Wenn schon Oper in Italien, dann gibts auch gleich große Oper beim Drumherum. Vor allem bei der traditionell immer etwas späten Spielzeiteröffnung. Die Mailänder Scala hat es da mit ihrer „Inaugurazione“ am 7. Dezember zum nationalen Großereignis gebracht. Ganz so üppig geht es in Rom nicht zu. Aber illuminierte Palmen vor dem Haus, ein roter Teppich und wachsame Gala-Uniformierte gibt es hier für das Schaulaufen (edel-)markenbewusster Opernbesucher auch. Die etwas andere „Kultur“ im Umgang mit den Handys im Saal während der Vorstellung ignoriert man am besten.
Enttäuschendes Rendezvous im Bälle-Bad: Spielzeiteröffnung der Opera di Roma mit Boitos „Mefistofele“
Letztlich gilt es aber auch hier der Kunst. Das Stagionehaus eröffnete jetzt seine aktuelle Saison mit sechs Vorstellungen von Arrigo Boitos „Mefistofele“. Neben „Tosca“, „Zauberflöte“, „Otello“ und „Sonnambula“ stehen immerhin auch „Jenufa“, „Peter Grimes“ und die Frankfurter „Salome“ auf dem Programm, die Barrie Kosky dort szenisch auf die Titelfigur fokussiert hat. Insgesamt bietet das Theatre dell’Opera di Roma damit 57 Abende (neben dem Ballett) mit 10 Opern-Produktionen.
Aktuell ist nicht nur die Entscheidung für Arrigo Boitos einzig wirklich überlebende Oper (und nicht für Verdi oder Puccini), sondern auch für den international gefragten Regisseur Simon Stone maßvoll ambitioniert.
One Hit Wonder
Goethes Faust hat ja etliche Komponisten jenseits des deutschen Sprachraumes fasziniert – von Charles Gounod und Ferruccio Busoni bis Pascal Dusapin und eben auch Arrigo Boito (1842-1918). Dessen erste Siebenstundenversion von „Mefistofele“ fiel allerdings bei der Mailänder Uraufführung 1868 krachend durch. Sieben Jahre später, 1875 in Bologna, sah die Sache anders aus. Auf die Hälfte gekürzt und mit einem vom Bariton zum Tenor umgeschriebenen Faust brachte diese Fassung dem Komponisten schließlich den erhofften Erfolg.
Boito ist heute vor allem als Librettist von Verdis „Otello“ und „Falstaff“ bekannt. Dass er Wagners „Rienzi“, dessen „Tristan und Isolde“ sowie Webers „Freischütz“ ins Italienische übersetzte, zeugt von einer Affinität zur deutschen Kunst. Sein Einsatz für eine Reform der Oper schloss eine Propagierung der Gleichberechtigung von Text und Musik im durchkomponierten Gesamtkunstwerk a la Wagner ein. Dass ihm eine Art Synthese von italienischer und deutscher Kunst vorschwebte, wird bei seiner Faustoper, die er nach dessen Widerpart Mephisto benannt hat, auf Anhieb klar. Und Michele Mariotti lässt am Pult des ziemlich hochgefahrenen Orchesters der Oper Rom keinen Zweifel, dass es hier um den großen Ton, das große Pathos geht.
Vokaler Luxus
Musikalisch ist diese Opern-Collage aus Szenen beider Teile von Goethes Faust auch in dieser Version eine Materialschlacht von beachtlichem Ausmaß. Schon, weil die Walpurgisnacht fast einen großen Teil der Partitur einnimmt. Hinzu kommt, dass der symphonische Duktus die Sänger besonders fordert.
Hier bietet die Oper durchweg vokalen Luxus auf. An der Spitze mit einem profund machtvollen John Relyea in der Titelpartie des Mefistofele und dem kernig standfesten Tenor Joshua Guerrero als Faust. Maria Agresta macht ihre Doppelrolle als Margherita und Elena zu einem strahlenden vokalen Glanzstück – wobei ihr im Falle von Elena auch eine insgesamt rollendeckende Darstellung gelingt. Dass sie als Margherita im goldfunkelnden Paillettenkleid näher an einem immer noch im italienischen TV anzutreffenden Frauenbild ist, als an einem Gretchen, muss man hier aber eher der Regie anlasten. Überzeugend komplettiert wird das Protagonistenensemble durch die Mezzosopranistin Sofia Koberidze (Marta und Pantalis), Marco Miglietta (Wagner) und Leonardo Trinciarelli (Nereo). Der aufgerüstete Chor des Hauses stemmt seinen präzise von Ciro Visco einstudierten Part mit dem vollen Bewusstsein der Hauptrolle, die ihm Boito zugewiesen hat.
Alles aber nichts
Der Regisseur freilich hat sich in seinem Falle für den Aufmarsch in Oratorienformation entschieden. Wie überhaupt Simon Stones Regie die Enttäuschung des Abends ist. In einer pseudo-altmeisterlichen Reduktionsattitüde dominiert bei Ausstatter Mel Page die einfarbige, meist weiße Raumabstraktion einer kargen Bühne, die erstaunlich langer und rumpelnder Umbaupausen bedarf. Dass sich Mefistofele als Clown tarnt und an Faust heranmacht, das weiße Jahrmarktskarussell oder das mit dekorierenden Röntgenbildern angedeutete Studierzimmer mögen ja noch angehen. Aber die Verlegung der Gartenszene in ein IKEA-Bällebad, in dem sich dann zwei Paare austoben, oder die aufscheinende Bebilderung von Margheritas Verzweiflung von Liebesnacht bis Mutter- und Kindsmord und Verhaftung, die hinter einem Spiegel in der weißen Zelle aufleuchtet, wirken eher matt und bemüht. So wie die Walpurgisnacht mit der rituellen Schlachtung eines Schweins und der angedeuteten Diktatorenattitüde (zwischen Mussolini und Chaplin), in die sich der Teufel hineinsteigert, um dann eine kleine Weltkugel in Flammen aufgehen zu lassen; Soldaten in Felduniformen von heute mitten in der angedeuteten Antike ein Blutbad angerichtet haben und ein Epilog im Pflegeheim, aus dem sich der Teufel davon macht und der sterbende Faust als erlöst deklariert wird… Das wars dann.
In die Nähe von Goethes und Boitos Relevanz für heute kommt Simon Stone damit nicht annähernd. Und schon gar nicht an die packende Wirkung seiner früheren Überschreibungen im Schauspiel oder der Oper. Was er bot war diesmal eher eine Regie-Imitation. Im durchaus übersichtlichen Beifall waren die Buhs für die Regie nicht zu überhören.
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