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Roland Schwabs und Markus Poschners „Tristan und Isolde“. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Roland Schwabs und Markus Poschners „Tristan und Isolde“. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

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Der Wagnerkosmos – unendliche Weiten

Vorspann / Teaser

Die Wiederaufnahme von Roland Schwabs und Markus Poschners „Tristan und Isolde“ rundet den Premierenreigen eines Festspieljahrgangs mit beachtlichen Qualitäten ab.

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Roland Schwab hatte seine „Tristan und Isolde“-Version im letzten Jahr mit einem ziemlich kurzen Anlauf als Eröffnungspremiere vor den neuen Ring gesetzt. Ihre Wirkung auf die Gemeinde konnte diese Inszenierung auch in diesem Jahr, nolens volens, im Windschatten des raum- und blickerweiternden „Parsifal“ und der ersten Ring-Wiederaufnahme entfalten. Dafür aber von kritischen Einwänden unbehelligt. Und doch fügt sich dieser Tristan auf seine eigene Weise auch in den aktuellen Hügelspielplan. 

Was im vorigen Jahr gar nicht so sehr auffiel, ist bei der Wiederaufnahme – zumindest für die „Parsifal“-Besucher mit AR-Brille: Das Prinzip einer exzessiven optischen Erweiterung der lodernden Gefühle haben Schwab und sein Mann für die Videos, Luis August Krawen, hier nämlich schon, sagen wir zweieinhalb-dimensional vorpraktiziert. Piero Vinciguerras Raum im abstrakten Nirgendwo bzw. dieses Opernraumschiff auf der Reise durch die unendlichen Weiten zwischen universellem Jenseits und dem brodelnden Abgrund des Teil der menschlichen Natur, der sich einer nüchternen Analyse entzieht. Optisch erinnert das durchaus an die nachvollziehbar sinnvollen Elemente, die Jay Scheib als dreidimensionale Blickerweiterungs-Illusion dem „Parsifal“ hinzugefügt hat.

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Catherine Foster in Roland Schwabs und Markus Poschners „Tristan und Isolde“. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Catherine Foster in Roland Schwabs und Markus Poschners „Tristan und Isolde“. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

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Selbst wenn sich hier gelegentlich das Prinzip „Weniger wäre mehr“ aufdrängt, bewundert man da die Standfestigkeit von Clay Hilley als Tristan und vor allem Catherine Foster, die auch als First-Class-Isolde zu aller vokalen Entgrenzung ein motorische Kraftpaket ist. Wenn sich der Boden unter deren Füßen so extrem vom Wasserwogen zum Gefühlsmalstrom wandelt, müsste man eigentlich die Balance verlieren – selbst wenn man da nur zusieht, dreht sich schon alles. Die beiden müssen aber auch noch von den unfassbarsten Liebesdingen singen. Und das machen sie ganz hervorragend. So, dass sie in diesem optischen und musikalischen Strudel der Leidenschaften ganz und gar bei sich und von den anderen nicht mehr erreichbar sind. Das „Löse von der Welt mich los“ zum Leitmotiv einer szenischen Umsetzung zu machen, die sich jeder konkreten Zeit entzieht, funktioniert aber im Prinzip auch bei der Wiederbegegnung nach einem Jahr.

Im Januar war Foster in Cottbus auch schon mal als Isolde auf Gefühls-Weltraum-Mission unterwegs – so wie sie im Moment über ihre Mittel verfügt, liefern ihr aber erst die Bayreuther Festspiele den adäquaten Raum, um sich voll zu entfalten und dabei auch (wieder) zu einer bemerkenswerten Wortverständlichkeit zu finden. Dass sie mit ihrer Isolde faszinierte, nach dem sie gerade die Brünnhilde in der „Walküre“ und in der „Götterdämmerung“ zum Ereignis gemacht hatte, gehört zu dem, was eine auf einen Monat komprimierte Spielzeit hier so besonders macht. Man erlebt mit, wie Christa Mayer als Brangäne und Georg Zeppenfeld als König Marke, vor diesem Tristan schon als Fricka und Waltraute in dem einen und als Gurnemanz, Hunding und Daland im anderen Fall quasi „eingesungen“ haben, ihren Ruf als Bannerträger der Wortverständlichkeit gefestigt, und sich neben den hochdramatischen und heldisch schmetternden Stars der ersten Reihe, die Marathon-Männer und -Frauen anführen, die die vokale Exzellenz von Bayreuth mittlerweile längst wieder sichern. Dass Andreas Schager nach seinem Parsifal und den Siegfrieden nicht auch noch Tristan singt, ist fast schon ein Wunder an vernünftigem Maßhalten. Clay Hilley, der im vergangenen Jahr im Schlusssprung aus seinem Urlaub rettend als Ersatz in die „Götterdämmerung“ gesungen war, bringt als Tristan auch mal eine andere Farbe ins Spiel, so dass man sich bei seinen metallisch transparenten Ausbrüchen von der Kraft-Schagerei erholen kann. Markus Eiche hat man zwar schon intensiver gehört als in diesem Jahr als Kurvenal (und auch als Wolfram) – aber auch er ist immer noch gutes Festspielniveau. So wie auch der sympathische, aber manchmal zum Rufen seiner Töne neigende Olafur Sigurdarson als Melot. Jorge Rodriguez-Norton als Hirt, Raimund Nolte als Steuermann und Siyabonga Maqungo als junger Seemann sowie der wie immer von Eberhard Friedrich präzise einstudierte Chor komplettieren das vokale Tristan-Glück.

Dass Markus Poschner diesmal mit seinem zupackend-diesseitigen Dirigat eigene Akzente setzt den großen Bogen liefert und die Sänger auf Händen trägt und sich würdig in die Riege der aktuellen Dirigenten-Erfolgs-Crew einreiht, zu der jetzt auch ganz selbstverständlich zwei Damen zählen, gehört auf die reichlich gefüllte Habenseite der diesjährigen Bilanz des ersten Durchlaufs auf dem Grünen Hügel. Da wirken die gelegentlichen Querschüsse gegen die Festspielchefin ziemlich lächerlich. Das von ihr zu verantwortende Kerngeschäft ihres Ladens hat sie besser im Griff, als manche der Politiker, die das Mantra der „Veränderung“ vor sich her tragen, ihr eigenes. Eine überfällige strukturelle und finanzielle Stabilisierung von Deutschlands einziger singulärer Weltmarke in Sachen Hochkultur haben die jedenfalls noch nicht hinbekommen.

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