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Mozarts „Così fan tutte“ am Nordharzer Städtebundtheater. Foto: Ray Behringer
Mozarts „Così fan tutte“ am Nordharzer Städtebundtheater. Foto: Ray Behringer
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Wette als Paartherapie – Mozarts „Così fan tutte“ am Nordharzer Städtebundtheater

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In Halberstadt und Quedlinburg gibt es eine recht moderne Version von Mozarts „Così fan tutte“, findet unser Kritiker Joachim Lange. Diese komische Oper des Komponisten, der „menschliche Wahrheiten zu komponieren“ verstand, entpuppt sich als Gefühlsexperiment unter Laborbedingungen, die so ins Bild zu gesetzt wird, dass es heute passt.

Mozarts und DaPontes „Così fan tutte“ war ein ganzes Jahrhundert lang unsichtbar. Den Moralaposteln des 19. Jahrhunderts ging dieses Bäumchen-wechsele-dich-Spiel zu weit. Ein Spielmacher wettet mit zwei jungen Männern, dass ihnen ihre Bräute nicht die Treue halten. Weil Frauen eben so sind, und es alle so machen. Das „Così fan tutte", also „So machen es alle“, weist mit der Endung von tutte ausschließlich auf die Frauen. Heutzutage ginge das natürlich gar nicht. Aber da Mozart ein Genie war, das menschliche Wahrheiten komponiert hat, auch wenn sie die Zeitgenossen nicht verstanden, geht es eben doch. Neben der komödiantischen Maskerade, die uns weis machen will, dass die Frauen ihre Verlobten schon nach einem Tag – wenn auch maskiert – nicht mehr erkennen, kann man das Ganze nämlich auch als jene vielbeschworene Operation am offenen Herzen betrachten, mit der Mozart wie unter Laborbedingungen erotischen Anziehungskräften nachspürt, die jenseits gesellschaftlicher Konventionen (wie der bürgerlichen Ehe oder dem Versprechen dazu) wirken. Und dann betrifft es alle, müsste also tutti im Titel heißen.

Zumindest hat es sich eingebürgert, genau das, mehr oder weniger direkt, zu inszenieren. Damit würden nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer von der Verunsicherung der Gefühle durch die Wirkung von erotischen Anziehungskräften erfasst. Mozart hat das so konstruiert, dass Sopran (Fiordiligi) und Bariton (Guglielmo), sowie Mezzo (Dorabella) und Tenor (Ferrando) die Ausgangspaarungen bilden. Im Verlauf der Wette, mit der die Männer die Treue der Frauen testen wollen, stellt sich aber heraus, dass eigentlich zwischen den beiden hellen Stimmen, also Firodiligi und Ferrando, und den beiden dunkleren, also Dorabella und Guglielmo, die größeren Anziehungskräfte wirken.

Die interessante Frage für jede szenische Umsetzung in selbstbestimmten, emanzipierten Zeiten (hierzulande also heute) ist, ab wann sich die neue Paarung herausbildet und was daraus am Ende wird. Der Unsinn, dass die ertappten Frauen auf die Knie gehen als der Partnerwechsel bei der fingierten Hochzeit auffliegt, den muss man als Show am besten übergehen. Aber was am Ende passiert, das bleibt ein Statement der Regie.

Bei der jüngsten Inszenierung dieser „komischen Oper“, in der Mozart augenzwinkernd über die Jahrhunderte hinweg mit den Nachgeborenen unserer Zeiten paktiert, entscheidet sich Regisseurin Verena von Kressenbrock für den Wechsel. Dass Don Alfonso (Gijs Nijkamp gibt in solide als passionierten Porträt- und Hochzeitsfotografen mit eigenem Studio) am Ende in einen Käfig gesperrt wird, ist zwar ein strenger Verweis, weil sich Experimente mit Menschen und ihren Gefühlen nicht gehören. Nimmt man seine Wette aber als eine Art vorweggenommene Paartherapie, dann können die jungen Leute vielleicht von Glück sagen, dass sie ihm in die Hände gefallen sind. Da stimmt dann der Untertitel „Schule der Liebenden“ weit mehr, als wenn man aus der Machoperspektive die Treue der Frauen schmäht. Nicht (nur) die Frauen sind so, sondern auch die Männer.

Schaut man bei dem lebendigen Treiben auf der Bühne (Ausstattung: Greta Krautzsch) genauer hin, dann ist die Sache mit dem Wechsel der Partner relativ früh klar. Sie singen und agieren ziemlich konsequent in der „neuen“ Konstellation. Und bleiben dann auch dabei. Außerdem bleibt der Eindruck, dass die Frauen zwar von Alfonso und seiner nur teilweise eingeweihten Helferin Despina (mädchenhaft, kess: Bénédicte Hilbert) und den beiden Männern hinters Licht geführt werden, aber letztlich das Heft des Handelns in der Hand haben. Wenn sie den Männern in der neuen Konstellation näher kommen, ergreifen sie die Initiative.

Das ist auch eine Art, dieses Gefühlsexperiment so ins Bild zu setzten, dass es heute passt. Und dazu gibt es natürlich die turbulente Komödie mit den knallbunten Verkleidungen, dem Spiel mit den Hochzeitspaaren und -torten, den Fotos von Ferrando und Guglielmo im Fotostudio, dessen Gitterstruktur rechts und links neben Spielfläche wiederholt ist und Weite vortäuscht. All das funktioniert auch deshalb, weil Regina Pätzer als lebensfrohe Dorabella, vor allem aber Maximiliane Schünemann als hinreißende Fiordiligi vokal und im Spiel die Nase vorn haben. Max An ist als Ferrando manchmal ein wenig zu energisch, während Michael Rapke als Guglielmo mitunter zulegen könnte. Darstellerisch halten sie aber mit. Schön, dass einige zentrale Arien auch in Italienisch gesungen werden, dass der Chor sichtbar auftritt und der Chef des Hauses Johannes Rieger mit seinen Harzer Sinfonikern gerade in den Finali auch mal beim Tempo zulegt.

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