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Katja Kabanová 2022: Jaroslav Březina (Tichon Ivanyč Kabanov), Corinne Winters (Katěrina/KAtja). © SF / Monika Rittershaus
Katja Kabanová 2022: Jaroslav Březina (Tichon Ivanyč Kabanov), Corinne Winters (Katěrina/KAtja). © SF / Monika Rittershaus
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Kein Ausweg für Katja – Leoš Janáčeks „Katja Kabanova“ bei den Salzburger Festspielen

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Premiere in Salzburg heißt in diesem Jahr durchweg: Jubel für alle! Wenn sich ein Regisseur vom Format eines Barrie Kosky Leoš Janáčeks „Katja Kabanova“ vornimmt und auf die Bühne der Felsenreitschule stellt, dann darf man von vornherein damit rechnen. Die Frage ist bei ihm nicht längst nicht mehr, ob er etwas kann, sondern nur, wie er es macht. Eine leicht optisch ins Auge springende Kosky Ästhetik für Alles gibt es bei ihm nämlich nicht. Und das gehört zum Faszinierendsten seiner Arbeiten.

Er vermag bei „Eugen Onegin“ einen Realismus zu entfalten, dass man sich am Liebsten zu den Frauen auf die Wiese setzen würde, um von der Marmelade zu naschen, an der sie gerade rühren. Bei seinen Bayreuther „Meistersingern“ gab es im ersten Akt ein urkomisches Charakterbild Richard Wagners als Schmankerl vor einer ernsthaften Geschichtsaufarbeitung. Und für die „Salome“ genügte ihm in Frankfurt ein Lichtkegel! Die Komische Oper Berlin, die er zehn Jahre leitete, wurde unter ihm als regieführendem Intendanten zu einem Hort der Wiederbelebung mit der Operette der 20er und 30er Jahre. Kosky bewegt sich allemal stilsicher zwischen Federboa (oder der Offenbachschen Unterwelt, wie auch schon in Salzburg zu den Festspielen) und der Auslotung von Abgründen. Eines der eindrucksvollsten Beispiele dafür lieferte er schon einmal mit einer Janáčeks – Oper. In Hannover machte er „Aus einem Totenhaus“ ein Experiment über menschliches Verhalten, das zu einem Hofgang in der Hölle eskalierte. 

So ähnlich ist es auch jetzt in der Felsenreitschule. Es geht um die junge Katja, die an der Enge der Verhältnisse und ihrer Ehe fast erstickt. Sie wird von einem Musterexemplar von Schwiegermutterdrachen drangsaliert und erniedrigt, gegen die sich ihr schwächlicher Ehemann nicht einmal ansatzweise zur Wehr zu setzen vermag. Sie lässt sich in ihrer Verzweiflung und Lebenssehsucht auf eine Liebschaft ein, hat aber die Verhältnisse und ihre Stellung darin so verinnerlicht, dass sie ihre „Sünde“ öffentlich beichtet und so die Ächtung in Gang setzt, die sie dann in den Selbstmord treibt. Katja geht in die Wolga – hier öffnet sie eine Bodenluke und gleitet hinein. Man findet am Ende nur noch ihr pitschnasses Kleid. Aber das ist auch schon der konkreteste Bezug zu einer realistischen Welt. Für Katja besteht die Welt aus Menschen, die sie – abgesehen von ein paar Ausnahmen – nicht als junge Frau sehen. Die sich wie eine Wand ihr gegenüber verweigern und mit dem Rücken zu ihr nur Zurückweisung demonstrieren. Die konkrete Verortung der Geschichte, die einer Vorlage von Alexander Ostrowskis Drama „Gewitter“ aus dem 19. Jahrhundert folgt, lässt Kosky beiseite. 

Wie schon beim Barock/Orff Doppelabend gab es einen Vorhang. Auch die Arkaden waren (optisch) zugemauert, aber noch erkennbar. Davor stehen unzählige menschliche Puppen mit dem Gesicht zum Felsen. Für einen Moment könnte man die tatsächlich für ein Riesenaufgebot von Statisten halten, bis man bemerkt, dass nicht einer auch einen Millimeter wackelt. Bei kurz geschlossenem Vorhang zwischen den Bildern verändern sie ihre Aufstellung, bilden einen Raum, den eine Lichtbatterie von oben zusätzlich imaginiert – oder ballen sich zusammen, wenn sie vor dem Gewitter Schutz suchen. Aus dieser Masse Mensch lösen sich die Akteure, haben die gesamte Bühnenbreite für sich. Ein großer Raum, der dennoch beklemmend eng wirkt. Das ist eines der Kunststücke von Kosky, Rufus Didwiszus (Bühne), Victoria Behr (Kostüme) und Franck Evin (Licht).

Eine präzise Personenregie ist eins der herausragenden Künste des Regisseurs. Davon profitiert allen voran die phänomenale Corinna Winters als Katja. Eine junge, hübsche Frau, eigentlich noch am Anfang ihres Lebens, doch eingesperrt und schon am Ende. Ein leichtfüßiger Wirbelwind mit beeindruckender vokaler Ausdruckskraft. Sie ist das Glanzlicht eines in jeder Hinsicht durchweg exzellenten Ensembles. Evelyn Herlitzius ist die genau hierher passende, furchtbar keifende unbarmherzige Schwiegermutter Kabanicha, die sich nicht nur die oberste Moralinstanz anmaßt, sondern (zum Ausgleich) gerne in Stiefel und mit Reitpeitsche Dikoj das Hündchen spielen lässt. Jens Larsen, ein singschauspielerisches Urgestein der Komischen Oper, kostet das exzessiv aus. David Butt Philip ist mit ausdrucksstarkem Tenor, der Liebhaber Boris, der sich widerstandslos von seinem reichen Erbonkel in die Verbannung nach Sibirien schicken lässt, wohl ahnend, dass Katja das nicht überleben wird. Hinreißend frisch Jarmila Balázová als jugendliche Katja-Freundin Varvara. Überzeugend in seiner inneren Zerrissenheit und Schwäche Jaroslav Bernina als mutterhöriger Ehemann Tichon.

Im Graben am Pult der Wiener Philharmoniker liefert Jakub Hrůša einen so atmosphärischen wie dramatischen raunenden Janáček-Sound – immer mit, nie gegen die Sänger. Die neunzig Minuten, die der Abend dauert, sind für diese Sichtweise genau das richtige Maß, so lange trägt sie allemal. 

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