Am Freitag starten die Bad Hersfelder Festspiele in die neue Saison. Hans-Jürgen Dietz kennt ihre Geschichte wie kein Zweiter. Schon bei der ersten Spielzeit 1951 war er als Statist dabei.
Warum durften in den Anfangsjahren der Bad Hersfelder Festspiele keine Lustspiele oder Musicals aufgeführt werden? Und gab es damals tatsächlich ein Applausverbot?
Hans Jürgen Dietz weiß die Antworten auf diese Fragen. «Das hängt damit zusammen, dass die Festspiele in der Ruine eines ehemaligen Klosters aufgeführt werden. Wegen des sakralen Charakters des Gebäudes durften anfangs nur ernste Stücke aufgeführt und nicht geklatscht werden», erzählt er.
Die sogenannte Stiftsruine in der osthessischen Kreisstadt ist die größte romanische Kirchenruine nördlich der Alpen. Sie verleiht den Festspielen bis heute ihre einzigartige Atmosphäre. Und ist fast so etwas wie das zweite Zuhause von Hans-Jürgen Dietz.
Stars der Wirtschaftswunderjahre
Hans Jürgen Dietz ist nicht irgendwer. Der 84-Jährige kennt die Bad Hersfelder Festspiele, die zu den bekanntesten und traditionsreichsten in Deutschland zählen, wie kein Zweiter. Und das hat einen guten Grund: Seit der ersten Festspielsaison im Jahr 1951 ist er als Statist dabei.
Damals stand der Elfjährige als «Fackelbub» auf der Bühne - und machte große Augen, als er Stars wie Lil Dagover, Paula Wessely, Attila Hörbiger und Elisabeth Flickenschildt - kurz: Das Who's who der damaligen Film- und Theaterwelt im Wirtschaftswunderland - nahe kam. «Wir haben alle von denen geschwärmt», erinnert er sich zurück. Später kamen weitere Promis hinzu: Walter Giller, Mario Adorf, Volker Lechtenbrink, um nur einige zu nennen.
Einmal vom Theaterfieber gepackt, blieb er der Bühne bis heute treu. «Das hat mich fasziniert», sagt er. Ob als Page, als Soldat, Wirt, Hutmacher oder Lehrer: Dietz wirkte in jedem Jahr der Festspiele mit - meist als Komparse. Sogar zu einer oder anderen kleinen Sprechrolle hat er sich hochgearbeitet, beispielsweise als Wirt im «Woyzeck», als Kellner im «Hauptmann von Köpenick» oder in der Tischgesellschaft im «Jedermann».
Weder Lampenfieber noch größere Pannen
«Lampenfieber kenne ich nicht», sagt der Routinier. An größere Pannen kann er sich auch nicht erinnern. Höchstens an eine Mini-Panne, als er in einer kleinen Sprechrolle des Majordomus in dem Drama «Amadeus» von Peter Shaffer immer wieder einen Satz durcheinanderbrachte.
Bekannte Namen locken Zuschauer
Dank seiner Erfahrung und intimen Kenntnis des Festspielbetriebs weiß er das Rezept für erfolgreiche Spielzeiten: Promis bringen Zuschauer. «Die Hersfelder Festspiele laufen immer dann gut, wenn du bekannte Namen hast», betont er.
Das sei auch ein wesentlicher Grund dafür, dass sich die kleine Kurstadt in Osthessen in der Nachkriegszeit aus kleinen Anfängen zu einem der wichtigsten Festspielorte in Deutschland habe mausern können. «Ohne die Stars wäre damals doch niemand nach Bad Hersfeld gekommen», sagt er. Leider sei dies in der langen Reihe von Festspielintendanten nicht immer beherzigt worden.
Den Festspielen verdankt die Kreisstadt mit ihren rund 30.000 Einwohnern, dass sie überregional bekannt ist. «Bad Hersfeld wäre ohne die Festspiele nur eine Stadt mit schönen Fachwerken», erklärt Dietz.
Volker Lechtenbrink daheim bei Familie Dietz
Viele Stars lernte er näher kennen. Gemeinsam mit seiner Frau Hannelore, die ebenfalls 40 Jahre als Komparsin bei den Festspielen dabei war, lud er Schauspieler und Intendanten zu sich ein. So lernte beispielsweise Volker Lechtenbrink das schmucke Haus der Familie Dietz in Niederaula - ein paar Autominuten von Bad Hersfeld entfernt - kennen. TV-Moderator Ernst Stankovski («Erkennen Sie die Melodie?») übte auf dem Klavier der Familie Dietz. Wolfgang Reichmann, der vor allem als Tevje-Darsteller aus dem Musical Anatvevka bekannt war, und die Sängerin Olivia Molina («Der Weg zum Glück ist frei») waren ebenfalls oft zu Gast.
Bis heute Leiter der Statisten-Abteilung
«Volker Lechtenbrink war ein Kumpeltyp. Mit ihm haben wir wunderschöne Stunden verlebt - in Hersfeld und auch bei ihm in Hamburg», erinnert sich Dietz an den 2021 verstorbenen Schauspieler und früheren Intendanten zurück.
Seinen letzten Auftritt auf der Bühne hatte Dietz vor zwei Jahren als Komparse im «Club der toten Dichter». Dann war aus gesundheitlichen Gründen Schluss mit den Brettern, die die Welt bedeuten. Aber nicht mit den Festspielen: Seit 25 Jahren leitet er die Statisterie des Spielbetriebs. Bis zum heutigen Tag organisiert er die Einsatzplanung der 50 bis 60 Komparsen.
Schöne Festspieljahre habe er mit Dieter Wedel erlebt, zu dem er ein «ausgesprochen nettes Verhältnis» hatte, erinnert sich Dietz. Wedel hatte die Intendanz in Bad Hersfeld im Herbst 2014 übernommen und war Anfang 2018 zurückgetreten, nachdem Medien von wiederholten Vorwürfen sexueller Übergriffe in früheren Jahren berichtet hatten, denen Wedel per eidesstattlicher Erklärung widersprach. Wedel starb 2022.
Wedel und Hinkel brachten Glanz und Glamour zurück
Auch zu Wedels Nachfolger Joern Hinkel habe er ein sehr enges und herzliches Verhältnis, erklärt Dietz. «Meiner Meinung nach ist die Ära mit Wedel und Hinkel zu vergleichen mit den Anfängen der Festspiele in den 1950er und 60er Jahren», sagt Dietz. Es habe wieder Stars und Glamour gegeben und Deutschland habe wieder mehr über die Hersfelder Festspiele gesprochen.
Hühner auf dem Festspielgelände
Das Leitungsteam rund um Intendant Hinkel schätzt Dietz und seinen Wissensschatz sehr. «Er ist ein wandelndes Lexikon», sagt Pressesprecherin Monika Liegmann. «Wann immer wir Fragen haben, fragen wir ihn. Keiner weiß besser Bescheid.» Und selbst die langjährige Sprecherin hört ab und zu neue Anekdoten. Als Dietz erzählt, dass in den Anfangsjahren Hühner auf dem ehrwürdigen Festspielgelände gehalten wurden, gerät auch sie ins Erstaunen.
«Noch ein paar Jahre Festspielzauber erleben»
Gespannt und mit Freude blickt das Festspiel-Urgestein auf die zukünftige Intendantin Elke Hesse, die im nächsten Jahr das Ruder übernimmt. Natürlich kennt Dietz auch sie und ist sogar mit ihr befreundet. Hesse war von 2006 bis 2009 Intendantin in Bad Hersfeld. «Ich würde mich freuen, wenn ich noch ein paar Jahre Festspielzauber mit ihr erleben könnte», wünscht sich der 84-Jährige.