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Orgel-Masterstudentin Yeseul Jo und Juan Allende-Blin. Foto: René Schröter

Orgel-Masterstudentin Yeseul Jo und Juan Allende-Blin. Foto: René Schröter 

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Der chilenische Komponist Juan Allende-Blin porträtiert in Leipzig
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Leipzig, im Oktober. – Vielleicht war Stefan Beyer ja besonders prädestiniert. Der Vorsitzende der Musikfreunde von forma Leipzig e.V., Veranstalter dieser formidablen Komponisten­ehrung, ist selbst Komponist. Als solcher hat er in seine Werkliste auch ein Stück aufgenommen, das den einigermaßen auffälligen Titel trägt „Mittel und Zwecke“, was nun doch entschieden darauf deutet, dass Beyer das distinkte Verhältnis beider im Bereich des Humanen nicht unbekannt ist. Der Kronzeuge dafür natürlich Kant. Eben derjenige, der viel darüber nachge­dacht hat, wie das Verhältnis der Menschen untereinander, ihr Denken übereinander, ihr Handeln am besten auszurichten wäre. Die Formel, die er dafür gefunden hat, bis heute ebenso landläufig wie gültig: Jederzeit als Zweck, niemals bloß als Mittel.

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Wer es besucht hat, das charmante Festival, das Stefan Beyer und Kollegen dem Komponisten aus dem Westen der Republik ausgerichtet haben, musste denn auch zwangsläufig zu diesem Ergebnis kommen: In kantianischer Ethik gegründete Musik-Festivals sind bei weitem die schönsten! Sie müssen es einfach sein, zumal die Erfahrung ja lehrt, dass Festivalmacher immer in der Gefahr stehen, sich als Trophäenjäger misszuverstehen. Man kennt die Beispiele. Dass es auch anders geht, das hat der Kreis um forma leipzig e.v. jetzt unter Beweis gestellt. Der Ehrgeiz war da, binnen vier Tagen, ein Lebenswerk vor Augen und Ohren eines neugierigen Leipziger Publikums abrollen zu lassen. Und Juan Allende-Blin? – Der Geehrte, während dieser intensiven Konzerttage, in der Tat jederzeit Zweck. Was spürbar, was hörbar war. Beleuchten wir die Schwerpunkte.

Mit den Hörstücken zu beginnen, zeugte schon einmal von einem vertieften Verständnis der Werkentwicklung. Tatsächlich hat sich Juan Allende-Blin, ein Jahrgang 1928, in den zurück­liegenden Jahrzehnten immer wieder diesem Genre gewidmet. Vorgestellt wurden in Leipzig zwei Produktionen. „Nachtgesänge – Klangcollage“ nach dem Text „Kuno Kohn“ von Alfred Lichtenstein, Südwestfunk 2001, sowie „Monolog/Dialog“ mit Texten von Jorge Semprun und Samuel Beckett, entstanden 2023 im Auftrag von Deutschlandfunk Kultur. Letzteres eine verdichtete, in eine Todeszone führende Remini­szenz an einen Gedenkstättenbesuch in Buchen­wald. Hier wie in „Nachtgesänge“ und auch in den anderen Hörstücken, ist es zudem der Autor, der sich selbst, sprechend, zu Wort meldet, was diesen Radioarbeiten nicht zuletzt ihre Glaub­würdigkeit verleiht. Ein, als solches, unbegreifbares Geschehen, verknüpft mit, verortet im Autobiographischen. Es geht darin traumwandlerisch zu. Nicht von ungefähr vergleicht der Komponist seine Hörstücke mit Collage-Techniken wie sie Schwitters, Braque, Picasso praktiziert haben.

Ein, vielleicht der Höhepunkt des Porträt-Festivals, der Auftritt des Pianisten Ermis Theodorakis im vormaligen Verkaufsraum des Leipziger Peters-Verlags, der heutigen Grieg-Begegnungs­stätte. Im schönsten Gegensatz zum Altdeutsch-Getäfelten von Wänden und Decken, ließ Theodorakis die Intelligenz, die luzide Modernität des Klavier­komponisten Juan Allende-Blin aufscheinen. Sein überwiegend, auswendiger Vortrag überzeu­gend in seiner Klarheit, seinem Farbreichtum, seiner Einfühlsamkeit, namentlich was Tempi, was den Wechsel von Ereignis und Pausen anging. Da war die frühe, klassizistische „Sonatine pour piano“ aus dem Jahr 1949/50, da war ein Beispiel aus der seit 1951 mit deutlichem Webern-Bezug entwickelten Werkreihe „Transformations“ und mit „Espace du temps“ aus dem Jahr 2005 ein Beispiel für die ungemein instinktsicher sich entfaltende Klangfeldkomposition Allende-Blins. Und da war schlussendlich „Dialogue“ aus dem Jahr 1983. Ein Stück, in dem ein zweiter Spieler während des Vortrags Tennisbälle im Klavierinnern hin- und herspringen lässt, was natürlich den Einfluss eines John Cage und dessen Idee des präparierten Klaviers verrät. Bemerkenswert am Leipziger Vortrag war indessen, dass Theodorakis wie sein Partner Johannes Cotta jedweder Versuchung widerstanden, ihre Ausführung in die Happening-Richtung abgleiten zu lassen. Strikter Kunsternst regierte die Dramaturgie.

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Juan Allende-Blin im Kreis der Musikfreunde von forma leipzig e.V. Foto: René Schröter für forma Leipzig

Juan Allende-Blin im Kreis der Musikfreunde von forma leipzig e.V. Foto: René Schröter für forma Leipzig

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Dass Traum und Trauma nicht zu trennen sind, das zeigte sich auch beim Programmpunkt Ensemblewerke. Im Zentrum des dritten Abends rund um Juan Allende-Blin stand die aus dem Jahr 2023/24 stammende Vokalkomposition „Por el cielo vacio“ – Kantate nach Federico Garcia Lorca für Bariton und Ensemble. Das halbstündige Werk faszinierte in der Mischung aus Freiheit und Gebundenheit, mit der Allende-Blin seine Klangfeldkomposition mittlerweile zu handhaben versteht, die Augenblicke ebenso wie die Strecken, wie Atem und Horizont. Ein Alterswerk als Schärfung. „Por el cielo vacio – Durch den leeren Himmel“ ist eine Zeile aus Ruina, Bestandteil von Lorcas New York-Zyklus. Eine Dichtung, die den Komponisten seit seiner Jugend begleitet. Um das kurz in Erinnerung zu rufen: da ist das Elternhaus in Santia­go de Chile. Ein Haus der Gastfreundschaft, inbesondere für Künstler. Darunter ein gewisser Augusto d’Halmar, Schrift­steller, Poet. Bei den Allendes trägt d‘Halmar oft vor. Und zwar so wie er die Gedichte von den Urhebern hat vortragen hören. Auch die von einem Freund, der damals schon berühmt ist: Federico García Lorca. Auf diese Weise, über die Rezitationen des Augusto d‘Halmar, begegnet Juan Allende-Blin, zwölf, dreizehn Jahre jung, zum ersten Mal der nervösen Rhythmik dieser Poesie. In den späten 1930er Jahren ist das gewesen, in einer Zeit, da die Ermordung des Dichters durch francistische Schergen noch in schmerzlicher Erinnerung ist. – Im Zimeliensaal des Leipziger Musikinstrumentenmuseums war es an Bariton Carlo Zaccaria Schmitz, zusammen mit dem Berliner ensemble mosaik das alles in die Jetztzeit zu holen, unter Wahrung seiner Fragilität wie seiner Tendenz ins Beschweigen, wenn der Sänger vom Singen wechselt ins Sprechen, von dort ins Pfeifen, dann in ein Vortragen bei geschlossenem Mund. Klänge am Ufer der Stille, so hat Allende-Blins Lebenspartner Gerd Zacher diese kompositorische Handschrift einmal umschrieben.

Das Finale führte Ausführende und Lauschende in die Thomaskirche. Dass ausgerechnet die Orgel im Schaffen Allende-Blins zentral ist, hat einmal mehr mit Gerd Zacher zu tun. Der war es ja, der die Orgelbank entschieden als Forschungsplatz verstanden hat. Auf der Bank in der Thomaskirche in diesem Fall junge Studenten. Die spielten unter anderem „Trans­formations II“ aus dem Jahr 1952 ein weiteres Werk aus der gleichnamigen Werkreihe und „Memoire de l‘oubli“ von 2012. Bespielt wurde allerdings nicht die Bach-Orgel, sondern das im Jahr 2000 von der Marburger Orgelwerkstatt Gerald Woehl errichtete Instrument auf der Nordempore. Auf einmal wurde die zum Begegnungsort. Bei den Proben traf man aufeinander. Darunter die ebenso junge wie zarte Koreanerin Yeseul Jo. Auch an ihr war es, mitzuhelfen, den Musik-Kosmos Juan Allende-Blin zum Klingen zu bringen. Das Ende glücklich. Musik hatte die Generationen vereint.

Hinweis:

Am Ufer der Stille – Der Komponist Juan Allende-Blin in Leipzig. Deutschlandfunk Kultur, 20.01.2026, 00:05

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