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Abschied vom russischen Meistercellisten Mstislaw Rostropowitsch +++ Dirigent Philippe Herreweghe wird 60
Abschied vom russischen Meistercellisten Mstislaw Rostropowitsch
Moskau (AP) Mit einer Trauerfeier in der Moskauer Erlöserkirche haben hunderte Russen am Sonntag Abschied von ihrem verstorbenen Meistercellisten Mstislaw Rostropowitsch genommen. Am Sarg des 80-Jährigen, der erst kürzlich nach Jahrzehnten im Exil in seine Heimat zurückgekehrt war, trauerte Witwe Galina Wischnewskaja, eine Verbündete in Rostropowitschs Einsatz für Dissidenten während der Sowjetzeit.
Trauernde zündeten Kerzen an und legten Kränze am Sarg nieder. Auch die Frau des Schriftstellers Alexander Solschenizyn, dem das Ehepaar Rostropowitsch Anfang der 70er Jahre Zuflucht in seiner Datscha gewährte, gab dem Toten das letzte Geleit.
Der Cellist und Dirigent war am Freitag gestorben. Er hatte seit langem an Darmkrebs gelitten. Nach dem Gottesdienst in der Kathedrale am Flussufer sollte Rostropowitsch auf dem Prominentenfriedhof am Neujungfrauen-Kloster beigesetzt werden. Dort liegen bereits Rostropowitschs Lehrer Sergej Prokofjew und Dmitri Schostakowitsch begraben. In der vergangenen Woche fand dort auch der ehemalige Präsident Boris Jelzin seine letzte Ruhestätte.
Rostropowitsch galt vielen als der bedeutendste Cellist seiner Zeit. Sein Einsatz für Dissidenten trieb ihn in den 70er Jahren ins Ausland. Erst das Ende der Sowjetunion brachte dem Ehepaar Rostropowitsch die Staatsbürgerschaft ihrer Heimat zurück. Beim Fall der Berliner Mauer 1989 gingen Bilder um die Welt, auf denen der Cellist vor den Trümmern triumphal Bach spielte.
Dirigent Philippe Herreweghe wird 60
Berlin (ddp). Wenn Philippe Herreweghe vor seinen Sängern steht, kommt einem unweigerlich Kurioses in den Sinn. Voodoo oder Geisterbeschwörungen etwa. Doch im Gegensatz zu vielen Kollegen geht es ihm nicht darum, sich möglichst auffallend in Szene zu setzen. Vielmehr vergisst sich der Mann mit der grauen Künstlermähne und der schlichten Silberbrille ganz einfach selbst. Dann hat er nur noch die Musik im Sinn. Am 2. Mai wird der neben Nikolaus Harnoncourt vielseitigste Vertreter der Alten Musik-Szene 60 Jahre alt. Für den Pultstar ist das noch lange kein Grund, kürzer zu treten.
Die deutsche Romantik hat es ihm gerade angetan, Schumann etwa, dessen «Rheinische» und «Frühlingssinfonie» auf der aktuellen «Geburtstags»-CD zu hören sind. Bekannt wurde der Originalklang-Spezialist allerdings mit Werken Bachs. Wer dabei an knarzig-spröde Töne und freudlos-strenge Aufführungen denkt, wird von Herreweghe schnell eines Besseren belehrt.
Schlank und transparent klingt bei ihm die «Johannespassion», aber auch durchaus expressiv. Seine Musiker fügen sich ein ins Gesamte und tauchen doch nie in Klanguniformität ab. Seine Sänger gestalten, als ginge es stets um ein Solo, aber vergessen keineswegs, Teil eines Ganzen zu sein. Dies führte von Anfang an zu außergewöhnlichen Ergebnissen und war letztlich auch nur mit eigenen Orchestern und Ensembles zu verwirklichen.
Noch während seiner Studienzeit gründete Herreweghe 1970 in seiner Heimatstadt Gent den ersten Chor, mit dem er weltberühmt werden sollte: das Collegium Vocale Gent. Bis heute ist das Ensemble seine Leib- und Magentruppe, deren Qualität immer wieder verblüfft. Der bescheidene Flame hat dafür eine ganz einfache Erklärung: Kleine Barock-Chöre bestünden eben nicht aus frustrierten Opernsängern...
Vielleicht hat Herreweghe aber auch einfach nur ein Händchen für Sängerseelen. Zur Klavierausbildung am Konservatorium absolvierte er ein Studium der Medizin mit der Spezialisierung auf Psychiatrie. Doch die Anziehungskraft der Musik war stärker. Sein Collegium Vocale zog schon bald die Aufmerksamkeit von Harnoncourt und Alte-Musik-Guru Gustav Leonhardt auf sich. Herreweghe machte überall, wo die historische Aufführungspraxis gefragt war, von sich Reden.
Still, bescheiden, aber beharrlich ging er seinen Weg, gründete 1977 für Barockes die kleine, feine Chapelle Royale, zwanzig Jahre später dann das auf Originalinstrumenten musizierende Orchestre des Champs Élysées fürs klassisch-romantische Repertoire. Dass er irgendwann am Pult der Berliner Philharmoniker oder der BR-Symphoniker landen würde, war nur eine Frage der Zeit.
Berührungsängste kennt der ehemalige Jesuitenschüler nicht. Dass historische Ensembles und moderne Orchester in den vergangenen zwanzig Jahren hörbar voneinander profitierten, - die einen wurden professioneller und die anderen spielen Mozart nicht mehr wie Brahms - das geht auch auf das Konto von Leuten wie Herreweghe.
Momentan bilden Schumann, Brahms, Mahler und der von ihm hoch verehrte Bruckner für Herreweghe eine Art Grenze. Seine zweite «Geburtstags»-CD - immerhin die achtzigste Scheibe bei seinem Stammlabel Harmonia Mundi - ist eine exquisite Aufnahme von Heinrich Schütz\' berührendem «Schwanengesang». Dabei läuft das Collegium Vocale Gent wieder zur Hochform auf. Da könnte tatsächlich Voodoo im Spiel sein.
Christa Sigg