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Eine unerwartete Reise

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Traditionspflege und Überraschendes beim Woerthersee Classics Festival 2019
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Wer würde in dem österreichischen Bundesland Kärnten und dessen „Hauptstadt“ Klagenfurt im Bereich der Musik mehr als ein immer wieder überraschendes Stadttheater – im kommenden März sogar (gemeinsam mit Wuppertal) mit einer Uraufführung Salvatore Sciarrinos – erwarten?

Und doch: Auch dieses Jahr fand das sich – etwas zu modisch – Woerthersee Classics Festival nennende Unternehmen erneut statt, das die ursprünglich aus Russland stammenden Begründer, die Geigerin Elena Denisova und der Dirigent Alexei Kornienko furchtlos im Jahr 2002 gegründet und seither geleitet haben. Mittlerweile leiten Begrüßungstexte eines (inzwischen schon nicht mehr) österreichischen Bundesministers, des Landeshauptmanns und der Frau Bürgermeisterin von Klagenfurt das Programmheft ein. Dem zusammen mit dem Festival erkennbar gealterten, vornehmlich weiblichen Publikum muss man im Programmheft denn auch nicht mehr mitteilen, wo denn die Konzerte überhaupt stattfinden. Aber das Publikum sub-30 fehlt ja doch, allen Bemühungen zum Trotz, in Theatern und Konzerten nicht nur im österreichischen Süden, selbst wenn es dort ein angesehenes Konservatorium gibt.

Die Überraschung bringt das Programm der vier Tage: Wer kennt denn Reinhold Glières Konzert für Koloratursopran und Orchester, op. 82. Anna Ihring war die furchtlose Solistin dieses Hochseilaktes. Nur müsste, wenn sich beispielsweise Sopran und die Klarinette des ungarischen Philharmonischen Orchesters Györ zu streiten beginnen, dieses Kuriosum doch wohl etwas theatralischer angegangen werden. Dafür tut man der 1. Sinfonie von Sibelius keinen Dienst, deren leerlaufende Pathetik so wenig zu bremsen, wie Aleyei Kornienko es tat – allerdings mit gro­ßem Beifall.

Der zweite Abend stand dann zunächst ganz im Zeichen von Elena Denisova: Bereits 2011 hat Dieter Kaufmann sie mit seiner Sinfonietta, op. 132 mit Solovioline und Kammerorches­ter porträtiert: „Elena en face“, also von vorne. Da ist dann die Fülle sehr unterschiedlicher Züge so legitim wie unterhaltsam. Glänzend dann die Zusammenarbeit mit der Solistin und der Entdeckung des vorzüglichen chinesischen Dirigenten Tao Fan mit dem erstaunlichen lokalen Mahler Ensemble in Mozarts fünftem Violinkonzert. In der zweiten Konzerthälfte Mahlers Bearbeitung für Streichorchester von Schuberts legendärem „Der Tod und das Mädchen“-Quartett. Allerdings: Diese Bearbeitung sollte dann auch mit dem für Mahler selbstverständlichen Rubato-Stil des „Espressivo“ gespielt werden, deren Eigenheiten in der Bearbeitungs-Partitur klar zu erkennen sind. Bunt dann das Programm des Duo del Gesú (der Franzose Arnaud Kaminski, Violine, und der Pole Krzysztof Komendarek-Tymendorf, Viola) von Haydn, Mozart und Brahms via Robert Fuchs zu zwei Uraufführungen: die Kärntner Maximilian Kreuz (*1953) – mit „Ach, daß nicht die letzte Stunde“, einem „Coral im Alten Stil“ – und Stephan Kühne (*1956) mit „Moment musical“. Beide bekennen sich offen zu einer „Traditionspflege“ – und das Publikum ist dafür dankbar.

Vergleichbar, und doch ganz anders, im hochbarocken Dom unter dem apart mehrdeutigen Titel „Orgelvereinigung“: Da spielten die Klagenfurterin Eva Darracq-Antesbrger und Domorganist Klaus Kuchling auf einer oder zwei Orgeln zwei- und vierhändig bearbeitete Werke von Pedro José Blanco, Mozart, Schumann, Dvorák, Mahler und Rachmaninoff – und am Ende ausgerechnet die „Danse macabre“ von Camille Saint-Saëns. (Aber die kirchlichen Behörden wussten vielleicht, dass das nicht „makabrer“, sondern schlicht Totentanz bedeutet und indessen legitimiert ist.) Aber was in der „Nachtmusik“ aus Mahlers 7. Sinfonie noch alles bisher kaum gehört werden konnte, das war eine völlig unerwartete Reise durch eine eben nur anscheinend wohl bekannte Berglandschaft, die Gustav Mahler 1904 während seiner Sommer-„Ferienkomponisten“zeit in Maiernigg am Wörthersee entworfen hat.
 

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