Vor einem Vierteljahrhundert hat Emmerich Kálmáns (1882-1953) „Csárdásfürstin“ an der Semperoper für einen veritablen Skandal gesorgt. Peter Konwitschny hatte das populäre Operettenschmuckstück aus dem Jahr 1915 dort in die Entstehungszeit verlegt und mit Theaterbildern des ersten Weltkrieges überblendet. Die wenigen, aber lautstarken Proteste während der Premiere waren das eine. Dass der damalige Intendant im Nachhinein davor einknickte und die Inszenierung „entschärfen“ ließ, war der eigentliche Skandal. Konwitschny erstritt in der Folge vor Gericht immerhin die Feststellung, dass auch eine Inszenierung den Charakter eines eigenständigen Kunstwerkes hat.

Juli Sekinger (Marietta) und Chor. Foto: Pawel Sosnowski
Späte Ankunft – „Die Bajadere“ von Emmerich Kálmán in der Staatsoperette Dresden
Von einem derartigen Wirbel, aber auch von der zugrunde liegenden Gedankentiefe ist die aktuelle Inszenierung von Kálmáns „Die Bajadere“ meilenweit entfernt. Das Werk, das 1921 in Wien uraufgeführt wurde, kam jetzt in der Staatsoperette im Kraftwerk Mitte das erste Mal überhaupt in Dresden auf die Bühne. Dabei konnte das auf das Genre spezialisierte Haus seine Kompetenz voll ausspielen. Mit dem hauseigenen Orchester und seinem Chef Michael Ellis Ingram, dem von Thomas Runge einstudierten Chor, den beiden von Judith Coleman choreografierten Tänzerpaaren und natürlich von einem operettenerfahrenen Protagonistenensemble stehen für alle Teile des Gesamtkunstwerkes versierte Künstler zur Verfügung.
Dass diese „Bajadere“ mehr eine Produktion aus der Wohlfühlkategorie als aus der mit dem Aufregerpotenzial ist, liegt freilich nicht nur an der Inszenierung von Juana Inés Cano Restrepo (Regie), Anna Schöttl (Bühne) und Lena Weikhard (Kostüme). Die beschränkt sich auf einen abstrakt angedeuteten Bühnenraum mit ein paar sinnstiftenden Versatzstücken, wehenden Vorhängen und Zuschauerplätzen wie im Theater oder im Varieté. Der Text stammt zwar von den Starlibrettisten Julius Brammer und Alfred Grünwald, ist aber dennoch ziemlich vorhersehbar. Die Dialoge lassen kaum ein Klischee übers Theater, Frauen und Männer oder den Reiz der Exotik, in dem Falle Indiens, aus und erlauben eine ganze Reihe von Abstechern in schlagerähnliche Nummern.
Es hat immer seinen eigenen Witz, wenn es selbstreferenziell auf der Bühne wird. In diesem Fall sind die gerade laufende Operette „Bajadere“ und deren weiblicher Star, die Darstellerin eben dieser Tempeltänzerin, Odette Darimonde, selbst Gegenstand des Bühnengeschehens. Die unvermeidliche Liebesgeschichte ist die zwischen dem Pariser Operettenstar und dem indischen Prinzen Radjami. Der hat – wie im Genre nicht anders zu erwarten – nur noch eine kurze Frist, um zu heiraten, weil ihm sonst sein Thronanspruch in seiner Heimat verloren geht. Daheim hat sein noch regierender Onkel schon ein halbes Dutzend Bräute für ihn ausgesucht. Doch er hat sich nicht nur in Paris eingelebt und ist so etwas wie ein Liebling der Gesellschaft. Er hat sich ein Verführerimage zugelegt, ist vor allem bei den Damen beliebt, glaubt aber längst mit ziemlichem Machobewusstsein an seine Wirkung auch bei Odette. Sie lässt sich zum Schein drauf ein, sagt dann aber doch ziemlich öffentlichkeitswirksam erst mal Nein. Damit verpasst sie dem Prinzen zwar eine Lektion in Sachen weiblicher Selbstbestimmung; zu einem Stück über Emanzipation avancierte das Ganze aber dennoch nicht.
Gleichwohl brilliert Steffi Lehmann als Odette Darimonde höhensicher und mit zupackendem Selbstbewusstsein. Auch Bryan Rothfuss ist als Prinz Radjami vokal durchweg überzeugend. Schade nur, dass ausgerechnet er mit seinem flauschigen Ganzkörper-Outfit nicht so elegant daherkommt wie es der Diva vergönnt ist.

Steffi Lehmann (Odette Darimonde). Foto: Pawel Sosnowski
Auch auf der Ebene des Buffopaares im Personaltableau erlauben sich die Librettisten einen Blick ins moralisch Ungewohnte. Napoleon St. Cloche (Andreas Sauerzapf) wirbt mit ziemlichem Aufwand um Unternehmergattin Marietta (Julie Sekinger). Weil die ziemlich fordernd nervt, geht ihr Ehemann Louis Philippe (Hinrich Horn) erstaunlich schnell auf deren Wunsch nach Scheidung und neuer Partnerschaft ein und genießt sein zurückgewonnenes Singledasein in vollen Zügen. Was ihn wiederum so attraktiv macht, dass sie wieder zu ihm zurückkehrt. Vor allem die drei liefern die Komödienwürze zum schlingernden Weg der Diva und des Prinzen auf das unvermeidliche Happyend zu. Für die Ebene des Theaters und seiner Eigenheiten stehen der Chef der Claqueure Pimprinette und der Theaterdirektor. Gerd Wiemer und Dietrich Seydlitz bewältigen diese Rolle auch in den gesprochenen Passagen präzise.
Das Beste an diesem Ausflug in die Indienmode im Paris der Zwanzigerjahre ist freilich die Musik. Ausgesprochen melodiensatt, gespickt mit Nummern, die sich wie Leitmotive wiederholen und mit diversen Schlagern. Das ist durchweg eingängig und mitreißend und trägt sogar über die Längen der drei Bruttostunden des Abends.
Besetzung:
- Musikalische Leitung: Michael Ellis Ingram, Regie: Juana Inés Cano Restrepo, Bühne: Anna Schöttl, Kostüme: Lena Weikhard, Choreografie: Mandy Coleman, Dramaturgie: Judith Wiemers Chorleitung: Thomas Runge
- Mit: Bryan Rothfuss (Prinz Radjami), Steffi Lehmann (Odette Darimonde), Julie Sekinger (Marietta), Andreas Sauerzapf (Napoleon St. Cloche), Hinrich Horn (Louis Philippe La Tourette), Gerd Wiemer (Pimprinette), Dietrich Seydlitz (Direktor Trebizonde), Michael Kuhn (Graf Armand, Dewa Singh), Elmar Andree (Oberst Parker); Tanzensemble: Dominica Herrero Gimeno, Brooke Squire, Arthur Troitsky, Christian Vitiello
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