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„Pique Dame“ an der Deutschen Oper Berlin. Foto: © Marcus Lieberenz

„Pique Dame“ an der Deutschen Oper Berlin. Foto: © Marcus Lieberenz

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Verkeilte Schicksale, holzgehämmert inszeniert – „Pique Dame“ an der Deutschen Oper Berlin

Vorspann / Teaser

Pique Dame ist die vorletzte Oper von Peter Tschaikowski nach einem Libretto seines jüngeren Bruders Modest Tschaikowski, das auf der gleichnamigen Erzählung des russischen Dichters Alexander Puschkin basiert. Die Oper wurde am 19. Dezember 1890 im Mariinski-Theater in Sankt Petersburg zur Uraufführung gebracht. Der britische Regisseur Sam Brown nun hat das Konzept des 2021 verstorbenen Regisseurs Graham Vick, als Grundlage seiner Produktion übernommen und an der Deutschen Oper Berlin als Neuinszenierung herausgebracht.

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Drei Jahre vor Tschaikowskis Tod, in einer Lebensphase, die von Depressionen und Auseinandersetzungen mit seiner Frau, die ihn wegen seiner Homosexualität erpresste, dominiert war, entstand in Florenz, wohin er geflohen war, Tschaikowskis vorletzte Oper „Pique Dame“. 

Sein jüngerer Bruder hatte 1887 im Auftrag des Kaiserlichen Theaters in Sankt Petersburg ein Libretto für den Komponisten Nikolai S. Klenowski erarbeitet. Puschkins 1834 erschienene Erzählung wird darin abgewandelt und ergänzt: Die Handlung wird ins späte 18. Jahrhundert zurückverlegt, gesellschaftliche Gegensätze werden stärker herausgearbeitet, die Gestalt der Gräfin dämonisiert und die Figur des Fürsten Jeletzkij eingefügt. Auch der Schluss wird gründlich verändert: bei Puschkin endet Hermann im Irrenhaus, Lisa dagegen geht eine vorteilhafte Vernunftehe ein. 

Sam Brown stellt die 1890 in Sankt Petersburg uraufgeführte Oper in den Rahmen einer Verfilmung von Alexander Puschkins Erzählung „Pique Dame“ aus dem Jahre 1916. Aus diesem Stummfilm werden immer wieder Sequenzen gezeigt. In den recht langen Umbau­pausen zwischen den einzelnen Bildern werden kommentierende Zwischentitel auf den Bühnenvorhang projiziert, Texte von Puschkin und Dostojewski vor allem, über die Natur des Spielers, über Leben und Schicksal, Phantastik und Wirklichkeit: „Die Leidenschaft für das Spiel ist die stärkste Leidenschaft“ wird zum Motto der Inszenierung.

Sam Brown stellt die Obsession des Spielers Hermann heraus, die ihn ab dem Moment befällt, in dem er zum ersten Mal vom Kartengeheimnis der Gräfin hört. Hermann ist an sich ein Jedermann, der mit seiner Arbeit gerade so viel verdient, dass es für ein ordentliches Leben reicht, aber auch nicht mehr. Aber er ist besessen von der Hoffnung auf sozialen Aufstieg und auf Wohlstand, so wie Lisa besessen ist von dem Wunsch nach Liebe. Anders als bei Puschkin, wo sie eine arme Waise ist, zeigt Tschaikowski sie als reiche und angesehene adlige Verlobte, die unmittelbar vor ihrer Ehe mit Fürst Jeletzkij steht. Es geht um Figuren, die verzweifelt versuchen, ihrem Schicksal zu entkommen, obwohl sie eigentlich wissen, dass das nicht möglich ist. 

Hermann möchte jene Welt betreten, der Lisa zu entfliehen versucht. Die beiden Schicksale verkeilen sich ineinander. Wahnhafte Melancholie und deprimierende Aussichtslosigkeit sind die Folge, die beiden traurigen Schicksale enden die einer doppelten Tragödie: Der Spieler erschießt sich, die Frau geht ins Wasser. 

„Für Lisa ist es der Konflikt zwischen der gesellschaftlich erwarteten Pflichtheirat mit einem – von ihr respektierten und geschätzten – Mann auf der einen Seite und ihrer abgründig aufbrechenden Leidenschaft für den sozial niedrig gestellten Hermann auf der anderen Seite. Für Hermann verschärft die Verlobung die Unerreichbarkeit Lisas, die er nur dann umgehen zu können glaubt, wenn er „Berge von Gold“ besitzt (wie er im Libretto fantasiert). Dass er sich über Lisas Verlobung schlichtweg hinweg setzt, ist nicht allein ein schlechter Charakterzug: Tschaikowski zeigt damit, dass Hermans allesverzehrende Liebe sich an Lisa nur entzündet, in Wahrheit aber und bis zum Tod den sagenhaften ‚goldenen Bergen‘ gilt,“ so der Regisseur. 

Sam Brown zeigt das Drama um Liebe, Sex und Tragik, als Drama zweier Obsessionen (zum Kartenspiel und zur Liebe). Im Halbkreis angeordnete Drehkulissen machen ein Kaleidoskop unterschiedlicher gesellschaftlicher Ebenen, starker Gefühle und abwechslungsreicher bunter Aktionen und Orte möglich. 

Das Bühnenbild und die Kostüme von Stuart Nunn schwanken zwischen Heute und Zarenzeit, weder Maschinen noch Kulissen werden geschont. Der revuehafte Mix aus Treppen und angeschnittenen Zimmern, eleganten Boudoirs, Sälen und Außenräumen erinnert in seiner Ästhetik an den 2021 verstorbenen Regisseur Graham Vick, dessen Konzeption ja die Grundlage dieser grellen Neuproduktion bildet. Auch die scharfen Beleuchtungseffekte (Neonröhrengewitter) und zeigefingerhafter Flashlights waren so typisch für Graham Vick wie die immer präsenten, mit groben Pinselstrichen malerisch verwischten Hintergründe seiner Bühnenbilder. Er war ein Freund der Kontraste, starker Farben und der Vermischung von Wirklichkeit und Traum, Einbildung und Realität. 

Das entspricht zwar in diesem Falle der Dramaturgie der Oper, aber die Showeffekte der Inszenierung geraten doch zuweilen etwas grell und überzeichnet, etwa in dem grotesken Männer-Travestieballett kurz vor Ende der Oper oder in der Kasernenstube Hermanns, wo eine ganze Horde von Männern in langen Unterhosen einfällt, auch die folkloristischen Tanzeinlagen wirken aufgesetzt, und dass alle Frauen im Stück (Solisten, Choristinnen und Mädchenchor) wie russische Stereotypen, oft etwas dusselig auftreten, und ihr Püppchen oder Bärchen in Armen halten, wirkt penetrant. Das Stoffbärchen als Symbol der Sehnsucht nach Liebe ist in dieser Lesart des Stücks gewissermaßen der rote Faden. Die Holzhammer-Methode des Regisseurs kommt immer wieder zu ihrem Recht. Auch lässt es Sam Brown an Konsequenz mangeln, seine Regieeinfälle sind nicht immer einleuchtend, etwa wenn der Männerchor im dritten Akt hinter einem Gitter per Hubpodium versinkt. Diese Öffnung wird kurze Zeit später zum Fluss, in den sich Lisa stürzt, freilich weiter herumgeistern darf (wie die Gräfin). Einbildung und Wirklichkeit, Phantasie und Realität werden heftig durcheinandergewirbelt, da mag so mancher Zuschauer gelegentlich den Überblick verlieren. 

Der brasilianische Tenor Martin Muehle singt den Hermann leider im Dauerforte mit nicht nachlassender Intensität. Das seelische Drama Hermanns, der durch seine Besessenheit der Gräfin und Lisa den Tod bringt, bevor er sich am Ende selbst auf offener Bühne erschießt, ist zu plakativ gestaltet und vornehmlich im Heldenformat gesungen. Lyrische Töne hört man nicht, schade. Man fragt sich: Ist die Liebe des Protagonisten für Lisa echt? Oder strebt der arme Militäringenieur vor allem nach Reichtum und Ansehen, weswegen er der schillernden Gräfin um jeden Preis das Geheimnis der siegreichen Karten entlocken will? Brown lässt diese und andere Fragen offen. 

Die alte Gräfin, gesungen von der unvergleichlichen Doris Soffel (anstelle der angekündigten Hanna Schwarz) ist die Sensation des Abends, ihre Gesangs- und Spielkultur in barocker Krinoline wie im Negligé eine Wucht. Dass sie Hermann, bevor er sie zu Tode erschreckt, auf eine Ottomane hingegossen, zum Drink wie zum Sex zu verführen sucht, ist ein recht grotesker und einer der vielen überflüssigen Regiegags. Doch Doris Soffel gestaltet die Rolle in jeder Szene so hoheitsvoll und dämonisch wie stimmlich souverän, jenseits aller Klischees der Partie.

Die Lisa (als Mal bebrillte hysterisch Blondie von heute, mal als elegante Dame der oberen Zehntausend Alt-St. Petersburgs) wird von der amerikanischen Sopranistin Sondra Rad­vanovsky vor allem phonstark intensiv gesungen. Eine starke, aber eben nur lautstarke Ausdruckskünstlerin.

Den Fürsten Jeletzkij, dem Lisa versprochen ist, wird von dem Amerikaner Thomas Lehmann mit geradezu balsamischem Bariton gesungen. Der italienische Bariton Lucio Gallo als Graf Tomskij lässt keinen Wunsch offen. Aber auch alle anderen Partien sind angemessen und überzeugend besetzt.

Kompositorisch zeigt sich die Oper „Pique Dame“ als kongeniale Gratwanderung: „Einerseits stellt er (Tschaikowski) ein musikalisches Pasticcio unterschiedlichster Stile zusammen, andererseits vermag er diese Teile so gut miteinander zu verbinden, dass die raschen Wechsel zwischen den verschiedenen Welten sehr organisch wirken. Das liegt auch an der unglaublichen Dichte des Stücks, in dem es keine Note zu viel gibt. Es gibt kein Fett in dieser Musik. Das Klangbild ist oft sehr illustrativ und verschiedene gesellschaftliche Kreise oder Milieus werden durch indirekte musikalische Zitate vermittelt. So hören wir am Anfang Marschmusik oder in der Kaserne später den Zapfenstreich, aber es gibt auch ausgefallenere Exkurse. Das Lied der Gräfin etwa, bei dem sie in ihren Erinnerungen an das Leben in den Pariser Salons schwelgt, macht als Zitat aus einer Oper des Belgiers André Grétry von 1784 eine gänzlich eigene Sphäre auf.“ (Sebastian Weigle)

Die Oper ist ein Wechselbad der Gefühle. Abwechslungsreichtum ist eine ihrer Qualitäten. Diese schlagen sich auch in der Gegenüberstellung der Nummern nieder: Es gibt große Chöre, eingangs auch einen prominent besetzten Kinderchor, (die Knaben in Soldatenuniform mit Kalaschnikows hantierend) ebenso wie leidenschaftliche Arien und spannende Ensembles.

Sebastian Weigle, langjähriger Chef der Frankfurter Oper, der längst ein international gefragter Dirigent ist, wird der Vielschichtigkeit der zwischen großer, dramatischer Emotion und filigraner Kammermusik hin- und her schwankenden Musik mit ihren Stilzitaten und kontrastierenden Ebenen mehr als nur gerecht. Er dirigiert das präzise und klangschön aufwartende Orchester der Deutschen Oper Berlin auf hohem Niveau mit Kraft und beherrschter Intensität. Alles in allem ein Abend von beträchtlichem Schau- und Hörwert.

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