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Ensemble. Foto: J. Berger.

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Tod in Liège – Die Opéra Royal de Wallonie-Liège wagt sich an Richard Wagners „Tristan und Isolde“

Vorspann / Teaser

In Belgien folgen nicht nur die LaMonnaie-Oper in Brüssel und die Flämische Oper mit ihren zwei Häusern in Antwerpen und Gent, sondern auch die Opéra Royal de Wallonie-Liège ihrem eigenen Stern. Mit mehr oder wenige Strahlkraft über das Land hinaus. Zwar hat der deutsche Überkomponist Richard Wagner auch im französischsprachigen Europa seine eingeschworene Gemeinde. Aber Wagners Ausnahmewerk „Tristan und Isolde“ war in der Wallonie seit fast hundert Jahren nicht mehr auf der Bühne zu erleben. 

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So ist es per se verdienstvoll, wenn sich die auf Vielfalt setzende Oper in Liège jetzt der künstlerischen Herausforderung gestellt und „Tristan und Isolde“ aufs Programm gesetzt hat. Ausgerechnet das Werk, bei dem es besonders um die Imagination eines Klangzaubers geht, der immer wieder ins Rauschhafte eskaliert. Worauf sich ja die gern zitierte Warnung des Komponisten bezieht, dass vollkommen gelungene Aufführungen gesundheitsgefährdend sind.

Nun spielen Jean-Claude Berutti (Regie), Rudy Sabounghi (Bühne), Jeanny Kratochwil (Kostüme) und Julien Soulier (Videos) in ihrer Inszenierung zwar extensiv mit der Krankenhaus-Metaphorik, machen Tristan zum Patienten und Isolde zur Krankenschwester. Eine ernsthafte Gefahr wegen der von Wagner insinuierten Nebenwirkung seiner Musik besteht für die Zuschauer aber nicht. Die ist freilich selbst in den deutschen Hochburgen der regelmäßigen Wagnerpflege (von Bayreuth, Dresden, München und Berlin bis Dessau und Chemnitz) eher selten zu vermelden.

Optisch verweisen vor allem die Kostüme für die vier zentralen Protagonisten und den König dezidiert auf das 19. Jahrhundert. Hintergrund-Videos liefern im ersten Aufzug einen fulminanten Meeresblick. Dass der vom Schiff aus erfolgt, wird durch ein paar Reisegepäckstücke und etwas Segel samt Zubehör angedeutet. Im zweiten Aufzug ist eine Parklandschaft erst in der Draufsicht, dann sozusagen realistisch in die Horizontale abgekippt der Hintergrund. Im dritten Aufzug schließlich dominiert das Sanatoriumspersonal in weißen Kitteln und entsprechende Interieur-Musterungen die Bühne. Nachdem die jetzt als Schwester kostümierte Isolde den letzten Ton verhaucht und sich zum (nicht mehr) singenden Tristan gelegt hat, nickt der nur spielende Tristan im Rollstuhl unmerklich und stirbt. Entschläft würde es hier treffen.

Eine Herausforderung ist dieses Ausnahmewerk vor allem für jedes Orchester, das (außerhalb des Festspielhausprivilegs in Bayreuth) im offenen Graben Emotionen aufglühen lassen und zugleich zügeln muss, um sich mit den Stimmen der Interpreten zu mischen, die vokale Monsterpartien zu stemmen haben. Am Pult des Orchesters der Opéra Royal de Wallonie-Liège legt der Musikdirektor des Hauses, Giampaolo Bisanti, den Ehrgeiz eines eigenen, zupackend transparenten Zugangs an den Tag. Er versucht sich gar nicht erst an einer betont suggestiven Überwältigung. Man hört die einzelnen Instrumentengruppen separierter, als man es unbedingt brauchen würde. Wo man auf einen unmerklichen Übergang ins Hörbare hofft, trifft das Ohr der pointiert beherzte Schritt. Keine Gefahr, ins Schweben zu kommen oder gar abzuheben.

Der schwedische Tenor Michael Weinius als Tristan und die in Armenien geborene Sopranistin Lianna Haroutounian bei ihrem Isolde-Debüt haben damit kein Problem. Es ist schon gewöhnungsbedürftig wie beide – vor allem in den ersten beiden Aufzügen – darauf achten, vokales Aufschwingen nicht in einen Strom einzubinden, sondern erkennbar, gleichsam auf eigene Rechnung zu platzieren. Das immerhin gelingt beiden. Danach ist es geradezu freudig überraschend wie Weinius die Fieberfantasien und Haroutgounian der Liebestod gelingt.Die kraftvoll gebundene Gestaltung, von der man in den beiden ersten Aufzügen gerne mehr gehabt hätte, gibt es hier dann doch noch. Klug gespart und konzentriert ans Ende gesetzt, zahlt sich halt für den Gesamteindruck aus. 

Da in Lüttich gleich in vier Sprachen übertitelt wird, geht hier niemand (der es nicht will) auf dem Weg durch Wagners Dichtung mit all ihrem Verständnis-Unterholz verloren. Die Textverständlichkeit gehört überhaupt auf die Habenseite des Abends. Kurwenal und König Marke sind da eh begünstigt – Birger Radde liefert mit seinem Kurwenal auch in der vokalen Gestaltung hier die überzeugendste Leistung. Evgeny Stavinsky ist ein etwas gaumiger, aber doch würdevoller König Marke. Violeta Urmana kommt dank ihrer Erfahrung und deutlich angestrengt alles in allem als Brangäne durchs Ziel. Alexander Marev als Melot komplettiert das Ensemble, Bernhard Aty Monga Ngoy und Zwakele Tshabalala ringen noch um die kleinen Rollen des Steuermanns, des Hirten und des jungen Seemanns. 

In dieser Inszenierung kommt noch dem Schauspieler Thierry Hellin die Aufgabe zu, als Tristan-Double den dauerpräsenten Kranken zu verkörpern, der auf Isolde wartet, sich an die ganze Geschichte erinnert und vor dessen innerem Auge alles abläuft. In weißem Anzug mit Hut im altmodischen Rollstuhl erinnert seine Erscheinung an den sterbenden Aschenbach in Thomas Manns bzw. Visconti „Tod in Venedig“. Bei dem Tod in Liège, ist dieses aparte Tristan-Double aber nicht nur der sich Erinnernde, Sterbende, sondern tauscht – etwa im großen Liebesduett im zweiten Aufzug – auch schon mal seinen Platz mit dem singenden Tristan. Über weite Strecken bleibt das dennoch szenisch vor allem eine Behauptung. Sie fügt der Postierung der Protagonisten an der Rampe immerhin eine mitunter hektisch zelebrierte Bewegung hinzu.

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