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Der Schuster. Foto: Martin Sigmund
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Musikalisch sensationell geglückt: „Frau ohne Schatten“ in Baden-Baden

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Im Festspielhaus Baden-Baden wurden die Osterfestspiele mit einer musikalisch glanzvollen Neuproduktion „Der Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal eröffnet. Die Premieren-Kritik von Joachim Lange.

Der 1919 nicht in Dresden, sondern in Wien uraufgeführte Opernbrocken „Die Frau ohne Schatten“ des Gespanns Richard Strauss – Hugo von Hofmannsthal hat es in sich. Man braucht musikalische Voraussetzungen der Extraklasse, doch auch dann läuft dieses Werk des oft kongenialen Duos nicht von selbst, weil es eben doch ein nicht ganz so genialer Wurf wie ihr „Rosenkavalier“ geworden ist, bei dem einem schon beim Mitlesen des Textes das Herz aufgehen kann. Beim gleichen Versuch mit der „Frau ohne Schatten“ zieht es einem eher die Schuhe aus. Die Musik ist für die Straussfans allerdings ein Hochamt des spätromantischen, selbstverliebten großen Klangs, bei dem man gerne alles Ornamentale oder sogar Kitschige ebenso überhört wie man das Weltentrückte ignoriert. Es ist keine Frage: Die Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko lassen in dieser Hinsicht nicht das Geringste zu wünschen übrig, weder an der betörenden Opulenz, den samtigen Streicher, noch an sängerfreundlichem Maßhalten und großem Erblühen. In dieser Beziehung kann höchstens Dresden noch mithalten.

Für den großen Festspielauftritt zu Ostern in Baden-Baden ist „Die Frau ohne Schatten" also eine heiße Kandidatin. Und so lange Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker quasi im Maschinenraum, sprich Orchestergraben des Festspielhaustankers mit seinen zweieinhalbtausend Plätzen sitzen, müssen die Baden-Badener die Konkurrenz der anderen Nobel-Osterfestspiele in Salzburg nicht fürchten. Petrenko hatte schon seine Münchner Ära vor zehn Jahren mit diesem Werk begonnen. Auch in Baden-Baden ist vor allem der Orchesterpart geradezu sensationell geglückt. Beindrucken die ersten dumpfen Schläge im Graben noch mit ihrer Wucht, so ist fortan das subtile Ausleuchten der Feinheiten, das Aufblühen des Raffinements der Partitur angesagt. Mit betörenden, gleichwohl den Raum füllenden Streichersoli in den kammermusikalischen Passagen, den immer wieder auftauchenden melodischen Bögen und dem entfesselten Chaos. 

Die amerikanische Regisseurin Lydia Steier hat sich der Herausforderung, der vertrackten Geschichte beizukommen, mit einem ambitionierten Zugriff gestellt. Sie betrachtet das assoziativ mit Symbolen ausgestattete Umkreisen der Frage nach der Rolle von Mutterschaft für die „Vollwertigkeit“ einer Frau aus der Perspektive eines jungen Mädchens. Das ist, offenbar ungewollt und außerhalb der Regeln eines auf den katholischen Sexual-Moral-Punkt gebrachten Patriarchats, schwanger geworden und jetzt in einem Kloster untergebracht. Hier werden diese „Ausrutscher“ gleichsam „entsorgt“. In einem Schlafsaal mit vielen anderen, wird sie von Alpträumen geplagt. Diese zusätzliche Figur, die sie „Ein Mädchen“ nennt und die Vivien Harter eindrucksvoll verkörpert, steht gleichsam für die „Opfer“ einer voremanzipatorischen Sexualmoral, die eigentlich ein eklatanter Fall von Euphemismus ist. Ihre szenische Anwesenheit ist oft eine personifizierte Wunschprojektion der vier kinderlosen (sprich schattenlosen) Frauen und Männer. Mit ihr im Mittelpunkt gelingt Lydia Steier am Ende auch, jenseits der großen Pink-Orgie bei Baraks, den durchs Bild gleitenden religiösen Bildern und des mehrfachen Wechsels vom Klosterschlafsaal zur großen Revuetreppe für den Showauftritt von Kaiser und Kaiserin, ein starkes Schlussbild. Dieses Mädchen gräbt in einem Lichtspott auf leerer Bühne mit bloßen Händen in aufgeschütteten Erdhaufen. Man darf vermuten, dass sie jetzt die Hoffnung aufgegeben hat, das Kind, das man ihr weggenommen und an ein solventes kinderloses Paar gegeben hat, die das gespenstische Kloster immer wieder aufsuchen. Sie sucht jetzt stattdessen nach der Leiche ihres Kindes. Mit dieser eskalierenden Verzweiflung unterläuft Steier das Finale mit dem die beiden jetzt miteinander vereinten Paare ihren künftigen Kindersegen bejubeln. Und man kommt nicht umhin, nachzurechnen. Die Kinder, die im Uraufführungsjahr 1919, ein Jahr nach dem ersten großen Krieg geboren wurden, waren bei Ausbruch des nächsten um die Zwanzig. Also im lebensgefährlichsten Alter, in dem man in diesen Jahren sein konnte. …

Musikalisch verbreitet nicht nur das Orchester Glanz, sondern auch die Besetzung besonders bei den tragenden Frauenrollen ist festspielwürdig. Dabei überstrahlte Elza van den Heever als Kaiserin alle anderen sogar noch. Sie kann leise ansetzen und dann ihre Stimme scheinbar mühelos betörend aufblühen lassen und in den Bann ziehen. Hier ist sie obendrein wie ein Revuestar aus Ufa-Zeiten in Szene gesetzt. Das verleiht ihrem Auftritt als eher tanzende Frau mit Besen, denn als Putzfrau bei Barak daheim, szenischen Witz. Ihrer Lösung aus dem Bannkreis der Amme verschafft das in der Fallhöhe Glaubwürdigkeit. Nicht minder eindrucksvoll hat sich Miina-Liisa Värelä als Baraks Frau profiliert. Sie hat die frustrierte, mit sich, ihrem Mann und dem Leben unzufriedene Frau wirklich singend gestaltet, ohne ins Keifen abzugleiten. Sie schafft es spät, aber nicht zu spät, dieser Figur auch ein Quantum Mitgefühl zu sichern. Als die Anwältin der Übermächte, die sie am Werke wähnt, ist auch Michaela Schuster eine darstellerische und alle Facetten dieser dubiosen Gestalt vokal ausschreitende Amme. Wolfgang Koch hat in der Rolle des Barak dessen Güte auf seiner Seite, jede Menge Sängererfahrung und eine dazu passende vokale Gestaltungskraft. Clay Hilley als Kaiser glänzt mit dem Nachweis schöner Trompetentöne und guter Kondition, bleibt aber als Kaiser doch etwas zu grob, um mit großen Bögen wirklich zu verführen. Alles in Allem ist Baden-Baden mit der Eröffnungsproduktion ein musikalisches Großereignis gelungen.   

Szenisch bleibt „Die Frau ohne Schatten“ auch in dieser ambitioniert hinterfragenden Sicht ein verästeltes Monstrum, das die Kernfrage, um die es geht, mit allerlei märchenhafter Symbolik bemäntelt. Lydia Steier hat versucht, sich mit einem schlaglichtartigen Aufbereiten der rumorenden Traumata vor allem von Frauen als potenziellen Müttern der Geschichte zu nähren und ihr Relevanz abzugewinnen, ohne dabei die große Show zu ignorieren. 

Für die Liebhaber von Richard-Strauss-Musik braucht es gleichwohl keinerlei Begründung, um sich in dieses Werk zu versenken, noch dazu, wenn es musikalisch in einem Premiumformat a la Petrenko erklingt, wie jetzt, in Baden-Baden..  

 

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