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Heiner Goebbels’ „Songs of Wars I have seen“. Foto: Jörg Hejkal / Acht Brücken
Heiner Goebbels’ „Songs of Wars I have seen“. Foto: Jörg Hejkal / Acht Brücken
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Die Frage konkret gestellt – gar nicht so einfach

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Das Kölner „Acht Brücken“-Festival versucht es mit „Musik.Politik?“ trotzdem
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Schon bevor das Ende naht, ist Schluss. Der Dirigent verlässt das Podium, das Orchester stellt das Musizieren ein, die Lichtregie legt den Schalter auf halbe Kraft. Im Moment flackert es schummrig, als ob sich die Birnen verabschieden wollten. Wie auch schon zuvor immer dann, wenn Heiner Goebbels alte Musik hat ausführen lassen. Jetzt lässt er musikFabrikler, Concerto Köln und Dirigent Pierre-André Valade zu fernöstlichen Klangschalen greifen, damit sie selbige bereiben. Immer schön im Kreis herum. Das ergibt zwar keinen Ton, aber eine hypnotisierende Grundierung, auf der Marco Blaauw, meis­terlich wie wir es von ihm gewohnt sind, ein Trompeten­solo draufsetzen kann: Was bleibt, ist der Jazz. Davor war alte Musik. Davor war neue Musik. Alles Geschichte.

Das nostalgische Schluss-Setting von „Songs of Wars I have seen“ für zwei Ensembles mit Texten von Gertrude Stein, dem durchaus aktuell zu werten­den Beitrag von Heiner Goebbels zum Themenschwerpunkt beim fünften Kölner „Acht Brücken“-Festival. „Songs of Wars“, eine Arbeit von 2007, stand dabei unüberhörbar für das Fragezeichen in „Musik. Politik?“ Passend zum Zwiespalt, mit dem man da entlassen wurde. Einerseits der famose, sich lustvoll in den Puls verbeißende Auftritt vom Ensemble musikFabrik, andererseits der Eindruck, gerade Zeuge einer Kapitulation geworden zu sein.

Früher klang das noch ganz anders, was dank einer programmatisch konzertieren­den Goebbels-Synopse noch vor Ort nachvollzieh­bar ward. Ungemein fesselnd, dessen „Befreiung für Sprecher und Ensemble“ nach einem Text von Rainald Goetz aus dem Jahr 1989. Ein Stück, das im Gestus von Agitprop die Grundschwäche jedweden Agitprops bloßlegt. Erhellend (und damit politisch) insofern, als uns darin eine Musik begegnet, die nicht mit dem „Wahrheits“-Kopf durch die „Lügen“-Mauer will, sondern beides (mit Distanz zur Moral wie zur modernen Psychologie) als Momente im Stück aufbewahrt. Was in diesem Fall vor allem dem Einsatz der glänzenden Soloperformerin Lisa Charlotte Friederich zu danken war, die diesem Schrei- und Dringlichkeitsstück überhaupt erst den rechten Drive mit auf den Weg gab.

Geschichte und Gedächtnis

So spontan also man hiervon eingenommen war, so ratlos stand man umgekehrt vor dem erschöpft-entleerten Gestus der neueren Arbeit, die vor allem mit einer ins Ensemble verlegten Lesetapete recht ermüdete. Statt Stimme als Instrument zu behandeln, amateurhaftes Runtergeleiere durch darin ungeübte und (wie auch anders) unausgebildete Ensemblemitglieder. Ganz und gar ärgerlich aber, dass Concerto Köln seine konzertanten Anteile immer bei ödem Schummerlicht, gespeist aus spießigen Nacht­tischlampen auf spießigen Nachttischschränck­chen, zu musi­zieren hatte. Anders als die mit klarem Theaterlicht geadelte Bläser- und Perkussi­onsriege der musikFabrik, verteilte das Goebbels’sche Licht/Schatten-Konzept den Schwarzen Peter an die so wunderbar beseelt aufspielenden Musiker/-innen von Concerto Köln. Fazit: So sehr auf der Habenseite an diesem „Acht Brücken“-Abend die (musik)­politische Tat zu begrüßen war, zwei Kölner Spitzen­ensembles endlich einmal prominent zusammengebracht zu haben, so sehr erschien die Durchführung schablonenhaft, wieder nach „gut“ und „böse“ auseinandergerissen.

Womit allerdings die Dialektik des Abends noch keineswegs ausgeschöpft war, insofern gerade dieses bemerkenswerte „Acht Brücken“-Konzert noch eine weitere Erkenntnis vorhielt. Ausgerechnet dem „Ost“-Komponisten Georg Katzer nämlich war es vorbehalten, dem so tief im „Westen“ durchkonjugierten Musik-Politik-Thema die überzeugendste Antwort abgewonnen zu haben. Gegen alle Erwartung respektive gegen alle schlechten Vorurteile integrierte Katzer zunächst einmal keinen Aufrüttel-Text in sein Ensemblestück. Alles, was man sagen kann zum Thema, muss mit musikalischen Mitteln geschehen. Dies ist die Grundhaltung von „Eutopia“. Ein Stück, das einen klaren Hauptdarsteller hatte. Immer wieder brachte sich eine Trompete mit hoch gelegten Repetitionstönen in Erinnerung, als ob gesagt werden sollte: Da ist noch was! „Wie von ferne“ heißt es in der Partitur. Was da noch war und ist, steht natürlich in der Sprechblase des politischen Hallraums, der uns ja unter anderem eine Ankunft des Ministers und damit eine folgenreiche Befreiung ankündigt. All das schwingt mit in „Eutopia“. Als Erinnerung, gewiss. Nur, dass man darauf ebenso wenig verzichten kann wie auf die Kunst der Durcharbeitung, hier in Gestalt eines dichten, kontrapunktisch gewebten Ensemblesatzes, der fürs Bezugnehmen und Antippen (sprich: für Geschichte und Gedächtnis) über­haupt erst die Grundlage schafft.

Freilich verzichtet Katzer auch nicht auf den Wink, den uns unsere politischen Befreiungs-Propheten älterer Zeit, die Herren Rousseau und Marx mit ihren Wort­bildern von der abzuwerfenden Kette geliefert haben. Sobald „Eutopia“ ordentlich Schub aufgebaut hat, ist der Trompeter gehalten, eine „große Kette gut sichtbar hochzuheben“. Wenig später fällt sie im ganzen Ensemble „in ein Becken“. Da liegt sie dann. So einfach kann das sein, das Moment aufhebenden Bewahrens, der Fingerzeig auf das Es-bleibt-noch-was-zu-tun. Musik und Politik? Geht.

Ideal und Leben

Was auch das Bewusstsein von Gerhard Stäbler ist, der pünktlich zum Tag der Arbeit im Rathaus der Stadt Köln („ … Aussreißen damit es grün bleibt … “), ein konkret­utopisches Mammutprojekt zur Uraufführung brachte. Auch in diesem Fall als Antwort auf den ehrgeizigen „Acht-Brücken“-Auftrags-Ruf des Intendanten Louwrens Langevoort, „Hymnen für ein nicht existierendes Land“ zu schreiben. Was für Gerhard Stäbler vor allem mit dem Versuch zusammenfiel, die breit gefächerte Welt Kölner Musikschul-Amateure zusammen mit den Profis in ein und dieselbe Aufführungs­situation zu stellen, also differierende Niveaus in der Partitur zu berücksichtigen. Was man sich im Ergebnis ungefähr so vorstellen darf: Auf der Zwischenempore Alexandra von der Weth wie eine blonde Königin der Nacht, unter ihr der Violinist Peter Stein, dazu ein Streich­quartett, darum herum im großen Rathausrund ein halbes Dutzend Chöre, Schlagzeug- und Orchestergruppen.

Klar, dass eine solche Ausgangssituation selbst zum Ereignis werden muss. Stühle jedenfalls gab es nicht mehr, so groß war der Andrang bis ans Dirigentenpult, auf dem Michael Ostrzyga um bestmögliche Koordination bemüht war. Kann das klappen? Das fragte man sich unentwegt, wodurch dann automatisch das Inhaltliche, in diesem Fall die Abgründigkeit deutscher Geschichte, gespiegelt im Heiner Müller-Gedicht „Bruchstück für Luigi Nono“, sich nurmehr am Rand mitteilte. Politisch – das ging hier ganz in die Form, die als Inhalt auftrat, indem sie eine Frage konkret stellte und gleich die Antwort mitlieferte. Geht das, Kultur zu machen nicht nur für, sondern durch und mit allen? Hausherr Jürgen Roters (SPD) schaute ganz ungläubig, auf einmal so unvermittelt mit einem alten sozialdemokrati­schen Ideal konfrontiert worden zu sein. Weitere „Hymnen für ein nicht existierendes Land“ gab es an anderen Stellen von „Acht Brücken“, wobei sich herausstellte, dass es gar nicht so einfach ist, die Frage konkret zu stellen, also Formen zu finden, die eine Aussage wirklich transportieren. Ausgerechnet die Beiträge der jüngeren Komponisten ließen da so manche Fragen offen. Zuviel Tändeln im rein Klanglichen, im Hin und Her von Aktion, im bedeutungs­vollen Heraufbeschwören; umgekehrt zu wenig Selbstkritik, zu wenig wirklicher Biss. Was hier fehlte, hörte man noch einmal bei einem wunderbar nächtlichen Nono-Abend in der Kunst-Station St. Peter. „Musik.Politik“ ist nichts für die, die sich von nichts rühren lassen.

Deswegen waren es die Alten, die diesem ereignisreichen „Acht Brücken“-Parcours ihren Stempel aufgedrückt haben. Nicht zuletzt Altmeis­ter Frederic Rzewski, der im Großen Sendesaal des WDR sein bewegendes Variationenwerk „The People United Will Never Be Defeated“ vortrug und sich hinterher dümmlichen Fragen aussetzen musste. Nicht diese, aber das denkwürdige Konzert davor hätte der Sender schon mit­schnei­den können. Nachvollziehbar, dass der ausführende Komponist verärgert war und auf die abschließende Improvisation eigentlich verzichten wollte. Dann hat er sie doch gespielt. Wegen der Politik – und der Musik.

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