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KLEIDER MACHEN LEUTE. Szenenfoto mit: (im Vordergrund) Todd Boyce (Melchior Böhni); Solistinnen und Solisten sowie Damen und Herren des Opernchores. Foto: © Bernd Schönberger

KLEIDER MACHEN LEUTE. Szenenfoto mit: (im Vordergrund) Todd Boyce (Melchior Böhni); Solistinnen und Solisten sowie Damen und Herren des Opernchores. Foto: © Bernd Schönberger

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Ein falscher Graf mit richtigem Beruf – Alexander von Zemlinskys „Kleider machen Leute“ in Cottbus

Vorspann / Teaser

Alexander von Zemlinskys (1871-1943) Opern sind rare Gäste auf deutschen Opernbühnen. Die frühe, schon 1904-06 entstandene und erst 1980 uraufgeführte Oper „Der Traumgörge“ war gerade in Frankfurt und sein „Kreidekreis“ (1933) vor kurzem in Dortmund auf der Bühne zu erleben. Auch sein „König Kandaules“ war schon Mitte der dreißiger Jahre fertig, kam aber erst 1996 das erste Mal in Hamburg auf die Bühne. Zemlinsky geht es hier – vor, aber auch nach dem Krieg – nicht besser als anderen jüdischen Komponistenkollegen.

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„Kleider machen Leute“ ist die mittlere seiner sieben vollendeten Opern. Sie wurde 1910 an der Wiener Volksoper uraufgeführt. In Cottbus gibt es jetzt die sogenannte von ihm überarbeitete „Mannheimer“-Fassung, deren Aufführung der Ausbruch des ersten Weltkrieges verhindert hatte. Dabei ist das Libretto, das Leo Feld aus Gottfried Kellers Novelle destilliert hat, eine so handfeste wie hintergründige Geschichte. Daraus lassen sich mühelos Brücken in eine Gegenwart schlagen, in der das mehr Scheinen als Sein zum kommunikativen Grundkonsens gehört.

In der Abschieds-Inszenierung des Cottbusser Intendanten betont Stephan Märki das Teuflische im Menschlichen. Der Schneider Wenzel Strapinski (mit lyrischem Tenor und jugendlicher Eleganz: Paul Schweinester) wird nämlich wegen seiner zufällig zustandegekommenen luxuriösen Kutsch(mit)fahrt vom heimischen Seldwyla ins benachbarte Goldach prompt für einen Grafen gehalten und so behandelt. Wer schon so heisst und im noblen Gewand reist, muss in den Augen der Spießbürger einfach ein polnischer Graf sein. Frei nach dem Motto, den König machen immer die anderen, wird er verwöhnt und umschmeichelt. Natürlich verpasst er den richtigen Zeitpunkt zu einer Richtigstellung und auch den zur Flucht. Obendrein hat er sich auf die Schnelle auch noch in die Amtsratstochter Nettchen (mit erheblichem Potenzial zum Auftrumpfen: Anne Martha Schuitemaker) verliebt. Sein Rivale um deren Gunst, Prokurist Melchior Böhni (mit markanter Präsenz: Todd Boyce), hat freilich die zerstochenen Finger bemerkt, aber auch seine diversen Versprecher und die verdächtige Detailkenntnis in Sachen Mode registriert, die er unbefangen von sich gibt. Er recherchiert in Seldwyla und wartet dann bis zur schnell anberaumten Hochzeit mit dem großen Enthüllungs-Eklat. Wenn die empörten Bürger über Stopinski herfallen, lenken sie damit natürlich vor allem von ihrer eigenen Verblendung ab. Der teuflische Satyr, den Märki hier durch die Szene schleichen und den Bürgern einmal auch etwas einflüstert, gehört wohl doch mehr zu den Goldaer Doppelmoralbesitzern, als zum Schneider …

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KLEIDER MACHEN LEUTE. Szenenfoto mit (v.l.n.r.): Todd Boyce (Melchior Böhni), Anne Martha Schuitemaker (Nettchen) und Paul Schweinester (Wenzel Strapinski). Foto: © Bernd Schönberger

KLEIDER MACHEN LEUTE. Szenenfoto mit (v.l.n.r.): Todd Boyce (Melchior Böhni), Anne Martha Schuitemaker (Nettchen) und Paul Schweinester (Wenzel Strapinski). Foto: © Bernd Schönberger

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Stephan Märki, Silvia Merlo, Ulf Stengl (Bühne, Video & Lichtgestaltung), Elina Schnizler (Kostüm) und Chriss Comtesse (Choreographie und Co-Regie) haben für diese Geschichte eine stimmige Ästhetik gefunden, bei der die augenzwinkernd illustrierenden Videos ebenso stilbildend sind wie die Kostüme, die auf den Wirtschaftswunderwohlstand der Nachkriegsjahrzehnte verweisen. Hier fällt der Schneider mit dem noblen Erscheinungsbild seines Meisterstück-Gewandes tatsächlich aus dem Rahmen.

Alles ist dezent in die Gegenwart geholt und gekonnt mit Witz gewürzt. Wobei selbst die übertriebene Liebedienerei der Dorfhonoratioren nicht in Klamauk abkippt. So fügt sich das Ganze zu einem höchst unterhaltsamen Opernabend, bei dem auch die Geschichte obendrein eine Moral hat. Dass hier das Happyend dick aufgetragen wird und die am Ende zu Wenzel stehende Braut Nettchen ihre Träume aufgibt und dann eben Meisterin werden will, wenn es zur Gräfin nicht langt, hat Zemlinsky musikalisch überdeutlich herauskomponiert, dass die Musik das Augenwinkern zur Geschichte gleich mitliefert. Wenn man es nicht als ein märchenhaftes Und-wenn-sie-nicht-gestorben-sind … gelten lassen will. Was aber auch ginge. 

In Cottbus verbindet sich die stimmige Szene aufs Beste mit einem überzeugenden Protagonistenensemble und dem Beitrag des von Christian Möbius einstudierten Opern- und des von Norienne Olberg präparierten Kinder- und Jugendchors. Vor allem aber mit der Musik Zemlinskys. Die ist erkennbar der Tradition verhaftet und setzt alsbald auch ziemlich schwergewichtige Orchestergeschütze ein. Da schallt es auch schon mal ziemlich spätromantisch zurück; da grüßen Humperdinck, Wagner oder Strauss. Und doch ist es ein eigener Ton, der seine eigene Suggestivkraft entfaltet. Beim Cottbusser GMD Alexander Merzyn und seinem Philharmonische Orchester wird nicht nur mit Lust geschmettert und geschmachtet, sondern auch überzeugend parliert und geträumt.

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