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Komponist vor Fjordlandschaft

Untertitel
Das Leben des Hans Werner Henze, nacherzählt von Jens Rosteck
Publikationsdatum
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Die Literarisierung von Künstlerviten ist die Spezialiät des Autors. In den vergangenen Jahren hat Rosteck bereits eine ganze Reihe von Promi-Biografien verfertigt: Lotte Lenya und Kurt Weill, Jane und Paul Bowles, Bob Dylan und Oscar Wilde. Jetzt also Henze, der im Rahmen des Kulturhauptstadt­jahrs „Ruhr 2010“ mit einer großen Retrospektive gewürdigt wird. Und auch Rosteck lässt sich nicht lumpen.

„Ausnahmeerscheinung“, „Faun“, „Feingeist“, „Grenzgänger“, „Hansdampf“, „radikaler Individualist“, „Maestro“, „Querschädel“, „ewiger Rebell“, „Selfmademan“, „Stehauf­männchen“, „Unangepasster“, „Unzeitgemäßer“, „Utopist“ sind nur einige der Beinamen, die er sich für einen (der letzten) Großkomponisten hat einfallen lassen.

Des Autors erste (wie letzte) Einstellung ist eine romantische Perspektive: „Im Hochsommer des Jahres 1985 unternahm ein knapp sechzigjähriger Deutscher allein eine Reise entlang der norwegischen Fjorde. Vierzig Jahre lang hatte er den europäischen Kontinent durchstreift und allen Winkeln der Welt Visiten abgestattet, war ein ums andere Mal umgezogen, hatte komponiert, einstudiert, dirigiert, gelebt und gelitten, im Scheinwerferlicht, im Kollegenschatten gestanden. Schmerzliche Niederlagen hatte er einstecken müssen und Triumphe verbuchen können, hatte mit sich, seinen Mitmenschen und Hunderten von Partituren gerungen.“

So könnte ein Roman, so könnte die Drehbuchvorlage zu einem Kinofilm „Komponist vor Fjordlandschaft“ beginnen. Tatsächlich beginnt so eine Künstler-Biografie mit einem Darsteller Henze – „energiegeladen, umtriebig, elegant, stattlich, deutsch“ – in der Rolle des einsamen Kämpfers der Partituren, eines notorischen Workaholic, den Rosteck ausgerechnet auf einer Reise in den Norden unvermittelt mit sich selber konfrontiert: „Durch seine Seele wehte ein befreiender Luftzug von beängstigender Kühle.“ Es ist das Psychologisierende, das dieser Bio-
grafie immer dann auf die Sprünge hilft, wenn ihrem Autor Jens Rosteck der analytische Brennstoff auszugehen droht.

Dass Rosteck auch gelernter Musikwissenschaftler ist, ist diesem armdicken „Lebensresümee“ allerdings kaum anzumerken. Eigentümlich unterbelichtet bleibt Hans Werner Henze als Komponist. Was das Werk über seinen Schöpfer, was es über die Zeit, in der es entsteht, verrät – darüber weiß, darüber zumindest sagt Rosteck nichts. In einer Anmerkung zum Eröffnungskapitel zitiert er seinen Kronzeugen, den Musikologen Hansjörg Pauli: „Über den Komponisten Hans Werner Henze mit Worten etwas ausrichten zu wollen, ist ein verzweifeltes Unterfangen.“ Im Handumdrehen hat sich Rosteck damit jedweder werkanalytischen Arbeit entledigt. Henzes Musik als Hilfsmittel des Biografen? Fehlanzeige. Rosteck glaubt nicht daran, glaubt vielmehr, auf ein Werkverzeichnis wie auf ein Register der im Text erwähnten Musik verzichten zu dürfen. Wer immer ein definiertes Informationsbedürfnis hat, wird diese servicemuffelige Biografie schnell zur Seite legen. Da schlägt man schon gleich bei Henze selber nach, wobei dessen Autobiografie „Reiselieder mit böhmischen Quinten“, 1996 erschienen, auch für Rosteck zur bevorzugt ausgeschlachteten Hauptquelle geworden ist.

Darüber hinaus hat er keine wirklich neuen Quellen erschlossen, was in Anbetracht eines unwegsamen, teilweise verminten Geländes wie das des Großkomponisten Hans Werner Henze einigermaßen sträflich ist. Denn: Worüber Henze schweigt, was er verschweigt, das müsste eigentlich den Ehrgeiz des Biografen wecken. Noch leben ja manche der Kontrahenten, Weggefährten, Zaungäste aus der Zeit, als Henze sich mit den Meinungsführern der Avantgarde, den selbst ernannten Monopolisten der Moderne überworfen hat. Diese Verstocktheit aufzulösen, dieses Schweigen der (verfeindeten) Lämmer (wie etwa das zwischen Henze und dem Komponistenkollegen Helmut Lachenmann) aufzuheben, bleibt (leider) auch nach der Lektüre dieser Biografie ein Desiderat.

Dabei stünden die sprachlichen Mittel dazu Rosteck durchaus zu Gebote, liegen die Stärken seiner Biografie doch in der Eloquenz, mit der er seinen Helden begleitet auf seinem von „Rosen und Revolutionen“ gesäumten Weg (der hochpoetische Titel des Buches, entlehnt aus Henzes Liederzyklus „Voices“).

Stark ist Rosteck immer dort, wo er sich ins Dickicht eines Meinungsdschungels stürzen kann, etwa wenn er sich in die Nachhutgefechte ein-mischt, die um die gescheiterte Hamburger Opern-Uraufführung „Das Floß der Medusa“ geführt wurden. Immer dann, wenn es um die öffentliche Person Henze geht, bewährt sich Rosteck als idealer Personenschützer, weist die Rüpel, Störer, Frechdachse in die Schranken, bahnt seinem Helden den Weg. Dabei bemerkt der Autor durchaus, dass Henze nicht nur Objekt, sondern auch das Subjekt von Kränkungen und Verletzungen gewesen ist. Mit Blick auf die gekappten Freundschaftsbande, etwa zur Schriftstellerin Elsa Morante, stellt der Autor fest: „Henze wirft Ballast ab: auch menschlichen“.

Andererseits scheinen sich manche Zuschreibungen, die Rostecks leichter, zuweilen leichtfüßiger Feder entschlüpfen, allen Korrekturstufen entzogen zu haben. So sehr es ja richtig ist, im Fall Henze von einer „Wahlheimat Italien“ zu sprechen, so ist es doch sehr die Frage, ob die Umkehrung, nämlich: „Heimat Deutschland“, an anderer Stelle sogar „Vaterland“, in Henzes Fall wirklich Sinn macht – trotz Henzes eigenen, spät einsetzenden Aussöhnungstendenzen. Unbekümmert hält Rosteck an seinem „roten Faden“, am romantisierenden Ansatz seiner Biografie fest, dem Leben eines „Deutschen in Italien“, was in Kapitel XV, Seite 457, fortfolgende in der (von Hans Jürgen Heinrichs geborgten) Formel kulminiert: „Der mediterrane Deutsche“. „Äußerlich war alles im Lot auf La Leprara. Die Zikaden zirpten, die Zypressen wiegten sich bei Tagesanbruch sanft im Wind, der spätmorgendliche Drink wurde zur gewohnten Stunde serviert ...“ Es ist die Schlusseinstellung dieser Biografie. Villa Maroni, Frühjahr 2007. Die Zeit nach dem Tod des Lebenspartners Fausto. Im fernen Berlin probt das Ensemble Modern „Phaedra“. Henze wippt auf seinem Lieblingsstuhl – und wieder ist Bio-graf Rosteck mit der Handkamera zur Stelle, um sich einzufühlen.
„Das Leben am Mittelmeer hatte ihn Geduld, Gelassenheit und Ausdauer gelehrt, auch verschmitzte Listigkeit, der deutsche Ursprung die Genauigkeit, die Disziplin, das sporadische Aufbrausen, die Tatkraft und die Unerbittlichkeit. Eine seltene Mischung, die sich auszuzahlen begann.“ Wer immer die tollkühne Idee hätte, einen Kinofilm über Henze zu drehen – hier ist die Vorlage.

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