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Grenzüberschreitende Freundschaften

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Über die Gründung einer deutsch-französischen Musikschule
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Im Sommer 2022 konnte – nach vielen Vorüberlegungen und einer bereits exis­tierenden Kooperation auf verschiedenen Ebenen – eine deutsch-französische Musikschule offiziell gegründet werden. Partner sind die Musikschule Südliche Weinstraße in Landau und die Musikschule Wissembourg im Elsass, direkt an der deutsch-französischen Grenze gelegen: ein Modell für andere Musikschulen in Grenznähe! Mit dem Leiter der Musikschule Südliche Weinstraße, Adrian Rinck, sprach die nmz über die Idee und ihre Realisierung.

nmz: Wie ist die Idee zu einer deutsch-französischen Musikschule entstanden, wer war daran beteiligt?
Adrian Rinck: Seit 2015 haben wir Mark Bender im Kollegium – ein Glücksfall. Er ist Elsässer und war an der französischen Musikschule in Wissembourg angestellt, ebenso wie bei uns. Er hat das Kammerorchester der Stadt Wissembourg mit aufgebaut; dieses ist an die Musikschule in Wissembourg angeschlossen. Er hat dann auch das Oberstufen-Streichorchester unserer Musikschule übernommen. Die beiden Orchester hat er zunächst projektweise zusammengeführt. Inzwischen exis­tiert das deutsch-französische Kammerorchester nur noch als Verbund. Diesen Zusammenschluss haben wir erst im letzten Jahr beschlossen. Über das Projekt „Youth. Europe. Music“ [s. Artikel unten auf dieser Seite] habe ich zum damaligen Schulleiter, Yvain D’Incà, Kontakt bekommen, wir haben uns gleich gut verstanden. Wir hatten die Idee, auf weiteren Ebenen zusammenzuarbeiten, mehr deutsch-französische Projekte gemeinsam zu organisieren. Im Kollegium kennt man sich sowieso schon grenzübergreifend. Wir haben dann daran gearbeitet, die Schnittmengen der Musikschulen herauszufinden und zu erforschen, wie wir diese zusammenführen können.
nmz: Die Pandemie war dabei vermutlich nicht förderlich?
Rinck: Corona hat das Projekt eher beschleunigt. Als die Grenzen geschlossen waren, konnte man Politiker mit an Bord holen. Die Idee der Gründung einer deutsch-französischen Musikschule, gerade in dieser Zeit, kam bei unserem Landrat sehr gut an. Die Bürgermeisterin in Wissembourg war wegen ihrer Bedenken im kommunalen Haushalt zögerlicher. Im Sommer 2022 konnten wir aber endlich den formalen Zusammenschluss vollführen, das Projekt bis zum Unterschreiben der Gründungsurkunde voranbringen. In den drei Jahren zuvor hatte sich inhaltlich allerdings schon einiges aufgebaut. Wir haben zum Beispiel gemeinsame Lehrerkonferenzen abgehalten.
nmz: Gab es keine Sprachprobleme?
Rinck: Die gab es, aber wir sind dem humorvoll begegnet, indem Yvain D’Incà, der anfangs gar kein Deutsch konnte, nur Deutsch sprach und ich Französisch.
nmz: Die Lehrer waren vermutlich auch nicht alle zweisprachig?
Rinck: Manche der deutschen Lehrer konnten Französisch, einige der Elsässer konnten sehr gut Deutsch, und die, die halt gar nicht flexibel waren, haben eine Übersetzung bekommen. Wir haben dann auch die Projekte bilingual gestaltet. So sind eine deutsch-französische Bigband, ein Kinderorchester und ein Ballettkurs entstanden. Dieser wurde leider während Corona wieder eingestampft. Es ging und geht nicht nur darum, zwei Ensembles zusammenzuführen, sondern auch regelmäßige wöchentlich stattfindende bilinguale Kurse anzubieten.
nmz: Gibt es dabei auch Hürden zu überwinden?
Rinck: Es gibt natürlich organisatorische Probleme: verschiedene Gebührensatzungen, verschiedene Ferienzeiten und so weiter. Wir haben einfach die Probleme ausgeblendet und überlegt, wie wir das möglich machen. Die zeitlichen Interferenzen bei den Ferien wurden durch Kompakt- und Intensivwochenenden ausgeglichen.
Mittlerweile sind wir so weit, dass jede Musikschule für die andere Nation geöffnet ist. Für nächstes Jahr haben wir uns das Ziel gesetzt, mithilfe der PAMINA-Europazone eine Art deutsch-französischen Förderverein einzurichten, über welchen wir Sprachkurse für die Lehrkräfte einrichten wollen.
nmz: Ist das Projekt auch für die Jugendlichen eine Motivation, die jeweils andere Sprache zu lernen?
Rinck: Ja, ganz intensiv habe ich das beim „Youth. Europe. Music“-Projekt wahrgenommen. Polnisch war zu schwer; aber die deutschen und französischen Jugendlichen hatten eine intensive Motivation sich mit der anderen Sprache auseinanderzusetzen.
nmz: Gibt es bei den Musikschulsys-temen jenseits verschiedener Ferienzeiten gravierende Unterschiede, die man erst zusammenführen muss? Ein Unterschied in der Struktur, in der Arbeit, im pädagogischen Impetus?
Rinck: Ja, wobei auch hier die Frage ist, ob man an den Unterschieden verzweifelt oder schaut, wo man voneinander lernen kann. Die Franzosen sind zum Beispiel noch nicht so weit, was die Kooperation mit Schulen und Kitas betrifft. Auf französischer Seite staunt man, dass eine Lehrkraft 20 Grundschulkinder „managen“ kann. In Frankreich funktionieren dafür Theorie und Gehörbildung besser als bei uns; dort ist eine Gehörbildungs-Harmonie-Stunde verpflichtend.
nmz: Spielt die studienvorbereitende Ausbildung eine Rolle?
Rinck: Weniger, da sich beide Musikschulen weit weg von den Zentren befinden. Es kommen jetzt aber mehr Franzosen zu uns, weil es in Deutschland mehr Musikhochschulen gibt. Sie profitieren dann von der frühen Möglichkeit, Deutsch zu lernen, und suchen sich gezielt Lehrer aus, die sie auf die Aufnahmeprüfung an einer deutschen Musikhochschule vorbereiten können.
nmz: Sie sind sicherlich die tragende Kraft auf deutscher Seite. Ohne eine solche wäre das Projekt wahrscheinlich nicht möglich gewesen?
Rinck: Wir wären wohl nicht so weit gegangen: Auch ohne mich würde sicherlich das deutsch-französische Kammerorchester existieren. Jedenfalls ist die Politik im Moment von dem Projekt begeistert. Wenn wir Konzerte spielen, umrahmen wir regelmäßig Veranstaltungen der Politik. Die Bigband und das Kammerorchester spielen auf einem hohen Niveau und werden oft angefragt.
Es gibt regelmäßige Veranstaltungen, zum Beispiel Konzerte zum Europatag am 9. Mai, die unter der Schirmherrschaft der deutschen und französischen Abgeordneten im Europaparlament, Christine Schneider auf deutscher und Anne Sander auf französischer Seite, standen.
nmz: Es gibt die deutsche und die französische Musikschule. Die deutsch-französische Musikschule ist vermutlich ein eigenes Konstrukt. Wie ist dieses körperschaftlich organisiert?
Rinck: Es läuft offiziell noch als Kooperation. Die Verwaltungen von Wissembourg und Südliche Weinstraße prüfen als langfristiges Ziel für 2024/2025, ob und wie ein länder­übergreifender Zweckverband denkbar wäre. Politisch wäre das erwünscht.
Ich konnte gerade viele Lehrkräfte, Politiker, eigentliche alle, die von dieser Idee gehört hatten, durch den Gedanken begeistern, dass durch den regelmäßigen Musikschulaustausch, regelmäßiges Proben, regelmäßigen bilingualen Unterricht, ein Raum entsteht, der deutsch-französische Freundschaften vielleicht noch stärker ermöglicht als ein Schüleraustausch. Bei uns sehen sich die Jugendlichen regelmäßig jede Woche oder alle zwei Wochen. Dadurch haben Musikschulen in Grenznähe, egal wo, ein Potenzial für diese grenzüberschreitenden Freundschaften, das bisher noch gar nicht erkannt und schon gar nicht ausgeschöpft wurde.

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