfinden, wird klar, was man vorher ahnte: Man ist mitten im Krieg da draußen gelandet.

Indem das Meininger Regieteam diese Bedrohung einer untergehenden Welt auf diese Weise einfängt, nimmt sie das Stück ernst, beschädigt es aber nicht. Dass man sich dabei an Peter Konwitschnys Inszenierung vor 25 Jahren erinnert, in der der Dresdner Orchester- zum metaphorischen Schützengraben wurde, spricht durchaus für die Meininger Version. Damals ließ der lautstarke Protest Weniger den Intendanten einknicken und die Inszenierung „entschärfen“. Dass sich Konwitschny dagegen wehrte, führte immerhin dazu, dass eine Inszenierung juristisch fortan als eigenständiges Kunstwerk gilt. So wie die aktuelle Csárdásfürstin in Meiningen!

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