Das „6. Hörfest Neue Musik“ hat „Szenen und Visionen“ in den Detmolder Hangar 21 und andere Spielorte gebracht. Der von Hans Timm ins Leben gerufenen „Initiative für Neue Musik in Ostwestfalen-Lippe“ (INM) ist es gelungen, ein abwechslungsreiches Programm auf hohem Niveau mit insgesamt fünf Uraufführungen auf die Beine zu stellen.
Gleich zu Anfang setzte der Kammerchor der Hochschule für Musik Detmold unter der Leitung von Anne Kohler mit Werken von Rihm („Mit geschlossenem Mund“), Webern, Penderecki, Schafer und Furrer Glanzlichter. Die Interpretation des Chorwerkes „Da Pacem Domine“ von Arvo Pärt verwandelte die Halle in eine Kathedrale, in der sich die Choristen räumlich verteilten. Als Max Hundelshausen vor zwei Jahren mit der Komposition „Mare Nostrum“ anfing, ahnte er noch nichts von der Tragik der aktuellen Flüchtlingswelle, bei der viele Menschen im Mittelmeer ertrinken. Atemgeräusche vermitteln Meeresrauschen, Singen mit vorgehaltener Hand verkörpert menschliches Leid. Das Chorwerk, das jetzt beim Hörfest zur Uraufführung gelang, zog den Hörer durch seine bedrängende Aktualität in den Bann. Neue Musik ist nicht nur ein Spiegel der Zeit, sondern kann Zeitgeschehen visionär vorwegnehmen.
Das „ArtWork-Ensemble mit Hajdi Elzeser und Nedad Lecic am Klavier und den Schlagzeugern Yoana Varbanova und Andrej Doynikov brachten zwei von der INM in Auftrag gegebenen Uraufführungen brillant zu Gehör: „Eisgang“ von Dariya Maminova, die in Detmold Komposition studiert reflektiert unterschiedliche Zeitverläufe und konfrontiert die ruhig in der Newa treibenden Eisschollen in ihrer Heimatstadt St. Petersburg mit der Hektik der Großstadt. Eine Videoprojektion visualisierte den Fluss der Eisschollen. Von Samuel Walther war die Uraufführung seines „Danse macabre“ zu erleben. Christel Aytekin aus Lemgo hatte dafür das Bild „Sternentanz“ gemalt. Viele musikalisch inspirierte Bilder der Künstlerin schmückten den Hangar und schufen eine eindrucksvolle Synthese von Musik und bildender Kunst.
Als Deutsche Erstaufführung erklang „2.2.4 to 4.4.2“ für Klavier zu vier Händen der mazedonischen Komponistin Jana Andreevska (geboren 1967). Der Kontrast zwischen pulsierender Motorik und feinen Einzeltönen sorgte für Spannung.
Zum 25. Jubiläum des „Ensemble Horizonte“, das zuvor das 6. Hörfest Neue Musik mit einem Prolog in Bielefeld eröffnet hatte, entstand unter der Regie von Christian Grammel eine großartige Collage, die Ensemble-Beziehungen veranschaulichte, bis hin zu der Frage, wo der Notenständer steht. Der Hangar wurde in seiner Weite mit Werken von Sebastian Sprenger, Joji Yuasa, Salvatore Sciarrino, Jean-Luc Darballay, Max. E. Keller und des Ensembleleiters Jörg-Peter Mittmann erschlossen. Ein Indoor-Drache galt als Hommage an den Hangar, in dem zur Zeit der Weltausstellung 2000 ein Drachenmuseum untergebracht war. In der Uraufführung von „Hetero Topos“ für Streichquartett und Viola solo der Schweizer Bratschistin Charlotte Hug vereinten sich Instrument, Stimme und Schauspiel zu einem Gesamtkunstwerk. Sogenannte Son-Icons, die von der Decke hingen, bildeten die visuelle Grundlage für die Musik. Die Komponistin hat das Bratschenspiel neu erfunden, indem sie mittels Weichbogentechnik alle Saiten mehrstimmig streicht.
In der Detmolder Christuskirche beeindruckte das Vokalensemble „Canta Filia“ auf höchstem Niveau unter anderem mit der Interpretation der Komposition „Im Verborgenem“ des Detmolder Komponisten Martin Christoph Redel. Die Uraufführung des Werkes „Gomorrha“ des erst 17jährigen Komponisten Valentin Ruckebier durch Mitglieder des Ensemble Horizonte zog in den Bann. Ebenso das Ensemble „L‘Arsenale“ aus Italien, das das Abschlusskonzert des Festivals im Hangar bestritt. Es machte in seiner besonderen Besetzung den Zuhörern mit Werken von Trevisi, Gentilucci, Malancioiu, Vaglini, Perocco, Tomio und Lunsqui bekannt.
Musiker und Tänzer des Detmolder Landestheaters zeigten mit Werken von Nicolaus A. Huber, Pärt, Kagel (6 Schlagzeugduos aus „Rrrrr…..“), Yun und Glass im Kinder- und Jugendtheater KASCHLUPP! wie faszinierend Tanzperformances mit Neuer Musik sein können.
Erstmals war das Hörfest in der Stiftung Eben Ezer in Lemgo zu Gast, wo Menschen mit und ohne Behinderungen zu einem integrativen Musiktheaterprojekt unter dem Titel „Lichtwege, Licht(-)gestalten“ eingeladen hatte, um die zuvor erarbeiteten Ergebnisse eines Workshops vorzuführen. Das Projekt wurde vom Landesmusikrat NRW gefördert.
Den Abschluss des Festivals bildete der Epilog einige Tage später mit drei Schlagzeugerinnen der Detmolder Musikhochschule. Die erfreulich hohen Besucherzahlen bei allen Veranstaltungen zeigen, dass nach sechs Jahren das Hörfest zu einem festen und wichtigen Bestandteil des Musiklebens nicht nur in Detmold geworden ist.