In der Jahrhunderthalle in Bochum gab es am Eröffnungswochenende von Heiner Goebbels letzter RuhrTriennalen-Ausgabe diesmal eine Art getanzte Gegenposition zu Romeo Castelluccis Version von „Le Sacre du Printemps“. Das in Duisburg gezeigte Stück ist mehr eine Installation, als eine Choreographie. Sie kommt ohne Tänzer aus und führt damit im Grunde eine der ältesten menschlichen Künste ad absurdum.
Wo eine Konstruktion von 40 elektronisch gesteuerten Gerätschaften in einem staubdicht durch eine vierte Wand geschlossenen Raum Knochenmehl rhythmisch verstreut, öffnet Castellucci zwar die Pforten der Phantasiehölle, bricht sein Experiment dann aber ab und lässt den Staub wieder in Kisten schippen.
Ganz anders Anne Teresa de Keersmaekers Choreographie zu Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht“. Dessen erstes Meisterwerk ist 1899 noch deutlich spätromantisch angehauchte Kammermusik zum gleichnamigen Gedicht von Richard Dehmel aus dem Jahre 1896. Die Musik des später zum Vorreiter der kompositorischen Moderne avancierenden Komponisten ist da noch deutlich von Wagner oder Brahms beeindruckt und lässt Mahler durchklingen. Das Gedicht zu dieser elegisch atmosphärischen und in ihren Bann ziehenden Musik beginnt mit den Worten „Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain …“ und endet mit „… zwei Menschen gehn durch hohle, helle Nacht.“ Die Choreografin konzentriert sich in ihrer 1995 schon einmal an der Brüssler Oper La Monnaie ausgeführten, und jetzt für die RuhrTriennale neu formulierten Arbeit nämlich ausschließlich auf die Ausdrucksmöglichkeiten ihrer Tänzer. Im Unterschied zu ihrer ersten Auseinandersetzung hat sie sich jetzt auf ein Paar und in den ersten Minuten auf einen zusätzlichen Mann konzentriert. Die Frau taucht am Anfang erst mit dem einen, dann mit dem anderen Mann auf. Alles zunächst ohne Musik. Damit ist die Konstellation der Geschichte vorgegeben.
Es folgt mit dem Einsetzen der Musik das eigentliche Stück, bei dem zunächst die Frau die tänzerische Hauptlast trägt und ihr Liebhaber ihr den Rücken zukehrt und so verharrt. Bis dann langsam in einem langen Pas de deux die Geschichte von dem Paar erzählt wird, das im Mondlicht durch die Nacht geht. Wobei die liebende Frau das ungeborene Kinde von einem anderen Mann unter dem Herzen trägt und ihr Liebhaber den Treuebruch verzeiht. Was wir miterleben, ist das Ringen um die Beziehung. Dass am Ende die Frau die Tanzfläche verlässt und der Mann allein zurückbleibt, mag dabei das Happyend wenn nicht gleich aushebeln so doch anzweifeln.
In Bochum werden die beginnende Dämmerung (die Vorstellung beginnt 21.00) die durch die grandiose Fensterfront in der Jahrhunderthalle aufsteigt und der karge industriell geprägte Raum selbst zu Akteuren und imaginieren zusätzlich diese Atmosphäre einer ernsthaften Auseinandersetzung. Eingespielt wird (gut ausgesteuert den Raum füllend) die Aufnahme von Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht, op.4 (1899/1943), die Pierre Boulez mit den New Yorker Philharmonikern aufgenommen hat. Boštjan Antončič, Nordine Benchorf, Samantha van Wissen und die Choreographin werden am Ende mit einhelligem Beifall für dieses kurze Stück ruhiger Innigkeit belohnt.