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 Rinnat Moriah (Eurydike), Tanzensemble. Foto: (c) Björn Hickmann

 Rinnat Moriah (Eurydike), Tanzensemble. Foto: (c) Björn Hickmann

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„Orpheus in der Unterwelt“ an der Oper Dortmund als uninformierte Blödelshow

Vorspann / Teaser

Nachdem alle personellen Beschränkungen, die sein Theater-Privileg ihm an­fangs auferlegt hatte, gefallen waren, erreichte Offenbach im Alter von fast vierzig Jahren mit dem ‚Orpheus in der Unterwelt‘ (1858) den wohl größten Erfolg seines Lebens. Es ist bis heute das charakteristischste Stück für ihn und seine Epoche, das Zweite Kaiserreich geblieben! Am Theater Dortmund hat man das Werk jetzt in der kritischen Ausgabe von Jean-Christophe Keck gespielt, in deutscher Textfassung von Ludwig Kalisch mit Ergänzungen von Frank Harders-Wuthenow Und in der Regie des genialischen Puppenspielers Nikolaus Habjan. Man durfte gespannt sein.

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Um es gleich zu sagen. Es war eine große Enttäuschung! In jeder Hinsicht. Auf Nikolaus Habjan (Jahrgang 1978), den Tausendsassa, erfolgreichen Grazer Animateur ungewöhnlicher Klappmaul-Puppen, inzwischen ist er auch ein gefragter Regisseur, hatte man die größten Hoffnungen gesetzt. Indes er hat dem grandiosen Stück nicht vertraut (immerhin haben es zwei der besten Librettisten der Zeit geschrieben, Ludovic Halévy und Hector Crémieux) und die hochintelligente Mythentravestie um den antiken Orpheus, die zugleich eine freche Verspottung der Doppelmoral des Zweiten Kaiserreichs darstellt, verharmlost zu konventionellem Papiertheater à la „Operette“.

Heike Völlmer hat ihm (was die Technik angeht) ein quasi barockes Bühnenbild geschaffen. Es sieht aus wie eine Soffittenbühne mit papiernen, ausgeschnittenen Kulissen und Wölkchen im absichtlich naiv gemalten Format. Im ersten Akt ist der Orchestergraben ein Aquarium, in das der Dirigent hinabsteigt, im zweiten Akt ist er der Pfuhl der Unterwelt, aus dem aufgemalte lodernder Papierflämmchen hochgeklappt werden. Kein besonders intelligenter, sinniger Einfall. Grandhotel (1. Bild) mit Spa, Olymp als Wolkenkuckucksheim, rote Unterwelt vor comicartigem Schrei-Prospekt und gemaltem Zimmer am linkeren oberen Rand des Bühnenportals, in dem Eurydike von der Jupiter-Fliege heimgesucht wird, all das ist in greller Überzeichnung und banaler Vereinfachung eine Verharmlosung der Dramaturgie des Stücks, die noch durch konventionelle Personenführung nach Art von „Operette“ getoppt wird: Kein Kalauer ist banal genug, vorgeführt zu werden. Slapstick ist angesagt, es darf chargiert werden, dass sich die Bühnenbretter biegen. Eine Blödelshow, in der Hans Styx (eine Paraderolle für einen Charakterkomiker)  als harmlos-karnevalesker Nosferatu ohne Biss auftritt. Das wolkenverhangene Olymp-Bild gähnt vor Langeweile, zumal die weißen Kostüme à la grecque äußerst konventionell sind, vom bieder blauen Suffragetten-Kostüm der Öffentlichen Meinung, in das der Blitz eingeschlagen hat, der Straßenkleidung des Orpheus und der völlig überzeichneten Kostümierung Eurydikes im letzten Akt, deren schwarzes Glitzerröckchen mit feuerroter Perücke deplatziert wirkte. Vom Rest des Mummenschanzes (Denise Heschl) zu schweigen.

Auch die vorwiegend gymnastischen Übungen der Bademeister und Spa-Benutzer in Hellblau und Senf, die Adriana Naldoni verantwortet, glänzen nicht gerade durch Originalität. Das Fliegenballett kommt reichlich unbeholfen daher. Beim finalen Tanz wurde die Todsünde begangen, die Offenbach partout nicht wollte. Adriana Naldoni lässt den „galop infernal“ „als Cancan tanzen! Ein Missverständnis: Der Höllengalopp „Galop infernal“ aus dem „Orphée“ ist zwar eine der charakteris­tischsten, aber auch mißbrauchtesten Musiken Offenbachs, sie wird noch heute dem Publikum meist „als typisch französischer Cancan vorgegaukelt“ (Peter Hawig). Aber dieser Galopp ist weit entfernt von dem Moulin-Rouge-Gekreische jener Touristen bespassenden, strumpfband­bestückten und ihre Beine in Rüschen-Röcken werfenden Damen, wie es in den 1890er Jahren Mode in einschlägigen Nachtlokalen von Paris war. Bei Offenbach (Gustav Doré hat es in einem Gemälde festgehalten) wird zu dem Höllengalopp ein tosendes Bacchanal in phantastischen Antiken-Kostümen getanzt! Der Cancan der Offenbachzeit war eine Gallopade, ein Rundtanz wilden Zuschnitts. Wie Frank Harders-Wuthenow zurecht einmal schrieb: „Im Orpheus tanzten ihn die revoltierenden Götter in ihren antiken Kostümen als anarchische Antwort auf Jupiters Menuett, dem musikalischen Inbegriff für das höfisch-strenge Zeremoniell des Ancien Régime.“

Nein, diese Inszenierung ist trotz des Beifalls des breiten Publikums, das Offenbachs politische „Opera bouffe“ offenbar für hübsch-alberne „Operette“ hält (was für ein Missverständnis) eine große Enttäuschung. Aus der kritischen Fassung der Edition Keck, eine Mischfassung mit einigen nie zu hörenden Musiknummern und dem durch Frank Harder-Wuthenows diskret aufgepepptem Text wurde keinerlei Kapital geschlagen. Unintelligent und uninformiert werden alle dummen Vorurteile gegen Offenbach und die vermeintliche „Operette“ in dieser Inszenierung bestätigt.

Auch musikalisch schlägt die Aufführung keine Funken. Unter Motonori Kobayashis Stabführung zündet die Musik Offenbachs nicht wirklich. Zwar spielen die Dortmunder Philharmoniker klangschön und rasant. Doch kapellmeisterliche Zackigkeit und rasche Tempi sind nicht alles. Die Delikatessen der Partitur verpuffen, alles musikalisch Augenzwinkernde, Ironische, der musikalische Subtext bleibt weithin außen vor.

Die Lautstärke der Darbietung verhinderte zudem, obwohl alle Sänger Mikroports trugen, die Wortverständlichkeit. Nur vier Sänger waren gut zu verstehen (der Orpheus von Zachary Wilson, der Aristeus/Pluto von Fritz Steinbacher, der Hans Styx von Steffen Schortie Scheumann und der Jupiter von Morgan Moody). Ansonsten wurde opernhaft unverständlich gesungen. Trotz der deutschen Textfassung war das Publikum auf die Übertitelung angewiesen, um zu verstehen, was da auf der Bühne sprachlich verhandelt wurde. Offenbach kam es aber eben auf absolute Wortverständlichkeit an, weshalb er ja viele Partien mit Schauspielern besetzte. Der krasseste Fall war die Sängerin der Eurydike (...), der es vor allem darauf anzukommen schien, die extremen Spitzentöne ihres quietschigen Soubrettenorgans trompetenhaft vorzuführen. Die Aufführung war wahrlich kein Sängerfest. in dem großen Ensemble (immerhin ein Dutzend Gesangspartien) gab es viel unzureichende, schlampig phrasierende, sogar ausgesprochen unschöne oder überforderte Stimmen.

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