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Emma McNairy, Shin Taniguchi. Foto: © Christina Iberl
Emma McNairy, Shin Taniguchi. Foto: © Christina Iberl
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Ein „Don Giovanni“-Coup in Meiningen

Vorspann / Teaser

Killian Farrell und Hinrich Horstkotte landen in Meiningen mit der letzten großen Opernpremiere der Spielzeit einen musikalischen und szenischen Volltreffer.

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Wolfgang Amadeus Mozarts und Lorenzo Da Pontes „Don Giovanni“ in einen Spielplan aufzunehmen, bedarf selbst heutzutage keiner speziellen Begründung. Man muss diesen Dauerbrenner der Operngeschichte dann nur noch gut machen. Das eine oder andere weglassen. Oder - wie jetzt in Meiningen – mal nichts streichen und augenzwinkernd einige fremde Takte einfügen. Dazu gehört auch, das Schlusssextett nach Don Giovannis spektakulärer Höllenfahrt drin zu lassen. Wenn es weggelassen wird, dann mag das vielleicht politisch korrekter sein. Diese Fehlstelle bereitet aber nicht nur musikalischen Phantomschmerz. Sie vergibt auch die Chance, einen Blick auf die Erfahrungen und Aussichten der Übriggebliebenen zu werfen. Die sind zwar einen pflichtschuldig und offiziell verfluchten Wüstling losgeworden, aber eben auch einen geheimen Orientierungspunkt ihres Lebens. Sogar, wenn sie sich selbst als den bürgerlichen Gegenentwurf zum feudalen Libertin verstehen wie Don Ottavio. Der sichert sich in Meiningen ganz am Ende die Maske, mit der Don Giovanni in die finale Konfrontation mit dem Komtur gegangen ist. So ganz sicher ist man sich nicht, ob dieser Ottavio die Maske als Warnung oder als Inspiration behalten wird. Auf der anderen Seite der Bühne lugt in diesem Schlussbild der jetzt herrenlose Leporello noch mal hervor. Womöglich kommen die beiden sogar „ins Geschäft“ …

Für solche augenzwinkernde Ambivalenzen bieten dieses Meisterwerk, die „Oper der Opern“, jede Menge Steilvorlagen. Wenn sich die trauerschwarz gekleidete Donna Anna im Finale für einen Moment die Hände auf den Unterleib hält, könnte man das durchaus für die reflexartige schützende Geste einer Schwangeren halten. Wenn das aber so ist, erscheint das Ringen mit Don Giovanni in der allerersten Szene in einem ganz anderen Licht. Da sieht man, wie sie den maskierten Don Giovanni abwehrt und er mit ihr ringt. Aber was davor in ihrem Schlafzimmer passiert ist, weiß man dadurch noch lange nicht. Die Version, die sie ihrem Verlobten Don Ottavio auftischt, klingt jedenfalls auch diesmal nicht sehr glaubwürdig.

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Lena Kutzner (vorn), Lubov Karetnikova, Mark Hightower, Monika Reinhard, Aleksey Kursanov. Foto: © Christina Iberl
Lena Kutzner (vorn), Lubov Karetnikova, Mark Hightower, Monika Reinhard, Aleksey Kursanov. Foto: © Christina Iberl
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In Meiningen hat sich der versierte Alles-aus-einer-Hand-Regisseur Hinrich Horstkotte auf den ersten Blick für eine Einheits-Großmetapher entschieden. Im dunklen Raum rotiert ein aufgeschlagenes, imposantes Riesenbuch auf der Drehbühne. Leporello trägt die, sagen wir mal Rucksackausgabe davon auf dem Rücken und die Feder für die Neueinträge griffbereit am Hut. Unzählige Namen (und Altersangaben) der Frauen sind zu erkennen. Im Buch untereinander notiert, hat Leporello hier den Überblick. In seiner berühmten Arie kategorisiert er sie ziemlich genau nach Alter, Stand, Figur und Nationalität. Allein in Spanien ja angeblich mille e tre, also 1003! Wer’s glaubt. Aber hier geht es um Ruf, um Image, um Wirkung auf die Anderen, die diesen unmoralischen Bösewicht-Helden umkreisen, sich angezogen oder abgestoßen fühlen, auf jeden Fall aber seinem Charisma und Sexappeal ausgesetzt sind. Der ist ein sprichwörtlicher Verführer mit einem Ticket für die Hölle (der Moralapostel) und gleichzeitig utopischer Antiheld. Wenn er beim Fest am Ende des ersten Aktes mit Verve sein „Viva la Liberta“ verkündet, dann ist es vor allem seine eigene Freiheit, die er meint. Es gehört zu den Feinheiten der Meininger Inszenierung, dass die anderen das durchaus spüren und dieser für einen Adligen seltsamen Losung nur mit ungläubig schüchternen Gesten assistieren.

Horstkotte kommt mit seinem fokussierten Bühnenbild, der historischer Kostümierung und einer fein ausgearbeiteten Personenführung ohne eine überkandidelte Überschreibung dem Stück auf eine Weise nah, wie es selten gelingt: Er liefert tatsächlich, was die Gattungsbezeichnung verspricht: ein Dramma giocoso, ein „lustiges Drama“.

Fabelhaftes Hausensemble

Dass man das Nachtstück mit dem düsteren Ausgang bekommt und sich dabei auch noch amüsieren kann, liegt natürlich auch an dem fabelhaften Hausensemble, das sich vom packenden Drive der Musik, die GMD Killian Farrell mit der Hofkapelle hier als Basis beisteuert, tragen lässt. Darstellerisch und stimmlich auf Heldenhöhe: Shin Tanaguchi als viriler Titelheld mit einem Leporello (geschmeidig: Tomasz Wija) an seiner Seite und dem Komtur (machtovll: Selcuk Hakan Tiraşoğlu) als Mordopfer und Richter vor Augen. Betörend jugendliche Frische und schockierende Erfahrung kombinierend: die Donna Anna Lubov Karetnikova. Grandios wie immer: Emma McNairy, der als Donna Elvira die Pferde durchgehen. Dazu ein mit Aleksey Kursanov überraschend ergreifender Don Ottavio und ein umwerfend bodenständig komödiantischer Mark Hightower als Masetto an der Seite seiner Zerlina Monika Reinhard. Dazu noch der von Roman David Rothenaicher einstudierte, auch engagiert spielende Chor….

Fazit: Meiningen bietet zum Ende der Spielzeit einen „Don Giovanni“, der vom Premierenpublikum heftig gefeiert wurde und eine Reise lohnt!

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