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Anne Schuldt (Brangäne), KS Iordanka Derilova (Isolde), Tilmann Unger (Tristan), Kay Stieferman (Kurwenal), Michael Tews (König Marke), Barış Yavuz (Melot). Foto: © Claudia Heysel.

Anne Schuldt (Brangäne), KS Iordanka Derilova (Isolde), Tilmann Unger (Tristan), Kay Stieferman (Kurwenal), Michael Tews (König Marke), Barış Yavuz (Melot). Foto: © Claudia Heysel.

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Rausch mit Sogwirkung und Klangorgie mit Regiegags – Richard Wagners „Tristan und Isolde“ in Dessau

Vorspann / Teaser

Richard Wagner wollte mit „Tristan und Isolde“ dem schönsten aller Träume ein Denkmal setzen, wie er selbst einmal schrieb. Friedrich Nietzsche nannte das Musikdrama Wagners „Opus metaphysicum“. Wie auch immer: Das in­kommensurable Werk ist jetzt, 17 Jahre nach der letzten Tristanproduktion des Anhaltischen Theaters Dessau am selben Haus neu herausgekommen. Damals wurde der „Tristan“ noch von Johannes Felsenstein inszeniert, jetzt zeigt man ihn in einer Inszenierung von Michael Schachermaier, die musikalischen Leitung hat der amtierenden GMD Markus L. Frank.

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„Tristan und Isolde“ ist eher so etwas wie die letzte und gewaltigste musika­lische Ikone romantischer Liebesvorstellungen, auch wenn Wagner das trans­zendierende Moment, aber auch das Antibürgerliche, das Gesellschafts­sprengende, ja Asoziale des Eros durchaus kritisch reflektiert. Jedenfalls solle dieser „mächtigste aller Triebe“, wie er bekennt, sich in dieser „Oper“ die mehr ist als nur eine Oper, noch einmal ungezügelt ausrasen. 

Der Österreicher Michael Schachermaier, dessen Lehrer unter anderem Andrea Breth, Matthias Hartmann, Christoph Schlingensief und Alvis Hermanis waren, hat das Stück entromantisiert, versachlicht und hat ihm seine von Schopenhauers Pessimismus geprägte Stoßrichtung durch nicht nachvollziehbare Regiegags auch seine Plausibilität geraubt.

Dabei hat der Bühnenbildner Paul Lerchbaumer eine recht pragmatische, variable zweistöckige Säulenarchitektur auf die Bühne gestellt, die – durch fokussierende Einengungen mittels schwarzer Wände und Vorhänge sowohl Unterdeck eines Schiffes (Reisekoffer und Kisten deuteten das an), einen schlossartigen Innenhof (Liebesgarten) und einen maritimen Sterbeort Tristans (mit Siechenbett) einigermaßen glaubwürdig, wenn auch nicht aufregend markierten, immer wieder ein reichlich Bühnenqualm und blaues Licht gehüllt.

Freilich, von den Szenenanweisungen und Intentionen Richard Wagners ist diese Realisierung, weit entfernt. Wagners dialektische Darstellung einer zutiefst egoistischen Liebe zwischen den Protagonisten des Stücks, die eigentlich aneinander vorbeireden und vorbeilieben, auch je einsam sterben – von wegen Liebestod – ist bei Schachermaier kaum zu erkennen. Es ist doch gerade die Diskrepanz zwischen Liebesideal und Liebeswirklichkeit, der Wagner im schönsten seiner Träume desillusionierend, ja deprimierend das Wort redet.

Nun muss man ja nicht die Münchner Uraufführungsdekorationen des Tristan zum Maßstab einer heutigen Inszenierung nehmen. Doch so unbedarft wie Schachermaier sollte man auch nicht an das Werk herangehen. 

Er erzählt im Grunde nur eine schlichte Geschichte: Isolde wird – auf Betreiben von König Marke aus Irland zu ihm gebracht. Doch zwischen seinem Brautwerber und der Braut entfaltet sich eine glühende Liebe. Das Paar wird in flagranti erwischt von Melot, dem intriganten Agenten des Königs. Es kommt zum Kampf, Tristan wird tödlich verwundet, Tristan und Isolde sterben. Er an der Wunde, die ihm zugefügt wurde, sie aus wahnhaftem Trennungsschmerz, auch „Liebestod“ genannt.

Schachermaier inszeniert brav an der Oberfläche der Handlung entlang. Auch wenn beim Liebesgesang des zweiten Aufzuges ein riesiger nächtlicher Mond durch die Säulenhalle scheint und vierfach gedoubelte Isolden, Papierschiffchen bastelnd, durch den Fiebermonolog des dritten Aktes geistern: Was die an sich nicht ungeschickte Inszenierung fragwürdig machte, ist das absurde Ende mit dem Tod Tristans vor weißen Gartenmöbeln und Isoldes divenhafter Liebestod im Konzertformat, nachdem der tote Tristan wieder auferstanden ist und sich auf einen der weißen Stühle setzt und den (Garten-)Tisch aufklappt, nimmt auch die inzwischen verstorbene Isolde dort Platz. Der Vorhang geht zu und alle Fragen bleiben offen. 

Immerhin ist GMD Markus L. Frank, gemeinsam mit der präzise aufspielenden und klangschönen Anhaltischen Philharmonie Dessau der Musik von Wagers „schönstem aller Träume“ gerecht geworden. Und mehr als das. Der Abend ist ein Rausch mit Sogwirkung, eine Klangorgie, ein Fest feinster, narkotisierender Übergänge, dramatischer Zuspitzungen und rasantem musikdramaturgischem Zugriff. Chapeau! So einen makellos gespielten wie intelligent strukturierten, analytisch klaren, transparenten Tristan, tiefromantisch und modern zugleich, hört man selten. 

Auch die Besetzung hat Niveau. Allen voran Iordanka Derilova. Sie ist eine furiose Sängerdarstellerin noch immer, schon in der letzten Tristaninszenierung von 17 Jahren war sie eine fulminante Isolde. Ihre wortverständliche Aussprache des Deutschen lässt zwar zu wünschen übrig, doch ihre Stimmkraft ihre Kunst der Phrasierungen und ihre sicheren Spitzentöne sind beeindruckend immer noch. Ganz zu schweigen von Ihrer körperlichen Schönheit und der Souveränität ihrer Bewegungen, auch wenn sie nicht frei sind von Primadonnen-Pathos. 

Sie durfte auftreten in einem strahlend blauen Kostüm, das ihrer Figur und ihren Bewegungen schmeichelte. Ansonsten fielen die Kostüme des venezolanischen Kostümbildners Alexander Djurkov Hotter nicht gerade durch Originalität, Phantasie oder Schönheit auf. Rote Akzente der Mäntel von Isolde und König Marke setzten royale Akzente in ansonsten mediokrer Couture.

Die bemerkenswerte Mezzosopranistin Anne Schuldt singt eine makellose, balsamisch-wohltönende, absolut wortverständliche Brangäne. Auch der durch Kultiviertheit des Singens, Stimmschönheit wie Diktion auffallende Kurwenal von Kay Stiefermann beeindruckt, ebenso der Bassist Michael Tews, der den gehörnten Dritten, König Marke, als erschütternde Autorität vorführt. Einen glaubwürdigen Intriganten Melot gibt der türkische Bariton Barış Yavuz.

Der Tristan von Tilmann Unger zeichnet sich mehr durch Singklugheit, Klarheit der Sprachbehandlung und Intelligenz als durch Kraft, Stimmgröße und schauspielerische Begabung aus. Aber immerhin: Auch der Rest des Ensembles wie der Chor des Anhaltischen Theaters Dessau überzeugten. Zumindest musikalisch darf dieser „Tristan“ fast eine Sternstunde genannt werden.

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