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Messeschlager Gisela an der Komischen Oper Berlin. Foto: Jan Windszus Photography

Messeschlager Gisela an der Komischen Oper Berlin. Foto: Jan Windszus Photography

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„Messeschlager Gisela“ – Die Komische Oper ist wieder auf Erkundungskurs

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Mit Gerd Natschinskis „Messeschlager Gisela“ in der Inszenierung von Axel Ranisch wird ein Prunkstück des sogenannten Heiteren Musiktheaters der DDR mitreißend aufpoliert.

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Man fragt sich heute noch, wie es Gerd Natschinskis „Mein Freund Bunbury“ in der DDR und darüber hinaus gelang, zu einem solchen durchschlagenden Erfolg zu werden. Nicht wegen der musikalischen Qualität – die spricht bei dieser handwerklichen Perfektion und Dichte von Hits für sich selbst. Auch wenn es heute (zum Glück) kaum noch vorstellbar ist, aber allein der Ort der Handlung London war für die größte DDR der Welt (und ihre Zensoren) eine subversive Zumutung. Am Ende würde noch jemand auf die Idee kommen, dorthin reisen zu wollen. Im Uraufführungsjahr 1964 war das für den Normalbürger schon nicht mehr möglich. 

Bei Natschinskis vier Jahre vorher, ebenfalls im Metropoltheater in Ostberlin uraufgeführten „Messeschlager Gisela“, kann der Chef des Modekombinates „VEB Berliner Schick“ zwar auch nicht nach Paris fahren (um sich dort inspirieren zu lassen, wie er das nennt), weil ihm die Genossen die Devisen für die Reise nicht bewilligt haben. Aber seine Sekretärin kann er zu diesem Zeitpunkt noch ohne Weiteres auf einen kleinen Spionage-Ausflug ins KaDeWe nach Westberlin schicken. Wenn da Maria-Danaé Bansen in der Rolle dieser Sekretärin Marghueritta Kulicke ihre Berliner Schnauze auf Dauerfeuer stellt, auf dem Tisch tanzt und ihre körperlichen Reize ausspielt, erinnert das durchaus an den fulminanten Auftritt, den Liselotte Pulver in Billy Wilders grandioser Ost-West-Komödie „Eins Zwei Drei“ auf dem Schreibtisch hinlegt. Wilder vermasselte der Mauerbau den Erfolg seines Film. Für den „Messeschlager Gisela“ standen die Zeichen danach auch auf Stopp. Eine DEFA Verfilmung des vorübergehenden Dauererfolges gab es aber 1965 immerhin – auch wenn der VEB-Direktor und Chefdesigner Robert Kuckuck dann nicht nach Paris, sondern nur noch nach Prag konnte.

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Messeschlager Gisela an der Komischen Oper Berlin. Foto: Jan Windszus Photography

Messeschlager Gisela an der Komischen Oper Berlin. Foto: Jan Windszus Photography

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Und das Ganze? Vom „Messeschlager“ zum „Messe-Ladenhüter“ und ab in die Versenkung? Selbst nach der Wende? Offenbar war bei den Intendanten in den ersten West-Nachholjahren zu viel Ostaura mit dem Stück verbunden. Bis man sich endlich wieder auf die Premium-Qualitäten von Natschinskis Musik und auch auf den immer noch halbwegs funktionierenden Plot besann, den das Libretto von Jo Schulz ja hat. An der Neuköllner Oper und in Cottbus etwa. Wenn sich aber wie jetzt die Komische Oper mit ihrer ganzen Ausgrabungs- und Popularisierungskompetenz dem „Heiteren Musiktheater“ der DDR zuwendet, dann stehen die Zeichen günstig für eine Rückkehr Gerd Natschinskis auf die Bühnen des Landes. 

In ihrer sommerlichen Zusatzausweichspielstätte, dem Spiegelzelt vor dem Roten Rathaus (mehr Mitte geht kaum) haben jetzt Axel Ranisch (Inszenierung), Saskia Wunsch (Bühne), Alfred Meyerhofer (Kostüme) den „Messeschlager Gisela“ als sympathisch packende Show der Erinnerung aus der Versenkung geholt. Vermutlich nachhaltig, denn man kann sich ohne Ostalgieverdacht von Herzen amüsieren. 

In der Mitte des charmant historischen Spiegelzeltes gibt es eine runde Spielfläche, in die sowohl die Arbeitsplätze der Näherinnen des VEB Berliner Schick, als auch eine Küche für den kochenden Hausmeister Priemchen verborgen sind. Die Zu- und Abgänge für Chor und Ballett durch den Saal sind offen, die Spielfläche reicht bis vor die Musiker, die Adam Benzwi mit Schwung zur Hochform animiert. Die Kostüme liefern 60er-Jahre Zeitgeist – das Modell von Gisela, das die Belegschaft am Ende gegen das alberne Modell „Melone“ des auch als Designer komplett überforderten Chef Robert Kuckuck mit einer Mischung aus DDR-Frauenpower und Improvisationsgeist durchsetzt, überzeugt tatsächlich mit seiner Melange aus Eleganz und Praktikabilität. Es sind nicht nur dieser beständige Dauerclinch mit Plan- und Mangelwirtschaft und Orientierung am Westen, die hier mit szenischem Witz für Tempo sorgen. Dazu gibt es diverse Liebesgeschichten, die am Ende alle halbwegs gut ausgehen. Wobei hier durchweg überzeugend gespielt, gesprochen und gesungen wird. 

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Messeschlager Gisela an der Komischen Oper Berlin. Foto: Jan Windszus Photography

Messeschlager Gisela an der Komischen Oper Berlin. Foto: Jan Windszus Photography

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Gisa Flake hat als Gisela die Sympathien auf ihrer Seite und beeindruckt überdies mit gekonntem Gesang. Sie kommt am Ende mit jenem Fred zusammen, für den Nico Holonics von seiner Rolle als Reporter in die des Transportarbeiters undercover und zurück wechselt. Dass Marie-Danaé Bansen als die flotte Sekretärin mit den Träumen von einer Modelkarriere abräumt, versteht sich von selbst. Wenn sie am Ende wieder in der realsozialistischen Modebetriebswelt landet, bekommt sie dafür Johannes Dunz, der ihren etwas arg eifrigen, aber smarten Kollegen Stubnik spielt. Auch der hemdsärmlige Kuckuck, der bei Thorsten Merten im Dauerüberforderungsmodus wurschtelt, bleibt nicht allein. Am Ende setzt sich Andreja Schneider als Produktionschefin Emma Puhlmann auch beziehungstechnisch bei ihm durch. Im Falle des vierten Paares erlaubt sich Ranisch eine kleine anachronistische Mogelei zugunsten der DDR. Denn auch der kochende Hausmeister Priemchen (Martin Reik) und der Zuschneider, den alle Inge nennen (Theo Rüster), werden ein Paar.

Aber was soll’s. Man freut sich vor allem, dass Gisela mit ihrem Modell triumphiert hat. Wenigstens bei Natschinski und in einer großartig mitreißenden musikalischen Verpackung. .

Man kann nur hoffen, dass die Komische Oper diesem ersten Schritt aufs heitere Musiktheater der DDR zu mit der gleichen Ambition weitere folgen lässt. 

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