Banner Full-Size

Musikvermittlung als eine Arbeit in der Gegenwart

Untertitel
Schlaglichter aus einer Diskussion im Rahmen der Frankfurter Musikmesse 2002
Publikationsdatum
Body

Dass die Frankfurter Musikmesse mit einer Mitmach-Fläche „Music4kids“ zu präsentieren versucht, könnte noch als Anbiederung des Marktes an zukünftige Konsumenten abgetan werden (siehe auch unseren Bericht auf S. 24). Dass dort aber auch Fachleuten ein Podium geboten wird, über zeitgenössische Formen der Musikvermittlung für Kinder zu diskutieren, wäre durchaus als ein weiteres, auf einer breiteren Ebene öffentlichen Bewusstseins angesiedeltes Indiz jenen Positiva zur Seite zu stellen, die Hans Bäßler im Leitartikel dieses Dossiers zusammenfasst. Was (auf unserem Foto von links nach rechts) Christoph Gotthardt (Herderschule, Frankfurt), Barbara Stiller („Initiative Konzerte für Kinder“ der Jeunesses Musicales Deutschland), Birte Reuver (Kinderliedermacherin), Manfred Kindel (Kinderliedermacher), Michael Dartsch (Hochschule für Musik des Saarlandes) und Ralf Möllers (Terzio Verlag), moderiert von Barbara Overbeck (WDR), zu zentralen Aspekten dieses Themas zu sagen hatten, dokumentieren wir in Auszügen.

Dass die Frankfurter Musikmesse mit einer Mitmach-Fläche „Music4kids“ zu präsentieren versucht, könnte noch als Anbiederung des Marktes an zukünftige Konsumenten abgetan werden (siehe auch unseren Bericht auf S. 24). Dass dort aber auch Fachleuten ein Podium geboten wird, über zeitgenössische Formen der Musikvermittlung für Kinder zu diskutieren, wäre durchaus als ein weiteres, auf einer breiteren Ebene öffentlichen Bewusstseins angesiedeltes Indiz jenen Positiva zur Seite zu stellen, die Hans Bäßler im Leitartikel dieses Dossiers zusammenfasst. Was (auf unserem Foto von links nach rechts) Christoph Gotthardt (Herderschule, Frankfurt), Barbara Stiller („Initiative Konzerte für Kinder“ der Jeunesses Musicales Deutschland), Birte Reuver (Kinderliedermacherin), Manfred Kindel (Kinderliedermacher), Michael Dartsch (Hochschule für Musik des Saarlandes) und Ralf Möllers (Terzio Verlag), moderiert von Barbara Overbeck (WDR), zu zentralen Aspekten dieses Themas zu sagen hatten, dokumentieren wir in Auszügen.Grundsätzliches

Manfred Kindel: Ich glaube, das zentrale Wort ist Kontakt. Das ist oft ein Problem, das Künstler im Umgang mit Kindern haben. Musik vermittelt sich Kindern nicht von alleine, sie ist angewiesen auf Kontakt, auf Vermittlung. Die Rückmeldung von Kindern ist sehr direkt und das ist das Wunderbare, wenn man den Kontakt dann bekommt, kann man auch schwierigste Inhalte rüberbringen.
Birte Reuver: Es gibt verschiedene Herangehensweisen an Musik. Ich bin da eher intuitiv. Wichtig ist mir vor allem der musikalische Ausdruck, dass mein Ausdruck bei den Kindern Eindruck macht. Ich kann Kinder begeistern mit Musik, mit Texten, die sie ansprechen. Es geht darum, dass ich durch einen Funken, der überspringt, die Kinder in Aktion bringen kann.
Michael Dartsch: Ich würde gerne als ein Kriterium die Tiefe der Erfahrung ins Spiel bringen. Das heißt, dass Kinder spüren, diese Musik hat mit mir zu tun. Und das ist möglich, weil Musik eine anthropologische Grundkonstante ist, weil sie per se mit einer Tiefenschicht von uns zu tun haben kann. Wenn wir die Möglichkeit geben, dass das erfahren werden kann, dann denke ich, haben wir ein entscheidendes Qualitätskriterium erfüllt.

Singen und Musizieren

: Ein wesentlicher Faktor des Verlustes von Singen ist der Verlust von Gemeinschaft. Wenn Begegnungsanlässe verloren gehen, wird auch weniger gesungen.
: Es ist ein Verlust der Körperlichkeit zu beobachten. Singen und Musizieren ist eben etwas Körperliches und da sind viele Hemmungen zu beobachten, Ängste, sich frei zu äußern.
Ralf Möllers: Musik ist Kindern nur dann vermittelbar, wenn sie als machbar rüberkommt. Im Gegensatz etwa zu perfekt produzierter Popmusik. Wenn klar wird, dass jeder singen oder ein Instrument spielen kann und dass es Spaß macht. Wenn man dann noch gelernt hat, was die Musik ausmacht, wie simpel manches ist, was so toll klingt, und wie schwierig andere Dinge sind, die so einfach erscheinen, dann kann auch der intellektuelle Gusto darauf entstehen, zu erfahren: Wie machen die das eigentlich?

Konzerte für Kinder

Barbara Stiller: Das Wichtigste bei der Konzeption von Konzerten für Kinder ist, das Publikum und seine Bedürfnisse genau zu kennen. Ich sträube mich ganz stark dagegen, wenn es heißt, der Geräuschpegel bei einem Kinderkonzert sei einfach hoch. Wenn das Konzert gut ist, ist es dann laut, wenn es laut sein darf und es ist mucksmäuschenstill, wenn es darauf ankommt. Ein Moderator muss dabei vor allen Dingen er selber sein. Nicht einer, der angeheuert wurde, um etwas aus einem Bereich zu erzählen, aus dem er gar nicht kommt. Mit dem Ermöglichen von musikalischem Erleben übernimmt man auch eine Verantwortung. Wenn man dies einmal initiiert hat, kann man es nicht von heute auf morgen einfach wieder aufhören lassen. Wichtig wäre es, kontinuierliche Systeme zu entwickeln.
Christoph Gotthardt: Bei den Kinderkonzerten, die ich mache, gehe ich primär von der Musik aus, die ich vermitteln will. Und dann versuche ich herauszufinden, wie diese Musik auf Kinder wirken könnte und welchen Aspekt ich den Kindern wie zeigen muss, damit sie ihn verstehen. Dass diese Musik einem gewissen Anspruch genügen muss, das muss ich vorher für mich entscheiden. Ich würde mich weigern, Kindern jede beliebige Musik zu präsentieren. Natürlich könnte man einen Köder auslegen, von dem aus man dann aber zum Wesentlichen kommen müsste.

Elternhaus und Schule

: Wenn Eltern ihre Kinder zur Musik hinführen wollen, muss ihnen selbst Musik auch ein Bedürfnis sein. Mehr braucht es nicht. Wenn ich dieses Bedürfnis auslebe, selbst Musik mache, sie höre, dazu tanze, die Musik also auch körperlich erlebe, dann wird das Kind einen Nährboden finden, wo es Musik erleben kann. Im Grunde geht es darum, dem eigenen Bedürfnis nach Musik wieder auf die Spur zu kommen, in jeder Altersgruppe.
: Ich würde mal die Frage in den Raum stellen, ob wir als Musikpädagogen oder vielleicht sogar von staatlicher Seite nicht die Verpflichtung haben, das Angebot von guter Musik an alle Kinder zu machen. Der einzige Weg, den ich da sehe, ist derjenige an die Schulen und die Kindergärten, wo sich die Gesellschaft auch komplett abbildet. Der Musikunterricht müsste gekoppelt werden mit Musikveranstaltern für Kinder, damit die Schulen dorthin gehen und nicht nur die Kinder der Bildungsbürger. Man müsste den Theatern und Konzerthäusern nachweisen, dass eine musik- und konzertpädagogische Arbeit, die sich mit den Schulen verknüpft, sich tatsächlich lohnt.

Musikpädagogik

: Die Musik, die man präsentiert, muss die Kinder ernst nehmen. Wenn Kinder das Gefühl haben: da wird mir jetzt etwas „hinpädagogisiert“, das soll ich jetzt gut finden, weil ..., dann geht es zu Recht in die Hose. Wenn Kinder – und jetzt sage ich mal das böse Wort – unterhalten werden, dann funktioniert das wunderbar.
: Es hat einen Punkt gegeben, seitdem Musik und Musikmachen an Leistung gekoppelt wurde und nicht mehr an Freude und Empfinden als natürliche Lebensäußerung. Dieser Schnitt ist fatal, weil er zu einer Entfremdung führt, die erst wieder überwunden werden muss.
: Unwohl wird mir immer, wenn das musikpädagogische Engagement auf einen Zweck hin ausgerichtet wird: Ich tue das, damit die Gesangsvereine nicht aussterben oder das Publikum von morgen. Dann sage ich immer, die Kinder sind das Publikum von heute. Das ist primär eine Arbeit in der Gegenwart. Was das Kind daraus macht, ist in seiner Verantwortung. Die Zeit wird zeigen, ob das, was wir im Moment an kultureller Landschaft haben, überleben kann, oder ob sich manches ändern wird, vielleicht zum Guten. Ich kann nur versuchen das zu tun, woran ich im Moment glaube.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!